Jutta Cordt (rechts) ist nicht länger Chefin des Bundesamts für Migration. Foto: dpa

Im Ringen zwischen CDU und CSU um die Asylpolitik fallen scharfe Worte. CSU-Chef Seehofer wirft der Schwesterpartei eine Spaltung Europas vor. Die Bamf-Leiterin Cordt entlässt er.

Berlin - Im unionsinternen Streit über eine schärfere Asylpolitik hat CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer Kritik aus der CDU-Spitze in scharfen Worten zurückgewiesen. Nicht seine CSU, sondern die CDU sei es gewesen, „die mit der Flüchtlingsentscheidung 2015 die Spaltung Europas herbeigeführt hat“, sagte Seehofer der „Süddeutschen Zeitung“ (Freitag). Im Krisenjahr 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, waren rund 890 000 Migranten weitgehend unkontrolliert nach Deutschland eingereist. Die Überforderung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) kostete nun auch der Behördenleiterin Jutta Cordt ihren Posten. Cordt, die ihr Amt erst Anfang 2017 übernommen hatte, werde entlassen, teilte das Bundesinnenministerium am Freitagabend mit.

Mit seiner Attacke auf die Flüchtlingsentscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte Seehofer auf einen Brandbrief von CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer an die CDU-Mitglieder. Darin warnte sie davor, dass die von Seehofer geforderten Zurückweisungen an der Grenze von bereits im EU-Ausland registrierten Asylbewerbern die Gefahr bergen, „Europa weiter zu spalten und zu schwächen“. Seehofer sagte dem Blatt weiter zu Kramp-Karrenbauers Brief: „Frau Kramp-Karrenbauer stellt uns als Provinzfürsten aus Bayern hin, die die europäische Idee nicht verstanden haben.“

Der Asylstreit zwischen Merkel und Seehofer war am Donnerstag eskaliert. Die CSU hat der Kanzlerin quasi eine Frist bis Montag gesetzt, um auf ihre Linie einzuschwenken. Andernfalls will Seehofer im nationalen Alleingang auch Migranten zurückweisen, die in einem anderen Land ihren Asylantrag gestellt haben. Das lehnt Merkel strikt ab. Ein Kompromiss ist derzeit nicht in Sicht.

Die SPD mahnte ihre Koalitionspartner, zu einer sachlichen Regierungspolitik zurückzukehren. Zugleich machte SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles am Freitag in Berlin deutlich, dass in der Flüchtlingspolitik nur mit Europa für Deutschland eine vernünftige Lösung gefunden werden könne. „Schlechterdings ist eine Lösung im Alleingang nicht denkbar und auch nicht sinnvoll.“

Damit stellte sich Nahles auf die Seite Merkels und übte heftige Kritik an der CSU. Merkel strebt eine europäische Lösung an und will diese auf dem EU-Gipfel Ende des Monats ausloten.

Einen Tag nach dem Eklat in der Unionsfraktion - als CDU und CSU erstmals seit langem getrennt tagten - bemühten sich beide zwar um verbale Deeskalation, blieben in der Sache aber hart. Der stellvertretende Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Hans Michelbach, sagte RTL: „Wir wollen nichts eskalieren lassen. Es geht uns um die Sache.“ Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende von der CSU, Hans-Peter Friedrich: „Die Regierung wird an solchen vernünftigen Dingen nicht zerbrechen. Der Bundesinnenminister hat eine Ressortverantwortung, die wird er wahrnehmen.“ Und: „Es gibt keinen Grund, von dieser Haltung auch nur ein Jota abzuweichen.“

Altmeier hält Einigung weiter für möglich

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hält eine Einigung weiter für möglich. „Ich bin davon überzeugt, wir können zu einer gemeinsamen Lösung kommen - unter der Voraussetzung, dass alle konstruktiv und mit Einigungswillen an die Aufgabe herangehen.“

Merkel hielt an ihrer Position fest. Sie habe „einen Vorschlag gemacht, und an dessen Umsetzung arbeitet sie jetzt“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Wir brauchen Lösungen in enger Zusammenarbeit mit den anderen betroffenen Staaten.“ Kramp-Karrenbauer rief die Parteibasis in ihrem Brief zur Unterstützung Merkels auf.

Seehofer will an den deutschen Grenzen künftig Asylbewerber zurückweisen, die schon in anderen EU-Ländern registriert sind. Die Gegenseite unterstellt auch parteitaktische Motive: Am 14. Oktober wird in Bayern gewählt - die CSU fürchtet, Stimmen an die AfD zu verlieren.

An diesem Montag will Merkel mit dem neuen italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte über die Flüchtlingspolitik reden. Am Dienstag kommt dann Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu deutsch-französischen Konsultationen nach Meseberg, um den EU-Gipfel am 28. und 29. Juni vorzubereiten.

Die CSU sieht die Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite - und wird darin vom jüngsten ARD-„Deutschlandtrend“ bestärkt. Danach sind 62 Prozent der Bürger dafür, Flüchtlinge ohne Papiere nicht einreisen zu lassen. 86 Prozent befürworteten zudem eine konsequentere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Die Infratest-dimap-Umfrage wurde bereits am 11./12. Juni geführt - vor der Eskalation des Unionsstreits.

Die Zurückweisungen an der Grenze sollen Teil eines „Masterplans Migration“ sein. Das Innenministerium erläuterte, dass es um Abweisungen von Flüchtlingen gehe, die in der Fingerabdruckdatei Eurodac registriert sind - und zwar sowohl, wenn sie in einem anderen EU-Land schon einen Asylantrag gestellt haben, als auch nach einem reinen Grenzübertritt in ein anderes EU-Land.

Zur Entlassung von Cordt nannte das Bundesinnenministerium zunächst keine Gründe. Seehofer habe „der Leitungsspitze des Bamf am Mittwoch mitgeteilt, sie von ihren Aufgaben zu entbinden“, bestätigte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in Berlin. Ein Bamf-Sprecher konnte auf Anfrage nicht sagen, ob Cordt ihr Amt damit bereits aufgegeben hat oder nicht und verwies auf das Bundesinnenministerium. Dieses erläuterte die Formulierung nicht weiter. Vergangene Woche hatte Seehofer bereits „eine tiefgreifende Reform des Bamf“ angekündigt. Das Amt steht in der Kritik, nachdem in der Bremer Außenstelle womöglich 1200 Menschen Asyl ohne die nötige Rechtsgrundlage gewährt wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Der Bundestag verabschiedete unterdessen die Neuregelung des Familiennachzugs für Flüchtlinge. Das Gesetz der großen Koalition sieht vor, dass auch Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus vom 1. August an wieder engste Familienangehörige zu sich nach Deutschland holen können. Pro Monat sollen aber insgesamt nur 1000 Angehörige einreisen dürfen. Derzeit ist der Nachzug für diese Flüchtlingsgruppe ausgesetzt - bis auf wenige Härtefälle.