Über die Gestaltung der nördlichen Bahnhofstraße wird später entschieden. Foto: Patricia Sigerist

Wegen der nördlichen Bahnhofstraße gibt es seit Wochen Diskussionen um Tempo 30 und den Fahrradverkehr. Zwischen Gegnern und Befürwortern ist ein heftiger Streit entbrannt.

Fellbach - Nicht nur Temperaturen von 30 Grad Celsius dürften in den kommenden Wochen Anlass für erhitzte Stimmungen sein. Vielmehr brennt vielen Bürgern in der Stadt derzeit ein Thema unter den Nägeln, das die Fellbacher Gemüter in schweißtreibende Wallungen bringt: Es geht um die Reduzierung auf Tempo 30 in der nördlichen Bahnhofstraße sowie um die gleichzeitige Verlagerung des Radverkehrs auf eben jene Straße. Dabei stehen sich die beiden Lager der Befürworter und Gegner offenkundig diametral gegenüber, wie auch zahlreiche Beiträge belegen, die derzeit unsere Redaktion erreichen. Zur Contra-Fraktion gehört beispielsweise der Fellbacher Revierleiter Klaus Auer. Er nennt zunächst einmal einige Fakten: „Die Bahnhofstraße ist eine Ortsdurchgangsstraße, ob man das nun wahrhaben will oder nicht.“ Und: „Die heute tagsüber gefahrene Geschwindigkeit beträgt gerade mal 27 km/h.“

Argumente wie Verkehrssicherheit und Lärmschutz ziehen nicht

Weil aus seiner Sicht Gründe wie Verkehrssicherheit oder Lärmschutz nicht ziehen, „bleibt nur noch das Totschlagargument aus städtebaulichen Gesichtspunkten“. Dazu gehöre aber nicht, eine Menge von Tempo-30-Schildern aufzustellen, sondern umfangreiche gestalterische Baumaßnahmen – „daran denkt aber derzeit nicht wirklich jemand, denn dafür ist schlicht kein Geld vorhanden“, so der Polizist.

Rettungskräfte müssen schnell vor Ort sein

Was bleibt dann letztlich? „Nur die Ideologie, und da mache ich nicht mit“, wettert Auer, der zudem für die Freien Wähler/Freien Demokraten im Gemeinderat sitzt. Zumal es aus seiner Sicht ein ganz gravierendes Argument gegen Tempo 30 in der Bahnhofstraße gibt – nämlich die Rettungs- und Hilfskräfte, die so schnell als möglich am Einsatzort eintreffen müssten. Und direkt an seinen SPD-Kollegen Sebastian Bürkle und dessen Bemerkung in einer Gemeinderatssitzung gewandt: „Wenn Stadtrat Bürkle Recht hat, dass die Fahrt durch die Bahnhofstraße nur 24 Sekunden länger bei Tempo 30 benötigt, dann frage ich Sie: 24 Sekunden, in denen ein Mensch mit dem Leben ringt, ein Haus in Flammen lodert oder jemand Opfer einer Straftat wird, können ganz schön lange sein – und das wollen wir nur aus ideologischen Gründen in Kauf nehmen?“ Auer zur Seite stellt sich der Fellbacher Bürger Reinhold Scheel: „Die Diskussion um die 30-Zone auf der Bahnhofstraße hat schon Anklänge an einen ,Glaubenskrieg“, urteilt er sehr treffend. Scheel verweist auf „gewachsene Tempobremsen, die eine Regulierung völlig unnötig erscheinen lassen“. Und „gefährliche Situationen“ habe er nicht in Erinnerung, da die Autofahrer von sich aus sehr vorsichtig seien. „Riskant ist manchmal das Einbiegen auf die gegenüberliegende Richtung. Aber auch da habe ich weniger Crashs gesehen als an den Rechts-vor-links-Kreuzungen.“

Ganz anders urteilt Frank Herrmann in einem drastisch-zynischen Leserbrief an unsere Redaktion: Er gibt Einblick in sein „Kopfkino“: „Drehort könnte Absurdistan sein.“ Herrmann lästert über „zwei bekannte Lokalpolitiker einer Bleifußfraktion“, die Blaulicht und Martinshorn vorauseilen, „Notfallfahrzeugen den Weg freikämpfend“, statt rechts ran zu fahren.

Die OB-Kandidaten schätzen die Situation sehr unterschiedlich ein

Das Thema beschäftigt auch die Kandidaten für die OB-Wahl am 18. September. Gabriele Zull (parteilos) forderte kürzlich bei ihrer offiziellen Wahlkampferöffnung auf der Panoramaterrasse „ein Gesamtkonzept und nicht allein Diskussionen um Tempo 30 – losgelöst vom eigentlichen Ziel“. Jede Kommune, die mit dem sogenannten Shared Space den öffentlichen Raum aufgewertet habe, wisse: „Ohne andere Gestaltung bewirken Schilder und Gebote nichts.“ Nötig sei auch eine Parkkonzeption für die Innenstadt. OB-Bewerber Carsten Hansen (SPD) sagt zur nördlichen Bahnhofstraße: „Fußgänger und Radfahrer teilen sich einen zu engen Raum. Das ist wenig attraktiv und gefährlich.“ Eine geringere zulässige Höchstgeschwindigkeit könne die Gefahr für beide Verkehrsteilnehmergruppen reduzieren und den Verkehrsfluss verbessern. Darüber hinaus müsse aber sichergestellt sein, „dass Radfahrer jederzeit von Autofahrern gesehen werden können – derzeit werden sie oft von geparkten Fahrzeugen oder Bäumen verborgen.“