GDL-Chef Claus Weselsky Foto: dpa

Es ist der längste Streik seit Bestehen der Deutschen Bahn: Vom Verständnis für die Streikenden ist bei vier Tagen Dauerstreik nicht mehr viel übrig. Ein Schlichtungsangebot der Bahn hat die Lokführergewerkschaft GDL abgelehnt.

Frankfurt/Berlin - Schwere Tage für Millionen Bahnkunden: Trotz aller Appelle aus Politik und Wirtschaft haben die Lokführer ihren bislang längsten Streik begonnen. Der bundesweite Ausstand wird bis Montag zum Ausfall tausender Züge führen. Betroffen sind der Fern- und Regionalverkehr, S-Bahnen und bereits seit Mittwochnachmittag auch der Güterverkehr. Die Bahn reagierte mit Ersatzfahrplänen, um die wichtigsten Verbindungen aufrecht zu erhalten.

Der Streik fällt zusammen mit den Feiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls, zu denen in Berlin Hunderttausende Besucher erwartet werden, und mit dem Ferienende in Bremen und Niedersachsen. Befürchtet werden zudem Lieferengpässe in Unternehmen.

"Grundrechte nicht an der Garderobe abgeben"

„Wir werden zu keinem Zeitpunkt unsere Grundrechte an der Garderobe abgeben, um dem Arbeitgeber Deutsche Bahn einen Gefallen zu tun“, gab sich Claus Weselsky, der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), zum Auftakt am Mittwoch kampfbereit. Er warf dem Konzern eine Blockade vor. Es ist bereits die sechste Streikaktion im laufenden Tarifkonflikt. Erneut setzen viele Reisende auf Fernbusse und Mitfahrzentralen. Die Anbieter verzeichnen Rekordanfragen. Wer zunächst kein Ticket mehr für eine bestimmte Strecke bekommen hat, braucht etwas Geduld. „Interessenten sollten immer wieder im Internet nachschauen, weil weitere Kapazitäten aktualisiert werden“, sagte der Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmen in Berlin.

Die Bahn hatte vergeblich versucht, die Arbeitnehmerseite zu einer Schlichtung in dem festgefahrenen Tarifkonflikt zu bewegen. Sie kritisierte den Streik als maßlos, respektlos und verantwortungslos. Auch Mahnungen der Bundesregierung änderten nichts.

„Davon werden sicherlich Millionen Reisende betroffen sein“, sagte Bahn-Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg. Er geht davon aus, dass im Fernverkehr ein Drittel der Züge nach Plan fahren kann. Im Regionalverkehr in Westdeutschland sollen es 40 bis 60 Prozent sein, im Osten Deutschlands aber nur 20 Prozent. Dort ist die GDL am besten organisiert.

Merkel ruft zu Verhandlungen auf

Noch am Mittwoch hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Lösungen aufgerufen, „die auch für uns als Land einen möglichst geringen Schaden haben“. Streiks müssten verhältnismäßig sein. Ein Ausstand bei der Bahn treffe Millionen Bürger und auch die Wirtschaft. „Es gibt eine Gesamtverantwortung“, sagte die CDU-Chefin. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) warf der GDL in der „Bild“-Zeitung vor, das Streikrecht zu missbrauchen.

Die Gewerkschaft will einen eigenständigen Tarifvertrag für Zugbegleiter durchsetzen, für die bislang die konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) verhandelt. Die GDL fordert zudem fünf Prozent mehr Einkommen und eine kürzere Wochenarbeitszeit.

Ein weiteres Angebot lehnte Personalvorstand Ulrich Weber aber ab. Gespräche über Spielregeln für die Tarifrunde waren am Sonntag gescheitert. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) forderte das bundeseigene Unternehmen auf, gegen den Streik der GDL vor Gericht zu ziehen. Die Bahn hatte erklärt, ein juristisches Vorgehen zu prüfen. Sie schätzt die Erfolgsaussichten aber als gering ein.

Wirtschaft sieht gravierende Folgen

Die deutsche Wirtschaft warnte vor gravierenden Folgen für die Unternehmen. „Das maßlose Verhalten der GDL ist verantwortungslos und führt zu enormen volkswirtschaftlichen Kosten“, hieß es aus dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). „Ein so langer Streik wird auch zu leeren Lagern führen - und damit zu unkalkulierbaren Risiken von Produktionsausfällen.“

In Schlüsselbranchen wie der Autoindustrie sei die Produktionskette komplett auf Just-in-time-Fertigung ausgerichtet. „Auch für die deutschen Stahl- und Metallhändler (...) ist die Schiene wegen der zu transportierenden Masse unverzichtbar“, sagte der Präsident des Großhandelsverbandes BGA, Anton Börner. Der Maschinenbau ist ebenfalls in besonderem Maße von einer Logistikkette abhängig, deren exaktes Zusammenspiel dem eines Orchesters gleicht.

Der Autobauer Audi verlegt wegen des Streiks Transporte von der Schiene auf die Straße. Europas größter Autohersteller Volkswagen stellt sich darauf ein, dass seine Produktionsbänder trotz des Streiks im Güterverkehr laufen. Laut dem Statistischen Bundesamt entfielen nach den jüngsten Zahlen für das Jahr 2012 rund 71 Prozent der gesamten Transportleistung in Deutschland auf die Straße. Der Güterverkehr mit Eisenbahnen kam immerhin auf rund 17 Prozent.

Der Streik im Bahn-Güterverkehr trifft auch die beiden großen deutschen Seehäfen Hamburg und Bremen. Die Auswirkungen seien aber schwer vorhersehbar, sagten Experten.