Australiens Aborigines suchen auch in Europa nach Spuren ihrer historischen Identität Foto: EPA

Am Handel mit Skeletten und Schädeln australischer Ureinwohner waren auch Forscher aus dem Südwesten beteiligt. Erstmals gibt Baden-Württemberg nun Schädel zurück, melden die „Stuttgarter Nachrichten“.

Stuttgart - Mit großem Gepäck reist der Schwede Erik Mjöberg 1911 aus Australien in seine Heimat zurück. Auffällig groß für den australischen Zoll. Was er ausführe? „Skelette von 20 Känguruhs“, sagt Mjöberg. Tatsächlich bringt er Gebeine von Aborigines nach Schweden. Für Australiens Department of Communication and arts ein typischer Fall.

Australien fahndet weltweit nach Aborigines-Gebeinen

Weltweit fahnden die Mitarbeiter nach Skeletten und Schädeln indigener Australier. Über die australische Botschaft in Berlin erreicht vor geraumer Zeit auch die baden-württembergische Landesregierung eine entsprechende Anfrage. Es gebe Hinweise, dass sich in Sammlungen des Landes Schädel indigener Australier befänden.

Erste Anfrage in Stuttgart schon 2007

Überrascht ist in Stuttgart niemand. Bereits 2007 hatte Australien um eine Klärung gebeten. Und früh ist seinerzeit klar: Die Spur führt in die Sammlungen der Albert Ludwigs-Universität in Freiburg – um 1860 hatte der Freiburger Anatom und Pathologe Alexander Ecker die auch nach ihm benannte Schädelsammlung begründet – und des Lindenmuseums in Stuttgart.

Verantwortliche in Freiburg plädieren bereits 2004 für eine Rückgabe

Schon 2004, drei Jahre vor der offiziellen Anfrage aus Australien, hatte Dieter Speck als Leiter des Archivs und des Universitätsmuseums eine mögliche Rückgabe von Schädeln befürwortet. Speck macht aber auch deutlich, dass die Rückgabe intensive Forschungsarbeiten voraussetzt. Ende Oktober 2010 sagt die Freiburger Anthropologin Ursula Wittwer-Backofen: „Wir haben Anfang 2009 begonnen, die Unterlagen zu sichten. Konkret am Material aber haben wir begonnen zu arbeiten seit Anfang dieses Jahres.“

Analyse der mitochondrialen DNA bringt Klarheit

Nach mehrjährigen Untersuchungen ist klar: Acht Schädel aus der Sammlung der Universität Freiburg und zwei Schädel aus der Sammlung des Lindenmuseums in Stuttgart können über die Erforschung der sogenannten mitochondrialen DNA zweifelsfrei als „human remains“, als menschliche Zeugnisse australischen Ursprungs identifiziert werden.

Einst mischten sich Forschung und Handel

In der Nachfrage aus Europa ging es keineswegs nur um Forschungsinteressen. So forderte der Hamburger Kaufmann Cesar Godeffroy von ihm finanzierte Naturforscher auf, Skelette und Schädel von Aborigines nach Deutschland zu schicken. Dies sei„wichtig für die Völkerkunde“. Tatsächlich werden die Gebeine zur Handelsware. So verlangt Godeffroy in einem Angebotskatalog von 1874 für einen Aborigines-Schädel 600 Silbergroschen – und bietet unmittelbar daneben ein Fledermausskelett an.

In Deutschland werden die Gebeine Teil der „Rassen“-Forschung

Und das unterstellte wissenschaftliche Interesse? In Deutschland werden die Gebeine aus Australien bald Teil der „Rassen“-Forschung. Auch hier ergeben sich Bezüge zu Freiburg: Der Anthropologe Eugen Fischer, fast drei Jahrzehnte für die Sammlung verantwortlich, zählte zu den zentralen Personen der nationalsozialistischen Rassenideologie.

Aborigines gelten im 19. Jahrhundert als Urmenschen

Die „Rassen“-Debatte beginnt jedoch früher. Dabei werden indigene Australier häufig für eine besonders frühe Stufe der Menschheitsentwicklung gehalten. In einer Stellungnahme der Berliner Charité heißt es 2013: „Da man diese Population für vom Aussterben bedroht hielt, waren sterbliche Überreste von indigenen Australiern besonders wertgeschätzte Forschungs- und Sammlungsobjekte. Diese damaligen Vorstellungen sind aus heutiger Sicht völlig unhaltbar.“

Meist wurden Gräber geplündert, um an Skelette zu kommen; es gibt aber auch den Verdacht, einige Forscher hätten Ureinwohner getötet oder töten lassen.

Wandel in der australischen Innenpolitik

Anfang der 2000er Jahre beginnt die australische Regierung, die Gebeine in die Heimat zurückzuholen. Der Vorstoß hat einen innenpolitischen Hintergrund – es geht um die Klärung der eigenen Geschichte und um die Aussöhnung mit den Aborigines, den australischen Ureinwohnern. Die australischen Nachforschungen ergeben, dass sich seinerzeit in mehr als 50 Einrichtungen in 13 Ländern mehrere tausend Gebeine befinden oder befanden. Schweden reagiert als erstes auf die Anfragen. Bis 2008 werden Skelette aus dem Ethnologischen Museum in Stockholm und der Universität in Lund zurückgegeben. Andere Länder folgen – darunter Großbritannien und die USA.

Zahlreiche Aborigines-Gebeine in der Berliner Charité

In Deutschland richtet sich das Interesse zuvorderst auf die Sammlung der Berliner Charité. Nach mehr als sechs Jahren meldet man am 26. April 2013 Vollzug: „Die Charité“, heißt es , „hat die Gebeine von 33 indigenen Australiern an eine australische Delegation übergeben. Vertreter der indigenen Australier waren nach Deutschland gekommen, um die ancestral remains in Empfang zu nehmen und ,nach Hause’ zu begleiten.“

Land will zehn Schädel zurückgeben – Ministerrat muss entscheiden

Nun will Baden-Württemberg die zehn identifizierten Aborigines-Schädel zurückgeben. Nach Informationen unserer Zeitung im April in Stuttgart. Offiziell bestätigen wollte dies bisher niemand. An diesem Dienstag steht das Thema auf der Tagesordnung des Ministerrates.