Es sollen mehr Nachtzüge durch Europa rollen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Bahn soll in ganz Europa wieder cool werden. Verkehrsminister Wissing befördert drei Forschungsprojekte. Aber es gibt ungezählte Baustellen und Hindernisse.

Seit Wochen ist Peter Cornelius oft am Abend auf den Berliner Fernbahnhöfen unterwegs. Der Vorsitzende des Landesverbands von Pro Bahn erlebte als Beobachter vor Ort mehrfach, dass Fahrgäste beim neuen Nachtzug Berlin-Stockholm völlig unzureichend informiert wurden. Schon die Premiere am 1. April missglückte. Zwei Tage darauf verpassten gar 35 Reisende den Zug, weil sie auch im Bahnhof keine hinreichenden Informationen bekamen, dass der EN-346 der schwedischen Staatsbahn SJ eine gute halbe Stunde früher in Berlin-Gesundbrunnen abfuhr als zuvor angegeben.

Nach dem Chaos schickte Cornelius, der auch der Nachtzug-Initiative Back-on-track angehört, eine schriftliche Beschwerde ans Eisenbahnbundesamt (Eba) und verlangte, dass die Aufsichtsbehörde die Zustände überprüft und die Missstände abstellt. Die Deutsche Bahn AG, die auch für Gleisbetrieb und Bahnhöfe zuständig ist, entschuldigte sich für die Versäumnisse und versprach, die Informationen rasch zu verbessern, als Medien über die Probleme berichteten. Cornelius trug seine Erfahrungen unter anderem der DB-Managerin Monika Jung und dem Qualitätsbeauftragten Holger Auferkamp vor.

Der neue Nachtzug läuft nicht reibungslos

Doch reibungslos läuft der neue Nachtzug nach Stockholm bis heute nicht. Vorigen Samstag fuhr er in Berlin bereits kurz vor 14 Uhr und damit vier Stunden früher ab, als Grund werden Bauarbeiten in Dänemark genannt. Die Fahrgäste wurde zwar von SJ informiert, doch im Hauptbahnhof gab es erneut ein Durcheinander, wie Cornelius berichtet. Erst eine halbe Stunde später wurde als Abfahrtsort Gleis 14 angezeigt, dann aber fuhr der EN-346 auf Gleis 13 ein.

Man habe selbst erst nachfragen müssen, erklärte die Aufsicht am Bahnsteig auf seine Nachfragen. Denn der Zug habe wegen der früheren Abfahrt eine neue Nummer für die Trassen- und Stationsanmeldung bekommen. Doch das erklärt für Cornelius nicht, warum die Änderung nicht rechtzeitig von den DB-Verantwortlichen an das Aufsichtspersonal und die Fahrgäste weitergegeben wurde. Erst mit 40 Minuten Verspätung fuhr der EN-346 schließlich los, beim Halt in Hamburg folgten dann ähnliche Probleme.

Viel Durcheinander

Bahnkunden müssen solchem Durcheinander künftig noch häufiger rechnen. Denn nicht nur in Deutschland werden mit Tausenden Baustellen die Schienenwege modernisiert, was zu vielen Umleitungen, Verspätungen und Zugausfällen führt. Die Folge: Fahrpläne, Zugfolgen und Ankunfts- wie Abfahrtgleise müssen geändert werden. Wenn dann wie beim EN-346 die Abstimmung zwischen der DB Netz als Betreiber der Schieneninfrastruktur und der schwedischen Staatsbahn nicht klappt, ist Chaos fast schon programmiert.

Die gute Nachricht: Von den Problemen lassen sich viele Reisende nicht abschrecken. Die Bahn erlebt als nachhaltiges Verkehrsmittel seit dem Ende der Corona-Flaute einen Fahrgastboom, der durch das neue Deutschlandticket für den Regionalverkehr weiter angefacht wird. Wer das Klima schützen will, wählt auch auf längeren Strecken lieber den Zug statt den Billigflieger. Zumal es auch über Nacht wieder mehr attraktive Verbindungen gibt, um bequem im Liege- oder Schlafwagen von Stadtzentrum zu Stadtzentrum zu reisen.

So startet Ende Mai das Start-up European Sleeper seinen ersten Nachtzug zwischen Brüssel, Amsterdam und Berlin. Marktführer ÖBB will seine Nightjets schon bald von der Spree bis nach Paris fahren lassen und sein Nachtzugangebot bis 2026 glatt verdoppeln mit den 33 neuen Zügen, die ab Sommer nach und nach in Betrieb gehen, zunächst auf der oft rasch ausgebuchten Linie München-Rom, die für Italien-Urlauber besonders reizvoll ist.

Ursula von der Leyen wirbt für die Bahn

Frankreichs Staatsbahn hat mehrere Nachtverbindungen zwischen Paris und Nizza, Marseille, Toulouse, Carcassonne und Lourdes wieder im Angebot und in Italien fährt die Staatsbahn Trenitalia zahlreiche Nachtzüge zwischen Mailand, Turin, Venedig und Florenz bis Rom und Neapel und hinunter nach Sizilien. Das französische Start-up Midnight Trains wiederum will die klassische Linie Paris-Venedig über Mailand mit Luxuszügen wiedbeleben.

Die Bahn soll in ganz Europa wieder cool werden, das ist das Ziel des Zukunftskonzepts TEE 2.0, das noch die frühere deutsche Regierung vor einigen Jahren angestoßen hat und von mehreren EU-Staaten mitgetragen wird.

Um die Ziele des Green Deal zu erreichen, der Klimaschutz in Europa voranbringen soll, brauche man „die Bahn als nachhaltigen Verkehrsträger mehr als je zuvor“, wirbt Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission. Schöne Visionen für mehr Bahn gibt es viele, an der Umsetzung aber hapert es bisher gewaltig.

Volker Wissing will den Nachtzugverkehr auch mit drei Forschungsprojekten befördern. Der Bundesverkehrsminister und seine neue Leiterin der Eisenbahnabteilung, Corinna Salander, lassen mit einer Studie die ökologischen und gesellschaftlichen Vorteile der Hotels auf Rädern ermitteln. Den auf zwölf Monate ausgelegten Auftrag in der europaweiten Ausschreibung hat dem Vernehmen nach das dänische Beratungsunternehmen Ramboll ergattert, eine offizielle Bestätigung gibt es noch nicht.

In zwei weiteren, auf drei Jahre angelegten Projekten des Deutschen Zentrums für Schienenforschung in Dresden und Bonn soll untersucht werden, ob und welche Standards für zeitgemäße Nachtzugwagen nötig sind und welche Wettbewerbshürden ein besseres Angebot verhindern. Die Projekte sollen demnach unter anderem klären, ob ein Grenzwert „aus dem Blickwinkel eines möglichst ungestörten Schlafes in der Nacht sinnvoll ist“.