Prozesse gegen Anhänger von türkischen oder kurdischen Rockerclubs müssen mit viel Personal gesichert werden. Foto: 7aktuell/Schneck

Prozesse gegen Anhänger des nationaltürkischen Boxclubs Osmanen Germania und des kurdischen Netzwerks Bahoz bringen die Justiz an ihre Grenzen. Sie erfordern viel Personal und sind für alle Beteiligen mit Gefahren verbunden.

Ludwigsburg - Drohungen kommen jede Woche, fast jeden Tag. Ein Redakteur, der regelmäßig über Prozesse gegen Anhänger der Osmanen Germania berichtet, erhält seit Monaten Briefe und Anrufe. „Zeitung, morgen bist du tot“, ist mit krakeliger Schrift auf einem Zettel notiert, der an seinem Auto befestigt ist. Selbst in seinem Ferienhaus hören die Drohungen nicht auf. Der Journalist berichtet, wie die Anrufe ablaufen: „Sie sagen Sätze wie: Misch dich nicht ein, du stellst zu viele Fragen.“ Das ist kein Einzelfall.

Auch Richter werden bedroht, wie Cornelia Horz berichtet, die Präsidentin des Landgerichts in Stuttgart. „Der Bruder eines Angeklagten ist vor einigen Monaten im Garten der Vorsitzenden Richterin gestanden“, erzählt sie. Noch deutlicher bekommt das Sicherheitspersonal der Justizverwaltung Anfeindungen zu spüren. „Drohungen und Beleidigungen sind an der Tagesordnung“, berichtet Thorsten Klay, der Vizeleiter der Sicherungsgruppe SGS, zu der 15 Beamte gehören. Auch er selbst wurde immer wieder bedroht.

Wie schwierig die juristische Aufarbeitung des Bandenkriegs ist, hat ein großer Prozess vor dem Landgericht in diesem Jahr gezeigt – es ging um einen Überfall kurdischer Bahoz-Anhänger auf Osmanen, der im April 2016 stattgefunden hatte. Beim Verhandlungsbeginn im vergangenen Februar waren 84 Anhänger der rivalisierenden Gruppen im Gerichtssaal, es kam zu Provokationen. Bei Kontrollen wurde ein 20,5 Zentimeter langes Küchenmesser gefunden. Bei der Fortsetzung im März nannte ein Zeuge einen der Angeklagten „Fettsack“, woraufhin dieser aufgesprungen ist und wild mit den Armen gestikuliert hat. Drei Justizbeamte mussten ihn beruhigen. „Anhänger des Boxclubs Osmanen Germania mussten gewaltsam aus dem Saal gebracht werden“, berichtet der Gerichtssprecher Johannes Fridrich. Vor dem Gerichtssaal kam es danach zu Schlägereien.

110 Zuschauer im Verhandlungssaal

Im April wurden vor der Verhandlung eine Schreckschusswaffe samt Munition, ein Messer und zwei Schlagstöcke beschlagnahmt. Kurdische Aktivisten schlugen auf einen Transportbus ein. Und im Juli waren bei der Urteilsverkündung sogar 110 Zuschauer im Saal, die Stimmung war angespannt. „Es gibt viele weitere Beispiele für Provokationen“, sagt Klay.

„Diese Verfahren sind auch durch die Vielzahl der Angeklagten eine schwere Belastung“, berichtet die Landgerichtspräsidenten Cornelia Horz, „schon durch die räumliche Enge sind das echte Stresssituationen.“ Bereits im Oktober beginnt ein weiterer Prozess gegen Anhänger des kurdischen Netzwerks Bahoz, das sich inzwischen offiziell aufgelöst hat.

Schwierig sei außerdem die Beweisführung, wie der Gerichtssprecher Johannes Fridrich sagt: „Es gibt keine neutralen Zeugen, es werden immer nur Mitglieder der gegnerischen Gruppe beschuldigt.“ Wenn denn überhaupt ausgesagt werde – häufig hielten sich die beteiligten an einen Ehrenkodex, ein „Kartell des Schweigens“.

„Im Zweifel greift man lieber zur Selbstjustiz“

„Im Zweifel greift man lieber zur Selbstjustiz, die Konflikte werden untereinander ausgemacht“, berichtet Fridrich. Das sei auch der Hintergrund der Ludwigsburger Schlägerei im April 2016 gewesen: Wenige Tage zuvor war ein Streit aus dem Stuttgarter „Türkenviertel“ an der Mauserstraße vor das Ludwigsburger Krankenhaus verlagert worden, wo ein Verletzter untergebracht worden war. Der Überfall in Ludwigsburg war die Reaktion. Schwierig sei es für Polizei und Staatsanwalt auch, die Angeklagten zu identifizieren, weil diese häufig vermummt und dunkel gekleidet seien.

Die Justiz zeigt Härte, sowohl wenn es Drohungen gibt als auch, wenn Verhandlungen gestört werden: Mehrfach wurden Platzverweise oder Ordnungsgelder angeordnet. Und jede Bedrohung von Seiten der Bandenkrieger wird der Polizei gemeldet. „Die Kollegen sind sehr hilfreich und nehmen jeden Hinweis auf“, sagt die Landgerichtschefin Cornelia Horz. Das rät sie auch jedem anderen, der bedroht wird: „Sofort zur Polizei gehen und Anzeige erstatten.“