Symbolbild: Viel Lärm um nichts? Die Gründe für Nachbarschaftsstreitigkeiten sind meist banal. Foto: dpa

Wenn sich Nachbarn streiten kann es ekelig werden, denn nicht selten kommen Mistgabeln, Gift oder leicht entflammbare Flüssigkeiten zum Einsatz. Die Streitgründe sind dabei häufig die gleichen.

Stuttgart - „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Diesen Satz, den Friedrich Schiller seinem Helden Wilhelm Tell in den Mund legte, beschreibt treffend eine der Lieblingsbeschäftigungen der Deutschen: Nachbarn piesacken. Die Hecke ist um ein paar Zentimeter zu hoch. Der Hund hat im Vorgarten einen Haufen hinterlassen. Die Nachbarskinder waren auf dem Grundstück, der Junior hört zu laut Musik, der Wagen des Nachbarn stört beim Einparken. Es gibt 1000 und einen Grund, warum sich Nachbarn in die Haare kriegen.

Streit um gestutzte Hecke eskaliert

Ein besonders krasser Fall ereignete sich im Januar in Seubersdorf im oberpfälzischen Landkreis Neumarkt. Der mutmaßliche Täter, ein 63 Jahre alter Rentner, muss sich jetzt wegen versuchten Mordes an seinem Nachbarn vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth verantworten.

Laut den Ermittlungen klingelte der Rentner am Tag der Tat bewaffnet mit Axt, Bunsenbrenner und Pistole an der Haustür seines 65 Jahre alten Nachbarn. Als dieser die Tür öffnete, soll er den Mann mit einem brennbaren Lösungsmittel bespritzt und die Flüssigkeit mit dem Bunsenbrenner angezündet haben. Dabei rief er ihm laut Anklage zu: „Jetzt habe ich dich endlich, du gemeine Matz.“ Das Opfer erlitt Brandverletzungen im Gesicht, an den Oberschenkeln und Händen.

Der brutalen Tat soll ein monatelanger Nachbarschaftsstreit um eine gestutzte Hecke vorausgegangen sein. Im Prozess hat sich der Angeklagte auf Erinnerungslücken berufen. Die Tat selbst bestreite er gar nicht. Erinnern könne er sich an die Ereignisse vom Januar vor der Wohnungstür seines Nachbarn aber nicht mehr, sagte die Anwältin des 63-Jährigen. Grund könne eine Chromosomenstörung des Mannes sein, die ihn in eine Art Rauschzustand versetzt habe.

Das Opfer hat bis heute Narben an den Händen

Nach dem Mordanschlag konnten eine Nachbarin und deren Sohn den 63-Jährigen überwältigen. Opfer und Täter lagen anschließend mehrere Tage lang im künstlichen Koma. Das Opfer trägt zum Schutz der Narben an den Händen bis heute Kompressionshandschuhe.

Wegen einer psychischen Erkrankung könnte der 63-Jährige vermindert schuldfähig sein. In Briefen aus der Untersuchungshaft hat sich der Angeklagte inzwischen bei seinem Opfer entschuldigt. Zudem hat er dem Mann 25 000 Euro Schmerzensgeld gezahlt.

Nachbarschaftsstreitereien haben eine lange Tradition

Das Gericht hat nun zu klären, wieso ein unbedeutender Streit um die Höhe einer Hecke so eskalierte, dass es zum Mordversuch kam. Auch steht die Frage im Raum, wieso der Rentner sich zu einem solch völlig unangemessenen Verhalten hat hinreißen lassen. Gingen der Attacke Sticheleien und Provokationen des Opfers voraus?

Die Richter können auf umfangreiche Fallanalysen zurückgreifen, um den aktuellen Fall zu beurteilen. In Kirchheim beispielsweise war Mitte September ein Nachbarschaftsstreit derart aus dem Ruder gelaufen, dass die Kriminalpolizei wegen eines versuchten Tötungsdelikts ermitteln muss. Ein 53-Jähriger steht im dringenden Verdacht, seinen 25-jährigen Nachbarn und dessen 40 Jahre alten Bruder mit einer Metallstange mehrfach auf die Köpfe geschlagen und dadurch schwer verletzt zu haben. Der Attacke vorausgegangen war ein schon länger schwelender Nachbarschaftszwist in dem Mehrfamilienhaus, in dem der 53-Jährige und der 25-Jährige wohnen.

Ende Juli war in Göppingen ein 63-Jähriger mit einer Machete auf seinen 41 Jahre alten Nachbarn losgegangen. Hintergrund der Auseinandersetzung war auch in diesem Fall ein seit längerer Zeit andauernder Streit.

Banale Anlässe, brutale Exzesse

So banal oft die Gründe für Nachbarschaftsstreitereien sind, so brutal und heimtückisch werden die Animositäten ausgetragen. Die Wahl der Waffen steht in keinem Verhältnis zum Anlass für die Zwistigkeiten. Wenn Nachbarn über kreuz miteinander liegen, greifen sie zu Baseballschlägern, Holzknüppeln, Rattengift, Messern, Mistgabeln, Benzin oder anderen leicht entflammbaren Flüssigkeiten, Säure und stinkenden Unrat.

Aus welchen Gründen sich Nachbarn streiten

Baden-Württemberg ist eine Streit-Hochburg

Laut einer Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Auftrag der Gothaer Versicherung aus dem Jahr 2014 hatten 38 Prozent aller Deutschen in den letzten Jahren schon einmal Streit und Auseinandersetzungen mit dem Nachbar. Demnach sind streitsüchtige Nachbarn in der Regel zwischen 40 und 49 Jahre alt, wohnen bevorzugt im Großraum Hamburg (hier haben 50,2 Prozent der Bürger sich mit Nachbarn angelegt) und in Baden-Württemberg (Quote 40,9 Prozent). Schlusslicht unter den 16 Bundesländern sind Bayern (25,3 Prozent) und Berlin (13,9 Prozent). Sie verdienen zwischen 2000 und 2500 Euro, sind selbstständig oder einfache Arbeiter, besitzen einen Haupt- oder Volksschulabschluss.

Warum ausgerechnet die als besonders ordnungsliebend geltenden Schwaben an zweiter Stelle unter Deutschlands Streithanseln stehen, ist ein Kapitel für sich. Die derzeit im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart gastierende Landesausstellung „Die Schwaben: Zwischen Mythos und Marke“ könnte darauf eine Antwort geben.

Zehn Gründe, warum Nachbarn sich an die „Köppe gehen“

Auch die Gründe, warum die Fetzen fliegen, sind aufschlussreich, um sich ein adäquates Bild von der deutschen Volksseele zu machen:

1. Lärmbelästigung: 63,9 Prozent

2. Pflichten wie Treppenputzen, Kehrwoche oder Rasen mähen werden nicht eingehalten: 44,7 Prozent

3. Haustiere stören: 41 Prozent

4. Ärger wegen dem Auto (Ölflecken oder falsch geparkt): 39,2 Prozent

5. Unfreundliches Verhalten (Nachbar grüßt nicht oder sieht einen schief an): 33 Prozent

6. Treppenhaus ist zugestellt: 32,1 Prozent

7. Gemeinschaftsräume sind verdreckt oder zugestellt: 27,5 Prozent

8. Besucher stören: 22,1 Prozent

9. Rauchbeslästung (Zigarettenqualm oder Grill-Geruch): 20,7 PÜrozent

10. Sonstige Gründe: 9,3 Prozent