Am Freitag lagen 380 Corona-Erkrankte in Intensivbetten im Südwesten, am Samstag waren (Archivbild). Foto: dpa/Jens Büttner

Nur noch knapp 20 Corona-Intensivpatienten in Baden-Württemberg braucht es, und der Grenzwert für die Alarmstufe ist erreicht. Das Land trifft wegen der zugespitzten Lage Vorkehrungen.

Stuttgart - Im Landkreis Biberach als erster Region in Baden-Württemberg gilt seit Samstag die sogenannte Alarmstufe wegen hoher Corona-Zahlen. Aber auch der Rest des Bundeslandes steuert darauf zu. Erreicht oder überschreitet die Zahl der Corona-Patienten auf Intensivstationen in baden-württembergischen Krankenhäusern an zwei Werktagen in Folge die Marke von 390, zieht das Land die Zügel an. Noch schärfere Maßnahmen vor allem für Ungeimpfte gelten dann. Zur Abschätzung: Am Samstag lagen 372 Corona-Erkrankte in Intensivbetten, 8 weniger als am Tag zuvor.

Die Lage an den Kliniken

Um der angespannten Lage auf den Intensivstationen im Südwesten Herr zu werden, müssen manche Patienten womöglich in andere Bundesländer verlegt werden. Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) sagte unserer Redaktion (Plus), dass dazu schon Gespräche liefen. „Gerade in Norddeutschland ist die Lage noch entspannter - auch deshalb, weil dort die Impfquote höher ist“, erklärte er.

Im Südwesten könnten nicht mehr so viele Patienten verlegt werden, wie eigentlich nötig wäre. Zig Kliniken stünden unter Druck. „Es ist ein fatales Signal, dass wir andere Bundesländer um Hilfe bitten müssen, weil sich bei uns zu wenige impfen lassen.“

Hinzu komme, dass einzelne Krankenhäuser ihr volles Programm führen und die Aufnahme von Corona-Patienten ablehnten, sagte der Gesundheitsminister. „Ich appelliere an die Solidarität der Kliniken.“ Er fordere die Krankenhäuser auf, „an die Grenze zu gehen und bis zu 40 Prozent ihrer Intensivkapazitäten für die Corona-Versorgung zur Verfügung zu stellen“, so Lucha. „Sonst sind wir gezwungen, über Allgemeinverfügungen rechtlich einzugreifen.“

Wie die Situation verbessert werden soll

Mit Hilfe sogenannter Telemedizin will das Gesundheitsministerium die Versorgung sowohl von akut erkrankten Corona-Patienten als auch von Long-Covid-Betroffenen verbessern. Das Netzwerk soll sofort starten und ist bis Frühjahr 2023 angelegt, wie die Zeitungen „Heilbronner Stimme“ und „Südkurier“ (Samstag) unter Berufung auf eine Vorlage von Lucha für die Kabinettssitzung am Dienstag berichteten. Das Vorhaben des Universitätsklinikums Freiburg und der RKH-Kliniken Ludwigsburg-Bietigheim soll rund 1,5 Millionen Euro kosten.

Die Idee von „CoFit II“ ist, dass Großkrankenhäuser zu sogenannten Telemedizin-Zentralen ausgebaut werden und kleineren Kliniken ihre Expertise bereitstellen. „Die Kliniken sollen sich durch die bessere Vernetzung gegenseitig entlasten und auch medizinische Informationen direkt austauschen“, heißt es in dem Bericht.

Was die Alarmstufe bedeutet

Tritt die Alarmstufe in Kraft, gelten in vielen Bereichen die 2G-Regel, wonach nur Geimpfte und Genesene Zugang erhalten. Weil im Landkreis Biberach die Corona-Inzidenz seit Tagen mit Abstand am höchsten ist in Baden-Württemberg, hat das Landratsamt auf Geheiß des Gesundheitsministeriums eine entsprechende Allgemeinverfügung erlassen. Die Maßnahmen sollen bis zum 24. November befristet werden.

Sollte sich das Infektionsgeschehen dadurch nicht stabilisieren, stellte die Behörde weitere Schritte wie Ausgangsbeschränkungen für nicht geimpfte Menschen in Aussicht. Die Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis betrug laut Landesgesundheitsamt am Samstag 678,9 nach 689,7 am Vortag.

Keine gravierenden Einschnitte an den Schulen

Auch wenn die Alarmstufe ausgerufen wird, soll der Schulbetrieb in Präsenz nach dem Willen der Regierung weitergehen. Schulschließungen sollten keine Option mehr sein, sagte ein Sprecher von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) unserer Redaktion. Oberstes Ziel sei es, so viel Präsenzunterricht anzubieten wie möglich. Der Gesundheitsschutz an den Schulen werde dabei an das Infektionsgeschehen angepasst.

Der SPD-Fraktionschef und frühere Kultusminister Andreas Stoch hinterfragte am Samstag die Strategie der Landesregierung: Vor elf Monaten seien bei deutlich niedrigeren Inzidenzen Schulen geschlossen worden. Jetzt bei einer deutlich aggressiveren Delta-Variante passiere aber nichts. Zumal Kinder nicht geimpft werden könnten.

„Die Forderung, die Schulen offen zu halten, ist grundsätzlich wünschenswert. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Regierung jetzt endlich etwas für einen wirksamen Infektionsschutz an den Schulen tun muss“, erklärte Stoch. „Wo sind, gerade jetzt im kommenden Winter, die Luftfilter? Wo sind die zusätzlichen Räume, um Abstände einhalten zu können? Wo ist das zusätzliche Personal, um die Schülerinnen und Schüler unter diesen schwierigen Umständen bestmöglich zu fördern?“

Kretschmann will mehr selbst entscheiden

Ministerpräsident Winfried Kretschmann forderte unterdessen mehr Spielräume für die Länder beim Infektionsschutz. „Die bisher im Gesetz definierten Maßnahmen reichen nicht aus“, sagte der Grünen-Politiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Die potenziellen Regierungspartner in Berlin, SPD, Grüne und FDP, wollen den Rechtsstatus der epidemischen Notlage am 25. November auslaufen lassen. Die bisherige Rechtsbasis für Corona-Beschränkungen soll durch ein geändertes Infektionsschutzgesetz ersetzt werden, das einen kleineren Katalog möglicher Corona-Maßnahmen rechtlich absichern soll. Der Bundestag will am Donnerstag abschließend über die Pläne der Ampel-Fraktionen zum Infektionsschutzgesetz beraten, der Bundesrat soll am Freitag in einer Sondersitzung entscheiden.