Am Wochenende sind in Stuttgart zwei Männer ums Leben gekommen. (Symbolbild) Foto: dpa

Einer fuhr als blinder Passagier auf einem Güterzug, ein anderer nutzte Bahngleise als verbotenen Wanderweg: Zwei Männer sind in Stuttgart bei Bahnunfällen ums Leben gekommen.

Stuttgart - Was wollte ein 38-Jähriger aus Untertürkheim in einem offenen Güterwagen Richtung Ludwigshafen? Warum glaubte ein 26-Jähriger, auf einem S-Bahn-Gleis nachts zum Hotel laufen zu müssen? Fragen, auf die Beamte der Stuttgarter Kripo wohl keine Antwort mehr bekommen werden. „Die Betroffenen sind tot“, sagt Polizeisprecher Thomas Ulmer, „die Motive sind noch völlig unklar.“ Beide Fälle, die sich in den vergangenen Nächten in den Bereichen Zazenhausen und Bad Cannstatt abspielten, haben offenbar eine gemeinsame Ursache: Leichtsinn.

Wie die Polizei am Montag mitteilte, spielte sich ein Fall bereits am Sonntag um 0.35 Uhr ab. Zu dieser Zeit war der Güterzug 50596 mit langsamer Geschwindigkeit in Untertürkheim unterwegs, als ein 51-jähriger Zeuge auf Höhe der Schlotterbeckstraße beobachtete, wie ein Unbekannter auf einen der offenen Güterwagen kletterte. „Was er auf der Ladefläche des Güterzugs wollte, weiß niemand“, sagt Polizeisprecher Ulmer. Der Zug war von Untertürkheim nach Ludwigshafen unterwegs.

Waghalsige Surfer gibt es immer wieder

Nachdem die Bahn und die Bundespolizei alarmiert waren, wurde Zug 50596 bei Zazenhausen angehalten. Der Zug mit 15 Wagen und 490 Meter Länge blieb an einem Haltesignal stehen. „Nach bisherigen Ermittlungen wurde auch das Gegengleis gesperrt, um den Zug untersuchen zu können“, so Ulmer. Dem blinden Passagier wurde offenbar ausgerechnet dies zum Verhängnis.

Nach den bisherigen Erkenntnissen dürfte der Mann aus dem Waggon geklettert sein, offenbar um das Weite zu suchen. An einer Stelle, an der der Gegenzug noch nicht angehalten hatte, passierte es dann: Der Betroffene wurde von dem entgegenkommenden Güterzug erfasst. Der 38-Jährige aus Untertürkheim war sofort tot.

Immer wieder kommt es zu dramatischen Zwischenfällen durch blinde Passagiere und waghalsige Surfer. „Glücklicherweise gibt es hier solche Fälle aber vergleichsweise selten“, sagt Jonas Große, Sprecher der für die Bahn zuständigen Bundespolizei. Im Februar hatte in Bad Cannstatt ein 18-Jähriger bei der illegalen Fahrt auf der Deichsel einer Stadtbahn der Linie U 13 schwere Verletzungen erlitten. Ein paar Wochen zuvor hatte sich ein Unbekannter in Plochingen (Kreis Esslingen) an den Waggon eines Citynightline-Zugs gehängt. Ein Zugbegleiter konnte mit einer Notbremsung gerade noch Schlimmeres verhindern.

Viele halten sich zudem leichtsinnig auf den Gleisen auf – was am Montag gegen 0.20 Uhr in Bad Cannstatt ebenfalls tödlich endete. Ein 26-Jähriger war aus Richtung Augsburger Straße auf dem Weg zu seinem Hotel am Cannstatter Bahnhof – und war dabei nicht etwa auf der Deckerstraße unterwegs, sondern auf den Eisenbahnschwellen. Auch hier ist das Motiv unklar.

26-Jähriger stolpert im Gleisbett und wird von Bahn erfasst

Der Mann befand sich auf Höhe eines Lebensmitteldiscounters, etwa einen Kilometer vom Bahnhof entfernt, als sich von hinten eine S-Bahn näherte – eine S 2 in Fahrtrichtung Filderstadt. Nach Angaben der Polizei hatte der Lokführer ein Warnsignal abgegeben und eine Gefahrenbremsung eingeleitet. Der Passant habe noch versucht, den Gleiskörper zu verlassen – sei dabei aber gestolpert und von der Bahn überrollt worden. In der S-Bahn kamen 20 Fahrgäste mit dem Schrecken davon – sie hatten die Vollbremsung unbeschadet überstanden. Für den 26-Jährigen hingegen kam jede Hilfe zu spät.

Ob womöglich Alkohol eine Rolle spielte, sollen weitere Untersuchungen ergeben. Zu viel Promille im Blut war in der Vergangenheit immer wieder der Grund für überaus leichtsinniges Verhalten an Bahnanlagen.

Der Unfalltrend für das Jahr 2016 ist düster. Im Bereich der Bundespolizeiinspektion Stuttgart, die für die Bahnanlagen für Württemberg zuständig ist, hat es bereits jetzt mehr tödliche Personenunfälle auf Bahnanlagen gegeben als im gesamten Jahr 2015. Bisher kamen elf Menschen ums Leben – im letzten Jahr waren es zehn. „In diesen Zahlen sind die Suizide nicht enthalten“, sagt Bundespolizeisprecher Große. Bleibt der Trend bis zum Jahresende, könnte sich die Zahl der Todesopfer nahezu verdoppeln.

Einer der tragischsten Fälle hatte sich im Mai in Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) abgespielt, als zwei Kinder unter einer Bahnbrücke Schutz vor Regen suchten. Ein 13-jähriges Mädchen wurde vor den Augen des jüngeren Bruders von einem vorbeifahrenden Intercity erfasst und getötet.

Insgesamt registrierte die Bundespolizei bisher 27 Personenunfälle im württembergischen Bahnbereich. Dabei wurden 16 Menschen verletzt. Im vergangenen Jahr musste die Polizei insgesamt 39 Unfälle aufnehmen, 29 Personen erlitten zum Teil schwere Verletzungen.