Im vergangenen Jahr hat auf dem Akademiehof über vier Wochen ein Verweilverbot von 23 Uhr an gegolten. Foto: Simon Granville

Während Stuttgart in Sachen Überwachung kräftig aufrüstet, geht die Barockstadt einen anderen Weg, der aus Sicht von Stadt und Polizei gut begründet ist.

Ludwigsburg - In Stuttgart wird die Videoüberwachung in der Innenstadt von Mai an kräftig ausgeweitet. Während die Landeshauptstadt gegen Krawallmacher, Flaschenwerfer und Übergriffige, die Frauen belästigen, aufrüstet, wird Ludwigsburg diesen Schritt nicht gehen. Auf dem Akademiehof, der innerhalb der Barockstadt als Brennpunkt gilt, sind andere Kontrollen vorgesehen – aber keine Kameras. Die Stadt begründet das mit rechtlichen Bedenken, der „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“ sei nicht erfüllt.

 

Denn aus ihrer und der Sicht der Polizei ist der Akademiehof gar kein Brennpunkt. Schlägereien, fliegende Flaschen, Angriffe – auch auf Polizisten –, all das gab es im vergangenen Jahr zwar, dennoch spricht die Statistik nicht dafür, dass sich der Akademiehof in Sachen Kriminalität besonders von anderen Plätzen beziehungsweise der Stadt insgesamt abhebt. Das allein oder aber ein so besonderes Ereignis wie die sogenannte Krawallnacht in Stuttgart würden eine Videoüberwachung rechtfertigen.

Wie schätzt die Polizei die Lage am Ludwigsburger Bahnhof ein?

Freie Wähler, CDU, SPD und Grüne hatten neben dem Akademiehof die „Hotspots“ Bahnhof, Rathausplatz und Bärenwiese in den Blick genommen – und gefordert, auch dort entsprechende Sicherheitskonzepte und den Einsatz von Kameras zu prüfen. Für diese Bereiche gilt laut der Polizei aber dasselbe wie für den Akademiehof: Der Einsatz von Kameras wäre zu viel des Guten.

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Auch wenn viele Menschen subjektiv ein anderes Gefühl haben, stufen die Ordnungshüter den Bahnhof – bezieht man das hohe Personenaufkommen dort mit ein – als „eher unauffällig“ ein. „Ein über die letzten sieben Jahre angelegter Vergleich von Straftaten im öffentlichen Raum zeigt für den Bahnhofsbereich sogar rückläufige Zahlen“, heißt es dazu. Noch klarer ist die Sache bei der Bärenwiese, die laut der Polizei ebenfalls keinen Kriminalitätsschwerpunkt darstellt. Die Zahl der Straftaten dort liegt über das Jahr gesehen im einstelligen Bereich.

Sexuelle Übergriffe spielen sich häufig „im Dunkelbereich“ ab

„Selbst wenn es auf dem Akademiehof deutlich mehr Straftaten geben würde als im Rest von Ludwigsburg, würde ich nicht für eine Videoüberwachung plädieren“, sagt Christian Zacherle, Leiter des Ludwigsburger Polizeireviers. Denn eine Anlage ist nicht nur teuer, sondern verschlingt auch enorme Personalressourcen. Läuft eine Kamera, muss das Geschehen rund um die Uhr beobachtet werden. In Mannheim seien dafür beispielsweise sechs Beamten im Schichtdienst nötig, so Zacherle. Und: Selbst wenn etwas passiert, sei fraglich, ob die Beamten schnell genug eingreifen könnten. „Wir haben vermutlich mehr Erfolg, wenn die Kollegen 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche auf dem Platz stehen.“ Polizei und Kommunaler Ordnungsdienst werden künftig deshalb weiter verstärkt auf dem Platz zwischen Film- und Kunsthochschule kontrollieren. Eine externe Sicherheitsfirma, wie sie die FDP vorgeschlagen hatte, sei deshalb nicht nötig.

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Im Jahr 2020 zählte die Polizei auf dem Akademiehof 18 Straftaten, das sind gerade einmal eineinhalb pro Monat. Christian Zacherle weiß aber auch, dass sich „viel im Dunkelfeld“ abspielt, besonders wenn es um sexuelle Übergriffe geht. Häufig werden solche Taten nicht angezeigt. Seit dem Jahr 2019 taucht gerade einmal ein Fall in der Statistik auf. Künftig können Opfer aber besser auf sich aufmerksam machen, helfen soll dabei ein neues Beleuchtungskonzept.

Sind Messer ein immer schwerwiegenderes Problem?

Mit einem sogenannten Panikknopf wird es auf dem Platz innerhalb von Sekunden taghell. Das Flutlicht und die „unangenehme Ausleuchtung“ soll Übergriffe verhindern. Damit kein Schindluder damit getrieben wird, ist die rund um die Uhr besetzte Leitwarte der Stadtwerke zwischengeschaltet. Zudem werden die dunklen Ecken mit Bewegungsmeldern und extra Lampen ausgestattet, das soll Wildpinkler davon abhalten, dort ihr Geschäft zu verrichten. Andreas Rothacker (Freie Wähler) forderte im Mobilitäts- und Umweltausschuss, wo das Thema beraten wurde, erneut eine „richtige Toilette“ auf dem Platz. Das würde auch die ansässige Gastronomie entlasten, so Rothacker. Bislang gibt es nur ein Provisorium, das im Winter abgesperrt wird. Die Stadt ziert sich noch, die 200 000 Euro in die Hand zu nehmen, die ein richtiges Klosett kosten würde.

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Stefanie Knecht (FDP) wollte im Ausschuss wissen, inwiefern Messer auf dem Akademiehof ein Problem seien, und brachte eine „messerfreie Zone“ ins Spiel. Die Stichwaffen seien in der Tat ein Problem, sagt Christian Zacherle, „sehr viele Jugendliche tragen Messer“. Das habe er zuletzt auch mit den Schulleitern aller 24 Ludwigsburger Schulen erörtert. „Allerdings gilt das nicht nur für Ludwigsburg und auch nicht für den Akademiehof im speziellen“, so Zacherle, der sich ein Verbot der Waffen durchaus vorstellen kann. Dazu müssten sich aber Messerstechereien häufen. Bislang sei das glücklicherweise nicht der Fall gewesen.

Was hat die Arbeitsgruppe „Sicherer Akademiehof“ erarbeitet?

Programm
Anders als der Markt- und Rathausplatz wird der Akademiehof bislang nicht für Feste genutzt. Künftig soll es zumindest unregelmäßige Events geben. Von Freiluftkino über Theater und Sportangebote ist vieles möglich. Auch ein gastronomisches Angebot, wie etwa ein Food-Truck, ist noch im Gespräch.

Personal
 Um die Ideen umzusetzen, fehlt es bei der Stadt an Personal. Auch die Polizei bemängelt, dass es für die „kommunale Kriminalprävention“ keinen Ansprechpartner gibt. Für eine halbe Stelle würden bei der Stadt Personalkosten in Höhe von 30 000 Euro anfallen. Ob sie ausgeschrieben wird, ist noch nicht entschieden.

Prävention
 Der Platz soll weiter ein Treffpunkt für die Jugend bleiben. Stadt und Polizei setzen daher auf Präventionsarbeit in Schulen und den Akademien, auch um Handlungsempfehlungen bei Übergriffen zu geben. Außerdem werden zwei Agenturen für Kampagnen – offline und auf sozialen Medien – eingekauft.