An vielen Grundschulen im Südwesten ist nach dem Sommer erstmal Schluss mit Noten. (Symbolbild) Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Sagen sechs Ziffern mehr als tausend Worte? Keinesfalls, findet die baden-württembergische Kultusministerin - zumindest, wenn es darum geht, die Leistung von Kindern im Klassenzimmer zu beurteilen.

An vielen Grundschulen im Südwesten ist nach dem Sommer erstmal Schluss mit Noten - trotzdem wird nach Worten von Kultusministerin Theresa Schopper am Leistungsprinzip festgehalten. Die Grünen-Politikerin verteidigte im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart den bald startenden Versuch. „Es geht überhaupt nicht darum, dass wir Kuschelpädagogik einführen wollen oder dass uns da der Leistungsgedanke abhandenkommen wird. Da kann ich alle scheu gemachten Pferde beruhigen.“

Hintergrund: An 39 Schulen sollen Mädchen und Jungen von der ersten bis zur vierten Klasse an keine Zensuren mehr bekommen. Der Testlauf wurde im Koalitionsvertrag von Grün-Schwarz vereinbart. Neu ist die Idee nicht: Schon vor fast zehn Jahren gab es einen solchen Versuch. 2013/2014 nahmen zehn Schulen am Projekt „Grundschulen ohne Noten“ teil. 2017 verkündete Schoppers Vorgängerin Susanne Eisenmann (CDU) das Aus.

Während die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, SPD und Grüne das neue Projekt begrüßen, hagelt es Kritik von FDP und vom Philologenverband. Verbandschef Ralf Scholl kritisierte, Schule dürfe nicht zu einem „alleinigen Schonraum“ verkommen. Er sprach gar von einer „Verachtung von Noten“ an vielen Gemeinschaftsschulen. Der Verband vertritt gymnasiale Lehrkräfte - auch solche, die an Gemeinschafts- und Gesamtschulen unterrichten. Das Projekt ziele auf die „Maximierung des Wohlfühlens der Kinder auf Kosten des Lernfortschritts“, sagte Scholl. Viel zu viele Lehrkräfte orientierten sich am Prinzip des „Nicht-Beschämens der Schüler“.

Schopper sagte zu der Kritik: „Da muss ich ehrlich sagen, ganz unabhängig von Ziffernnoten oder anderen Rückmeldungen: Ich will eigentlich gar kein Kind beschämen. Das ist nicht Sinn und Aufgabe von Schulen, Kinder zu beschämen und sie runterzuputzen.“ Kindern mit Defiziten müsse man zwar klar sagen, dass sie noch üben müssten. „Aber ihnen zu sagen, dass sie da der Trottel vor dem Herrn sind, das gehört nicht in die Schule.“

Für Lehrkräfte sei die Form der Beurteilung anstrengender

Die Ministerin will grundsätzlich prüfen lassen, ob Noten das richtige Instrument sind, um Kindern eine Rückmeldung zu ihrer Leistung zu geben. „Klar: Noten sind geübt und eingeübt, damit kann jeder etwas anfangen.“ Aber: „Was sagt denn das aus, du bist in Deutsch bei einer 4? Wie gut ist man im Lesen oder Schreiben? Oder war das Kind gerade bei einer Arbeit an dem Tag abgelenkt, weil sein Meerschweinchen krank ist? Das alles kommt da nicht raus.“ Es sei viel wichtiger, die Entwicklung eines Kindes zu sehen.

Für Lehrkräfte sei die Form der Beurteilung anstrengender. „Diejenigen, die sich da auf den Weg begeben haben, sagen: Es ist viel zielgenauer, um auch noch mal nachsteuern zu können.“ In der Wirtschaft würden Angestellte auch nicht mit 1 bis 6 bewertet. Es gehe um kontinuierliches Feedback. „Das heißt: Es wird nicht wie bei einer Klassenarbeit das Wissen vorher gesammelt und dann abgefragt und eine Note gegeben. Sondern das Feedback gibt es immer Schritt für Schritt und begleitend.“

Der Landeselternbeirat stärkte dem Philologenverband den Rücken. „In einer Zeit, in der Kuschelpädagogik gesellschaftlich tragfähig wird, muss man fragen dürfen, ob Leistung noch da sein wird oder nicht“, sagte der Vorsitzende Michael Mittelstaedt. Er sprach von einem „komischen Paket“ mit vielen offenen Fragen. Beim früheren Versuch habe jeder gemacht, was er wollte. Deshalb sei ein verbindlicher Standard für die Bewertungen erforderlich. „Es kann nicht sein, dass jeder vor sich hin wurschtelt.“

Auch sei unklar, wer die Lehrer zu den pädagogischen Fachgesprächen befähige. Mittelstaedt bezweifelt zudem, dass die Bewertung für Eltern verständlich sei, die „eher persönlich oder kulturkreisbedingt derartige längere Lehrergespräche meiden“ würden. Er stört sich auch am Vergleich mit der Wirtschaft. Arbeitszeugnisse hätten keinen pädagogischen Anspruch und seien häufig „warme Worte statt harter Zahlen“. „Wie formuliere ich, wenn ein Kind die Klasse wiederholen soll?“ Es brauche eine unabhängige Evaluation des Projekts.

Darauf pocht auch die CDU-Fraktion - und drängt auf eine „leistungsaffine Kontrollgruppe“, die auch Noten erhält. „Der Verzicht auf Ziffernnoten darf im Ergebnis nicht zu einem Niveauverlust führen“, sagte der bildungspolitische Sprecher Alexander Becker.

Schopper betonte, dass die Teilnahme an dem Projekt freiwillig sei. Auf die Frage nach einer Ausweitung auf alle Grundschulen im Südwesten gab sie sich noch zurückhaltend. Der Modellversuch sei auf drei Jahre angelegt. „Es soll niemandem übergestülpt werden, der seine Kinder gerne weiterhin im System mit Noten hätte“, sagte die Grünen-Politikerin. „Den Versuch jemandem aufzuoktroyieren, der von Noten zutiefst überzeugt ist - den brauchen wir nicht katholisch zu machen.“ Man teste einfach eine moderne Art der Rückmeldung - „und zwar nicht in einem ideologischen Modus“. Auch eine Ausweitung auf andere Schulformen sei derzeit kein Thema. „Wir machen das in Grundschulen und damit ist es erst mal gut.“