In der Backstube ist Tina Reicherter (21) in ihrem Element. Auf unserem Bild bestreicht sie Teig für Plunderstückchen. Foto: Manfred Grohe

Tina Reicherter aus Reutlingen ist die beste Bäckergesellin im Südwesten. Die Zahl der Bäckereien geht zurück – doch warum hat sie keine Angst vor der Zukunft?

Die junge Frau steht in typischer Bäckerkluft in der Backstube: grau-weiß karierte Hose, weißer Schurz, weißes T-Shirt. Um sie herum wuseln etliche Mitarbeiter, ein Kollege trägt einen Sack mit Zutaten vorbei. Tina Reicherter schneidet an einem Tisch einen Teig in Streifen und faltet sie zusammen. „Das gibt Plunderstückchen“, sagt die 21-Jährige. In der Backstube hat sie ihr Hobby zum Beruf gemacht. Schon zu Hause hat sie gerne gebacken: Brot, Brötchen, Kuchen. „Vieles habe ich von meiner Mutter mitbekommen“, erzählt sie. Und es liegt wohl auch etwas in der Familie: Der Opa war Metzger, sein Bruder Bäcker in Reutlingen.

 

Doch der Weg vom Hobbybacken in die Backstube der Bäckerei Bayer im Reutlinger Ortsteil Mittelstadt war ihr nicht vorgezeichnet: Nach dem Abitur am Ernährungswissenschaftlichen Gymnasium mit der Note 2,1 wollte sie eigentlich Pharmazie studieren. Das aber hat sie sich anders überlegt: „Ich hätte zu viel Mathe lernen müssen.“ Schon zum Ende der Schulzeit hatte sie samstags im Laden beim Verkauf ausgeholfen. Ein Kollege aus der Backstube habe dann mal gesagt, „probier’s doch einfach aus“. Und dann gehörte sie zu den etwa 1180 weiblichen Lehrlingen, die in deutschen Backstuben Teig kneten und die Öfen heizen.

Das Hobby wird zum Beruf

Frauen sind dort, wie auch bei den ausgelernten Angestellten, in der Minderheit gegenüber den fast 4000 männlichen Bäckerlehrlingen. Es gibt aber offenbar auch hier einen Wandel: „Auch in der Backstube arbeiten immer mehr Frauen.“ Und: „Die Arbeit in der Backstube hat vom ersten Tag an Spaß gemacht“, berichtet sie.

Wichtig war auch, dass sie beim Teigkneten und Backen eine berufliche Grundlage legen und Geld verdienen konnte, 900 Euro im dritten Lehrjahr. Gut gelernt hat sie offenbar in ihrer Ausbildung: Nach der Gesellinnenprüfung im Juni 2021 wurde sie im Oktober bei einem Wettbewerb zur besten Nachwuchsbäckerin im Südwesten gekürt. Nur wenige Wochen später errang sie bei einem Bundeswettbewerb den zweiten Platz – ein Abschneiden, das den Weg zur Weltmeisterschaft im Juni in Berlin ebnete.

Erfolge bei Wettbewerben

„Man braucht eine große Fingerfertigkeit, wenn man den Teig kneten muss, und man muss auch etwas vom Ofen verstehen, man kann das nicht alles der Technik überlassen“, meint sie. Und ganz besonders freut es die Bäckerin, „dass man vom Teig bis zum fertigen Brot an allen Schritten mitwirkt: Das ist einfach schön, wenn dann das Brot aus dem Ofen kommt.“

An die Arbeit nachts gewöhnt

Geknetet und gebacken wird schon mitten in der Nacht, etwa um halb vier beginnt die Arbeit. „Am Anfang war das schon schwer, aber man gewöhnt sich dran.“ Hobbys am Abend sind praktisch passé. Früher ging sie tanzen, jetzt gibt es Zumba eben am Nachmittag. Auch der Besuch im Fitnessstudio oder Motorradfahren sind dann möglich: Wer früh anfängt, kann etwa um 13 Uhr aufhören. Langweilig wird die Arbeit offenbar nicht. Abwechslung bringen saisonale Angebote wie Weihnachtsgebäck oder Biskuithasen sowie regionale Reutlinger Spezialitäten wie Mutscheln oder Kimmicher.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Droht jetzt das große Bäckersterben?

