LKA-Präsident Ralf Michelfelder (58): „Aus moralischer und ethischer Sicht unerträglich, dass Personen hier in Deutschland Schutz suchen, die unvorstellbare Gräueltaten begangen haben.“ Foto: dpa

LKA-Chef Ralf Michelfelder und sein Abteilungsleiter Staatsschutz, Hans Matheis, im Interview über Rückkehrer aus Syrien, 100 islamistische Gefährder in Baden-Württemberg und Frauen im Dschihad: „Die Ideologie des Islamischen Staates ist nach wie vor aktiv.“

Stuttgart - Hat sich das Thema Terror für den LKA-Chef Ralf Michelfelder und seinen Abteilungsleiter Staatsschutz, Hans Matheis, mit dem Niedergang des Ismalischen Staats erledigt? Im Interview erklären die beiden, warum dem nicht so ist.

Herr Michelfelder, Herr Matheis, der Islamischer Staat hat in Syrien seine letzte Bastion verloren. Hat der Terror nun ein Ende?

Michelfelder : Der IS ist in Syrien militärisch geschlagen, seine Ideologie aber ist nach wie vor aktiv und gerade für junge Menschen aus Randgruppen weiterhin attraktiv. Das virtuelle Kalifat, quasi das Internet-Vermächtnis des IS-Anführers Abu Bakr al Baghdadi, verbreitet sich nach wie vor in sozialen Netzwerken, dem Internet, in Kurznachrichten. Vor diesem Hintergrund sage ich: Die Abwehr eines Terrorangriffs hat weiterhin oberste Priorität in Baden-Württemberg.

Matheis : Ich möchte das unterstreichen. Die Sogwirkung des IS, Anhänger in seine Kriegsgebiete des Mittleren Ostens zu holen, hat schon vor etwa einem halben Jahr deutlich nachgelassen. Jetzt steigen die Zahlen derer, die in ihre Heimatländer zurückwollen. Auch nach Deutschland. Diese Personen und Sympathisanten der Terrorgruppe – so stellen meine Ermittler das verstärkt in digitalen Medien fest – trifft auf eine veränderte Werbebotschaft des Islamischen Staates: Trefft die Ungläubigen dort, wo ihr sie findet. Trefft sie mit einfachsten Mitteln: einem Messer, einem Lastwagen, einem Auto.

Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Frauen und Kinder?

Matheis : Eine bedeutende. Frauen sind im Dschihadismus immer schon wichtig gewesen: Sie haben Spenden gesammelt, Kämpfer und Unterstützer rekrutiert, den Kriegern in den Kriegsgebieten ein familiäres Umfeld geschaffen. Genau das wird jetzt wieder auf uns zu schwappen ...

… inwiefern?

Matheis : Unter den Rückkehrern aus Syrien und dem Irak sind auch Frauen und Kinder. Die Gefahr, die von ihnen hier in Deutschland ausgehen wird, ist äußerst schwierig abzuschätzen. Im Extremfall wissen wir nur, wann jemand Baden-Württemberg verlassen hat. Was sie dann in Syrien, im Irak gemacht hat, dass wissen wir nicht immer. Die Spannbreite reicht von der Ehefrau, die den Haushalt geregelt hat, bis hin zu Mitgliedern der Scharia-Polizei, die mit drastischen Strafen dafür gesorgt hat, die Regeln des IS einzuhalten.

Michelfelder : Mir machen in diesem Zusammenhang die Kinder Sorgen, die mit in die Kriegsgebiete gingen oder dort geboren wurden. Das System IS beinhaltete auch die Gehirnwäsche bei Kindern, ihre quasi militärische Ausbildung, ihre an der Ideologie des IS ausgerichteten Schulbildung.

Was erwarten Sie für Baden-Württemberg?

Matheis : Baden-Württembergs Verfassungsschutz und LKA gehen von 50 Personen aus, die aus Baden-Württemberg in die Krisenregion Syrien/Irak ausgereist sind. Im Moment haben wir Informationen, dass etwa 10 Personen davon zurückkehren möchten. Möglich ist auch, dass Rückkehrer in andere Bundesländern künftig in Baden-Württemberg leben wollen, weil sie hier Verwandte haben.

Warum verweigern Sie diesen Menschen die Einreise nicht einfach?

Michelfelder : Das sind deutsche Staatsbürger! Denen kann die Einreise nach Deutschland nicht verweigert werden. Zu den möglichen Rückkehrern kommen zudem die, die derzeit im Irak verurteilt wurden und sich dort in Haft befinden. Sie werden sehr wahrscheinlich nach Deutschland zurückkehren wollen, wenn sie ihre Strafen verbüßt haben.

Matheis : Wir arbeiten in allen Fällen von Rückkehrern mit Organisationen zusammen, die darauf spezialisiert sind, Menschen zu deradikalisieren. Wenn junge Familien und Kinder betroffen sind, kooperieren wir eng mit den Jugendämtern aber auch mit anderen Organisationen wie dem beim Innenministerium angesiedelten Konex.

