Lokführer werden immer mehr zu gesuchten Experten. Mit entsprechend harten Bandagen wird der Abwerbe-Kampf geführt. Nun muss ein Bahnunternehmen in der Region Stuttgart seinen Service für Fahrgäste reduzieren.
Dass Regionalzüge oder S-Bahnen rund um Stuttgart ausfallen oder zumindest dem Fahrplan deutlich hinterherhinken, kann mannigfaltige Gründen haben: mal streikt eine Weiche, mal ist die Oberleitung indisponiert, mal will der Zug nicht so, wie er sollte. Nun ist ein weiterer Grund dazu gekommen, warum Fahrgäste nicht wie gewünscht ans Ziel kommt – und der wirft ein Schlaglicht auf die ruppiger werdenden Zustände in der Schienenverkehrsbranche.
Reduzierung auf Stundentakt
Das seit Februar zur österreichischen Staatsbahn ÖBB gehörende Unternehmen Go-Ahead Baden-Württemberg dünnt vom 15. Juni an auf der Metropolexpresslinie 16 zwischen Ulm, Geislingen an der Steige und Stuttgart am Wochenende das Angebot aus. Die vom Land bestellten Regionalzüge sind dann statt alle 30 Minuten nur einmal in der Stunde unterwegs. Die Bahngesellschaft geht davon aus, dass die Ausfälle bis voraussichtlich Ende September gelten werden. Sie verspricht aber auch: „Die MEX-16-Einschränkungen werden nur so lange aufrechterhalten, wie sie unbedingt notwendig sind“.
„Aggressive Personalabwerbung“
Aufhorchen lässt die Begründung: „Go-Ahead Baden-Württemberg kämpft in den letzten Monaten mit den Auswirkungen äußerst aggressiver Personalabwerbung von Triebfahrzeugführer und Triebfahrzeugführerinnen durch Personaldienstleister. Diese fehlen deshalb derzeit insbesondere am Wochenende auf der Filstalbahn (MEX 16)“, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens. Im Klartext: die begehrten Lokführer bekommen von Zeitarbeitsfirmen so attraktive Angebote, dass sie den bisherigen Arbeitgeber verlassen.
Der Engpass beim Personal im Führerstand ist kein exklusives Problem von Go-Ahead. Bereits im Frühjahr hat der Interessenverband Allianz pro Schiene gefordert, die Tätigkeit als sogenannten Engpassberuf einzustufen. Die Agentur für Arbeit hat in ihrer Engpassbewertung für das Jahr 2023 das Berufsbild jedoch lediglich als „unter Beobachtung“ eingeordnet. Das Land Baden-Württemberg als Auftraggeber für den Nahverkehr auf der Schiene hat letztlich erfolglos versucht, einen Lokführerpool einzurichten, bei dem sich unter Personalnot leidende Eisenbahnunternehmen im Südwesten hätten bedienen können.
Gewerkschaft ist alarmiert
Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) beobachtet die Entwicklung genau. „Uns sind aus einzelnen Betrieben durchaus solche Vorgänge bekannt. Wir kennen solche Vorfälle unter anderem auch aus dem Bereich der Unternehmen DB Regio, DB Cargo und DB Fernverkehr“, erklärt Nico Rebenack, Bezirksvorsitzender der GDL im Südwesten. Nach deren Erkenntnis würden „solche aggressiven Abwerbemethoden von einigen Personaldienstleistern“ betrieben. Für die würden nicht die bundesweit branchenüblichen Tarifverträge gelten, „die höherwertige Ruhezeitreglungen, Schutznormen und teils Verbindlichkeit der Einsatzplanung ausweisen“, so Rebenack. Im Gegenzug bezahlten die Dienstleister „Stundenlöhne oberhalb von 25 Euro ohne Zulagen, die zusätzlich vergütet werden. Zusätzlich werden neben einigen Benefits wie Tankkarten, Bahncard 100 und ähnlichem Mitarbeiter mit Einmalzahlungen aus anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen ,angelockt’“.
Unternehmen bilden aus
Go-Ahead versucht dagegen anzukämpfen – und setzt dabei auf eigenes, neues Personal. Das Unternehmen verweist darauf, dass „in der eigenen Ausbildungs-Akademie jedes Jahr neue dreijährige Ausbildungslehrgänge zum ‚Eisenbahner im Betriebsdienst‘“ beginnen würden. Dazu komme „ alle sechs Wochen in Stuttgart und Augsburg je ein elfmonatiger Qualifizierungskurs für Triebfahrzeugführer“. Kurzfristige Linderung für die angespannte Personalsituation ist davon aber nicht zu erwarten. Und das ärgert das Unternehmen. „Ohne die Abwanderung zu Verleih-Firmen in den letzten Monaten hätten wir heute einen Überbestand an Triebfahrzeugführern – statt einige Wochen lang einen reduzierten Wochenendfahrplan auf einer unserer fünf Strecken fahren zu müssen“.