„Man darf nicht stehen bleiben“, meint sie. So hat sie ihre Plunderstücke für die deutsche Meisterschaft mit Honig und Walnüssen zubereitet: „Das war nicht üblich.“ Und als besonderes Schmuckstück hat die junge Frau einen Hirsch auf einem Brotlaib präsentiert. Die Hirsche im Schönbuch haben sie dazu angeregt: „Ich lass mich auch von Tieren und Pflanzen inspirieren.“ Auch die Form spielt beim Gebäck eine Rolle: Manche mögen lieber eine Laugenstange statt eines Laugenbrötchens.

Vorstellen kann sich die Bäckerin, auch mal im Ausland zu arbeiten. Und ebenso, ihr Wissen weiterzugeben: In der Berufsschule oder an einer der Akademien des Bäckerhandwerks. Und wenn ein Wunsch in Erfüllung gehen würde, könnte das auch eine kleine eigene Bäckerei mit einem Café sein.

Bäcker Bayer: Keine Angst vor Ketten

Immerhin, so heißt es beim Zentralverband des Bäckerhandwerks in Berlin, gebe es jedes Jahr 400 Neugründungen. Dennoch ist die Zahl der selbstständigen Betriebe in den vergangenen Jahren deutlich geschrumpft. Zu den jetzt noch 10 180 Betrieben gehört auch die 1955 gegründete Bäckerei Bayer, bei der Reicherter arbeitet. Bäckermeister Martin Bayer, der Enkel des Firmengründers, beschäftigt 30 Mitarbeiter und betreibt seit Längerem auch eine Filiale. Sein Albkorn-Mehl kauft er von der Luzmühle in Münsingen. Biobäcker ist Bayer nicht, und er sagt es salopp so: „Lieber kontrolliertes Korn von der Alb als Bioware aus Brasilien.“ Bayer setzt auf Regionales und kurze Transportwege. Angst vor Ketten und Discountern quält ihn offenbar nicht. „Wir sind hier der Platzhirsch“, meint der Bäckermeister. Anfang März hat er einen neuen Laden bezogen, jetzt gibt es mehr Platz für die Backstube.

Chance für kleine Bäckereien

Auch Tina Reicherter glaubt nicht, dass der Untergang kleiner Geschäfte zwangsläufig kommt: „Man muss sich spezialisieren, nicht eine riesige Menge an Brotsorten anbieten, sondern wenige, die richtig gut sind. Ich habe einen Beruf mit Zukunft“, sagt die Bäckerin, die nächstes Jahr ihre Meisterprüfung ablegen will. Der Hirsch, das Schmuckstück, das sie schon bei der deu tschen Meisterschaft präsentiert hat, tritt auch bei der Weltmeisterschaft an – aber größer und nicht so flach wie ein Ausstecherle, sondern dreidimensional, sagt sie. „Man muss eben innovativ sein. Und deswegen mache ich meinen nächsten Hirsch in 3-D.“

Die Zahl der Bäcker geht zurück

Bund
Die Deutschen haben 2020 knapp 57 Kilogramm Brot und Backwaren gegessen. Damit kam das Bäckerhandwerk auf einen Umsatz von etwa 14,5 Milliarden Euro. Die Zahl der Betriebe ging seit 2015 von 12 150 auf 10 180 zurück. Die Zahl der Beschäftigten sank von 275 200 auf 255 300, die der Azubis nahm von 20 540 auf 13 410 ab.

Land
Der Umsatz der 1500 Bäckereien im Südwesten blieb in den vergangenen fünf Jahren konstant bei etwa 2,5 Milliarden Euro. Die Zahl der Beschäftigten sank 53 000 auf nur noch 47 000 Mitarbeitende.