Das alles müsste sich in den Zahlen Ihrer Ermittlungsverfahren niederschlagen …

Matheis : … das tut es: Aktuell haben wir im Bereich des Islamismus deutlich mehr als 100 Ermittlungsverfahren in Baden-Württemberg anhängig. Knapp 100 Gefährder, also Personen, von denen eine Gefahr ausgehen könnte, beobachten wir im islamistischen Spektrum. Ihre Zahl hat sich die letzten sechs Jahre verzehnfacht. Das zeigt, dass die Bedrohung nicht nachgelassen hat.

Michelfelder : Zudem beobachten wir, dass zumindest in den Krisenregionen die tot geglaubte al Kaida so etwas wie eine Wiedergeburt erlebt. Dass der IS sein Staatsgebiet in Syrien und dem Irak verloren hat, bewirkt in der Szene, dass die Menschen wieder offen werden für andere Botschaften, andere Strategien. Das wird seine Zeit brauchen, bis diese Renaissance al Kaidas auch Deutschland erreicht.

Im Internet, in dschihadistischen Foren und in den Pressemitteilungen bosnischer und kosovarischer Sicherheitsbehörden ist zu lesen, dass die islamistische Szene in diesen Ländern wächst. Was passiert da ein paar Grenzübergänge von Deutschland entfernt?

Michelfelder : Wir haben zwar keine eigenen Vertreter auf dem Balkan, aber die Nachrichten, die uns erreichen besorgen uns schon. Wir sehen die Propaganda in der digitalen Welt, deren Spuren immer wieder in diese Region führen. Vergessen wir nicht: Al-Kaida hat seinen Weg auf die islamistische Weltbühne im Bosnienkrieg in den 1990er Jahren gefunden. Da scheint sich eine Szene wieder zu beleben, die sehr wachsam zu beobachten ist, weil sie aufgrund der Verflechtungen mit hier lebenden Personen auch Auswirkungen auf Baden-Württemberg entwickeln kann

Matheis : Zumal auch Moscheen und islamische Kulturvereine in Baden-Württemberg dieser Szene zugerechnet werden müssen: Von dort aus sind Personen nach Syrien und in den Irak ausgereist, die sich dort dschihadistischen Gruppen angeschlossen haben. Das hat mit zu Vereinsverboten beigetragen, die der Innenminister ausgesprochen hat.

Matheis : Ich will das mit einem konkreten Beispiel unterstreichen: Uns hat sehr verwundert, als kürzlich ein Mann aus dieser Szene mit seiner Familie nach Bosnien ausreiste. Es gibt keine vernünftigen Erklärungsansätze für dieses Verhalten: Wirtschaftlich ist es hier allemal besser als in Bosnien, von den Bildungsmöglichkeiten für die Kinder einmal ganz abgesehen.

Neue islamistische Brennpunkte auf dem Balkan, Terroranschläge in Frankreich und Belgien – wie wichtig ist internationale Zusammenarbeit für Baden-Württemberg?.

Michelfelder : Unverzichtbar! Wir werden auch in Baden-Württemberg herausgefordert von global agierenden und rund um den Erdball vernetzten Akteuren. Dem können wir nur begegnen, wenn wir international zusammenarbeiten. Dazu brauchen wir direkte Zugänge in anderen Ländern.

Matheis : Als im vergangenen September in Ravensburg auf dem Marktplatz ein Täter drei Menschen mit einem Messer angegriffen hat, fragte das FBI bei mir nach Hintergründen, noch bevor Medien überhaupt über den Vorfall berichteten. Das zeigt: Wir haben eine weltweite, schnelle, direkte, vertrauensvolle Kommunikation mit den Experten und Sicherheitsbehörden.

Michelfelder : Mir ist es wichtig, dass wir zudem die Herausforderungen und Ermittlungsarbeit internationaler Sicherheitsbehörden kennen. Dadurch können wir unsere eigene Arbeit nur verbessern. Deshalb legen wir großen Wert darauf, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich international beispielsweise beim Marschall-Center in Garmisch-Partenkirchen oder bei über die FBI Academy in Quantico bei Washington vernetzen. Man muss sich kennen und sich vertrauen, um gemeinsam erfolgreich gegen den Terrorismus zu kämpfen.

Das baden-württembergische LKA hat in fast 35 Strafverfahren ermittelt, in denen Kriegsverbrechen in Syrien aufgearbeitet wurden …

Matheis : … die von Tätern begangen wurden, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen und hier Schutz suchten. Das hat uns in den vergangenen beiden Jahren sehr stark beschäftigt, wenn auch von diesen Tätern keine Gefahr für uns in Deutschland ausging.

Michelfelder : Für mich ist es nicht nur aus rechtlicher, sondern auch aus moralischer und ethischer Sicht unerträglich, dass Personen hier in Deutschland Schutz suchen, die unvorstellbare Gräueltaten in Syrien und im Irak begangen haben. Das verkehrt unser Verständnis von Asyl geradezu ins Gegenteil. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass wir solchen Personen die Stärke des Rechtsstaates vor Augen führen. Sie verurteilen und nach Verbüßung ihrer Haftstrafen konsequent in ihre Herkunftsländer abschieben.