Das Publikum ist angesichts großer Tanzkunst verzaubert gewesen. Foto: Stuttgarter Ballett

Stuttgarter Ballett und John-Cranko-Schule unterstützen mit einer Gala die Aktion Weihnachten. Die 40. Ballettmatinee verzaubert mit märchenhafter Tanzkunst.

Stuttgart - Auch wenn sie die grausamsten Geschichten erzählen, machen uns Märchen mit einem glücklichen Ende Hoffnung. An Grausamkeiten ist auch unsere Gegenwart nicht gerade arm. Märchenhaftes könnte da guttun. Das haben sich wohl Tadeusz Matacz, Direktor der John-Cranko-Schule, und Tamas Detrich, Intendant des Stuttgarter Balletts, gedacht, als sie das Programm für die diesjährige Gala zugunsten der Aktion Weihnachten zusammengestellt haben.

Und so fiel der Blick des Publikums, als sich der Vorhang im Opernhaus am zweiten Advent zur mittlerweile 40. Ballettmatinee hob, auf die Schlosskulisse von „Dornröschen“. Aus den Torbögen tauchten im Verlauf der nächsten zwei Stunden der gestiefelte Kater, Rotkäppchen und der Wolf sowie Gestalten aus 1001er Nacht auf.

2020 musste die Matinee ausfallen

Draußen scheint an diesem Adventstag die Sonne; und auch drinnen strahlen überm Märchenschloss weiße Wölkchen vom blauen Himmel. Trotzdem lauert hinterm Horizont Düsteres. Die Pandemie fordert Opfer, die ausgedünnten Zuschauerreihen im Opernhaus sind dafür Sinnbild, wie Jan Sellner, der Vorsitzende der Aktion Weihnachten und Lokal-Ressortleiter unserer Zeitung, in seiner Begrüßung betont. „Das Erlebte und das Geschehen um uns herum wirken nach“, sagt Jan Sellner und unterstreicht, nachdem die Matinee 2020 ausfallen musste, das Besondere dieses Tags.

Die Aktion Weihnachten, so Sellner, spüre die wachsende Not. Vorrangig wird in diesem Jahr ein Projekt des Kinderschutzzentrums unterstützt, das von häuslicher Gewalt Betroffenen online Beratung bieten soll. Wie glücklich junge Menschen sein können, wenn ihr Leben ein Ziel hat und sie optimale Förderung erfahren, zeigt der Nachwuchs der Cranko-Schule an diesem Morgen.

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Als kesser Harlekin mit Hütchen auf dem Kopf und Präzisionstanz in den Füßen eröffnet Yuka Kasai den Klassikerreigen der Schule. Wie man sich auch bei Tempo nicht aus dem Gleichgewicht bringen lässt, demonstriert Kaela Tapper als zarte Bayadère, wie man temperamentvoll abhebt und Pirouetten wie ein Drillbohrer in den Boden dreht, zeigt Joshua Nunamaker, wie man leichtfüßig aus flinken Schritten tolle Tanzkunst webt, malt Noa Shoda in schönsten „Don Quijote“-Farben aus. Und Clara Thiele zündet mit einer Variation aus „Walpurgisnacht“ ein helles Talentfeuer.

Nicht nur solistisch, auch im Zusammenspiel gelingen dem Nachwuchs schöne Verbeugungen: vor der Tanzkunst und dem Sinn für Gemeinschaft, ohne den sie nicht sein könnte. Die gute Laune, mit der drei Schülerinnen einen Auszug aus der „Glasunov Suite“ tanzen, ist ansteckend. In immer neuen Mustern ziehen sieben Paare in der „Klassischen Symphonie“ ihre Kunst perfekt wie die Perlen einer Kette auf. Und wie wohlgesinnt sich das Freundinnen-Trio bleibt, obwohl sie in „Abdallah“ um die Gunst eines sprunggewaltigen Herrn (Lincoln Sharp) wetteifern müssen, macht Mut.

Wie man aufeinander zugeht

In diesem Sinn könnte man auch die Ernsthaftigkeit, mit der ein Paar des Stuttgarter Balletts nach der Pause aufeinander zugeht, als Versprechen an eine bessere Zukunft lesen. MacMillans „Concerto“ machen Clemens Fröhlich und Jolie Rose Lombardo zu einem Gala-Höhepunkt. Stützen und Halten sind Thema; und auch wenn die Begegnung von einem überholten Frauenbild erzählt, geht es eben auch um den Einsatz, den der eine für den anderen bringt.

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Mit Anna Osadcenko als „Sterbender Schwan“, der in anrührender Zartheit vergeht, und mit dem Finale aus „Dornröschen“ füllten die Stars des Stuttgarter Balletts den zweiten Programmteil. Pandemie- und krankheitsbedingt wies auch das Programm Lücken auf. Doch die Leidenschaft, mit der dafür Auroras Hochzeitsfest gefeierte wurde, machte die Enttäuschung über das fehlende Gala-Glanzlicht „Spring Waters“ wett.

Ciro Ernesto Mansilla scheint als Ali Baba den Schalter gefunden zu haben, der die Schwerkraft ausknipst: Mit Sprüngen in jeder Lebenslage hinterlässt er viel Eindruck. Und auch das Quartett an Edelsteinen, das ihn begleitet, setzt mit tänzerischer Leichtigkeit und schöner Einigkeit Glanzlichter. Martina Marin als Rotkäppchen, das sich mit viel Drama im Wald verirrt, und Martino Semenzato als Wolf, der ihm mit großen Augen auflauert, dürfte die Kinder im Publikum ebenso beeindruckt haben wie Edoardo Sartori, der sich als gestiefelter Kater herrlich mit dem Kätzchen Aurora de Mori zankt.

Aurora und ihr Prinz tanzen märchenhaft makellos

Ende gut, alles gut? Märchenhaft makellos tanzten Mackenzie Brown und Gabriel Figueredo den Schluss-Pas-de-deux aus „Dornröschen“. Den beiden jungen Tänzern des Stuttgarter Balletts wurden diese Rollen für die Gala erstmals anvertraut; doch die Souveränität, mit der die beiden schwierige Balancen und Sprünge meisterten, war schlicht beeindruckend.

Jenseits der Bühne müssen die Menschen allerdings weiter auf ein märchenhaftes Ende hoffen. Wie gut ihnen dabei die Kunst tut, zeigte das Publikum im Opernhaus mit begeistertem Applaus.