Nichts geht mehr: Vor allem Samstag ist Bahnreisen von Stuttgart aus eine Geduldsprobe gewesen. Foto: Lichtgut - Ferdinando Iannone/Ferdinando Iannone

Eine defekte Oberleitung soll einen ganzen Bahnhof lahmgelegt haben? Wie kann das sein? Das fragen sich Tausende Reisende nach dem Bahninfarkt in Stuttgart.

Deutlich entspannter, aber immer noch voller Verspätungen und Ausfälle ist der Bahnverkehr am Sonntag rund um Stuttgart wieder angelaufen. Betroffen ist immer noch besonders der Fern- und Regionalverkehr. Und auch für den Montag, mit dem Start des Berufsverkehrs, muss mit Einschränkungen gerechnet werden. Für den S-Bahn-Betrieb wird „aktuell an einem Konzept gearbeitet“. Denn am Sonntag verkehrten die Linien S 4, S 5 und S 6 nur eingeschränkt.

Auch ein Stellwerk hat es erwischt

Und das nur wegen einer einzigen defekten Oberleitung? „Der Schaden hat eine ganze Gemengelage von Störungen ausgelöst“, sagt ein Bahnsprecher. Dazu gehört ein defektes Stellwerk, das am Sonntag noch zahlreiche Regionalzüge ausgebremst hat. Ein Infarkt mit weitreichenden Folgen: „Da wurden zahlreiche Elemente der Leit- und Sicherungstechnik, wie beispielsweise Signale, Weichen und Stellwerkstechnik, beschädigt“, so der Bahnsprecher.

Derzeit seien Dutzende Techniker mit den „notwendigen weiteren Reparaturen“ beschäftigt. In Bahnkreisen selbst ist zu hören, dass am Sonntag noch mehrere Signale gestört seien und dass die Dauer der Reparaturen auch von Ersatzteilen abhängig sei. Demnach könnte die Operation nach dem Infarkt noch mehrere Tage in Anspruch nehmen.

Was hat den Kurzschluss ausgelöst?

Ein Kurzschluss in einer Oberleitung soll es gewesen sein, der das Chaos am Samstag um – kein Faschingsscherz – genau 11.11 Uhr ausgelöst hat. Was zu diesem Kurzschluss geführt hat, sei aber noch unklar, so die Bahn auf Nachfrage. Bei einem ähnlichen Vorfall in Düsseldorf im April 2019 war es ein ICE gewesen, der die 15 000-Volt-Leitung heruntergerissen hatte. Ein Oberleitungsschaden im Stuttgarter Hauptbahnhof im Februar 2020 war durch ein Baugerät am künftigen S-Bahn-Tunnel ausgelöst worden. Ein Infarkt am Hamburger Hauptbahnhof Mitte Mai wurde von einem Kabelbrand verursacht – ein 1000-adriges Kupferkabel, das die Kommunikation der Stellwerke regelt, war offenbar nach einem Böschungsbrand beschädigt worden.

Am frühen Sonntagnachmittag heißt es aber nur: „Wir können noch nicht sagen, ob es ein externer oder ein interner Faktor war“, so der Bahnsprecher. Auf Twitter hatte ein Bahnreisender berichtet, dass eine brennende Oberleitung neben den Zug gefallen sei. Eine Bestätigung dafür gab es nicht.

Die Feuerwehr war jedenfalls um 11.30 Uhr mit einem Löschzug ausgerückt, weil im Gleisbereich der Rosensteinstraße im Nordbahnhofviertel eine rauchende Oberleitung gemeldet worden war. „Vor Ort mussten wir aber nicht tätig werden“, sagt Feuerwehrsprecher Daniel Anand.

Bundespolizei vermeldet friedliche Reisende

Immerhin haben die betroffenen Reisenden und Fahrgäste weitgehend Gelassenheit und Ruhe bewahrt – „bis auf ein paar Einzelfälle“, wie Bundespolizei-Sprecher Denis Sobek feststellt. Die Stimmung sei „weitgehend friedlich“ gewesen. Probleme hätten mündlich geklärt werden können. Die Beamten hätten weder Bahnsteige noch Züge räumen müssen. Auch frühere Zwischenfälle, bei denen Reisende auf der Strecke oder im Tunnel stehende Züge auf eigene Faust verlassen hätten, seien diesmal der Bundespolizei nicht bekannt geworden. „Bei allem muss man wissen“, sagt Sobek, „hier handelt es sich nicht um Strom aus der Steckdose, sondern um viel komplexere Verbindungen.“