Beweismittel in Form von Waffen, die bei einem SEK-Einsatz in Boxberg sichergestellt wurden (Archivbild). Foto: dpa/Christoph Schmidt

Der Reutlinger „Reichsbürger“, der einen Polizisten bei einer Razzia anschoss, soll mehr als 20 Waffen besessen haben – er sitzt in Untersuchungshaft. Doch im Land laufen noch einige Extremisten mit Waffenbesitzkarten herum, wie neue Zahlen zeigen.

Mehr als drei Dutzend sogenannte Reichsbürger, Selbstverwalter und Extremisten dürfen im Südwesten erlaubnispflichtige Waffen besitzen. Das geht aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der SPD-Fraktion hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Insgesamt 31 „Reichsbürger“ und Selbstverwalter, sechs Rechtsextremisten und eine Person, die dem „auslandsbezogenen Extremismus“ zugerechnet wird, besitzen demnach eine waffenrechtliche Erlaubnis. Das Ministerium beruft sich dabei auf eine Abfrage bei den Waffenbehörden im Land zum 1. Februar. Ein Jahr zuvor, so berichtete das Ministerium auf Nachfrage, waren es noch 23 „Reichsbürger“ und Extremisten in Waffenbesitz.

Im Besitz der gut drei Dutzend „Reichsbürger“ und Extremisten waren demnach 27 Waffenbesitzkarten, 25 sogenannte Kleine Waffenscheine und ein Europäischer Feuerwaffenpass. Begründet wurde der Waffenbesitz 17 Mal mit Sportschießen, vier Mal mit der Jagd, vier Mal mit sogenanntem Altbesitz, zwei Mal mit Erbe und einmal mit der Verwendung einer Seenotsignalpistole für die Schifffahrt.

Waffenbesitzkarte erlaubt Erwerb und Besitz

Der Kleine Waffenschein erlaubt es seinem Inhaber, bestimmte Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen bei sich zu haben. Benutzt werden dürfen sie nur bei Notwehr oder Notstand. Die Waffenbesitzkarte erlaubt den Erwerb und den Besitz, nicht aber das Führen von Waffen. Die Karte berechtigt aber zur geregelten Nutzung. Träger einer Karte müssen ein berechtigtes Bedürfnis nachweisen: zum Beispiel als Sportschütze, als Jäger oder als Waffensammler. Der Europäische Feuerwaffenpass ermöglicht Inhabern von Waffenbesitzkarten, Waffen und Munition vorübergehend in andere EU-Mitgliedsstaaten oder Schengenstaaten mitzunehmen.

Der Waffenschein berechtigt dazu, eine geladene Schusswaffe in der Öffentlichkeit am Körper zu tragen. Dieses Dokument ist einem kleinen Personenkreis vorbehalten. Neben Volljährigkeit, Zuverlässigkeit und persönlicher Eignung muss ebenfalls ein nachvollziehbares Bedürfnis sowie waffentechnisches und -rechtliches Wissen vorliegen.

„Reichsbürger“ und Extremisten mit Waffen – wie kann das sein?

Aber wie kommt es, dass 38 „Reichsbürger“ und Extremisten noch Waffen besitzen dürfen? Ein Sprecher des Innenministeriums erläuterte, dass die Waffenbehörden schlicht Zeit brauchten, um das rechtsstaatliche Verfahren durchzuführen und den Extremisten die Waffenerlaubnis zu entziehen. So müssten etwa Fristen für Stellungnahmen beachtet werden. Man werde die Zahl nie ganz auf Null bringen, so der Sprecher - insbesondere weil der Verfassungsschutz die Szene durchleuchte und immer mehr „Reichsbürger“ ausfindig mache. Die Szene sei zudem während der Pandemie deutlich gewachsen. Zuletzt wurden ihr in Baden-Württemberg 3800 Personen zugerechnet.

Die SPD-Fraktion zeigt sich dennoch empört und wirft Innenminister Thomas Strobl (CDU) Tatenlosigkeit vor. „Es ist schlimm genug, wenn sich Extremisten illegal Waffen beschaffen. Dass sie aber sogar Waffen mit staatlicher Erlaubnis horten, ist ein Skandal“, sagte Sascha Binder, innenpolitischer Sprecher der Fraktion. „Verfassungsfeinden muss jedes Recht versagt werden, Waffen zu besitzen.“ SPD-Verfassungsschutzexperte Boris Weirauch forderte von Strobl einen ministeriellen Erlass an die Waffenbehörden, um dafür zu sorgen, dass sich Verfassungsfeinde nicht länger bewaffnen könnten. Die Lehre müsse der Minister aus der „Reichsbürger“-Razzia von Reutlingen ziehen.

Mutmaßlicher „Reichsbürger“ schoss auf SEK-Beamten

Im März war bei einer Razzia gegen die Szene eine Durchsuchung in Reutlingen eskaliert – ein mutmaßlicher „Reichsbürger“ schoss auf einen SEK-Beamten und verletzte diesen am Arm. Innenminister Strobl sprach später von einem „perversen“ Waffenarsenal, das bei dem Mann gefunden worden sei. Strobl dringt seit Jahren darauf, dass Pistolen und Gewehre nicht in die Hände von Extremisten und „Reichsbürgern“ gelangen. Bereits im Jahr 2017 wurden die Waffenbehörden angewiesen, an „Reichsbürger“ und Extremisten keine waffenrechtliche Erlaubnisse zu erteilen und bereits erteilte Erlaubnisse - soweit möglich - zurückzunehmen. Seitdem habe man der Szene 512 Waffen entzogen, so das Ministerium.

Strobl drängt derzeit mit anderen CDU-geführten Ländern beim Bund auf eine weitere Verschärfung des Waffenrechts. Bislang darf nur Waffen besitzen, wer als rechtlich zuverlässig gilt. Das Waffengesetz unterscheidet dabei die sogenannte Regelunzuverlässigkeit und die absolute Unzuverlässigkeit. Bei letzterem darf unter keinen Umständen eine Erlaubnis erteilt werden. Das gilt etwa für Menschen, die in den vergangenen zehn Jahren wegen eines Verbrechens verurteilt wurden. Für eine aktuelle oder ehemalige Mitgliedschaft in einem verbotenen Verein, einer verfassungswidrigen Partei oder verfassungsfeindlichen Vereinigung wird bislang die Regelunzuverlässigkeit attestiert. Das gilt bislang auch im Falle einer nachgewiesenen Zugehörigkeit zur „Reichsbürger“-Bewegung.

Wegen mehrfachen versuchten Mordes in Untersuchungshaft

Solche Fälle sollen laut Strobl künftig eine absolute waffenrechtliche Unzuverlässigkeit begründen – was Widerspruchsmöglichkeiten deutlich erschweren würde. Strobl pocht auf einen Gesetzentwurf der Ampel-Regierung.

Der mutmaßliche „Reichsbürger“ aus Reutlingen sitzt nun wegen mehrfachen versuchten Mordes in Untersuchungshaft. Nach Angaben aus dem Ministerium besaß der Sportschütze vier Waffenbesitzkarten, einen Kleinen Waffenschein und sogar eine Erlaubnis zum Besitz von Sprengstoff. Der Widerruf der Erlaubnisse befinde sich derzeit in Bearbeitung, so das Ministerium in der Antwort an die SPD. Eine weitere neue Erkenntnis: Der Mann war der Polizei bereits 2021 bei einer Querdenker-Demo aufgefallen, als er gegen das Uniformverbot verstieß – er wurde deshalb vom Amtsgericht Tübingen zu einer Geldstrafe verurteilt.