Das Vorgängerbad des heutigen Killesberg-Höhenfreibads gehörte zu Feuerbach Foto: Stuttgart-Album

Hinein ins kühle Nass: Im Stuttgart-Album werden heute Schwimm-Geschichten erzählt. Das älteste Bad ist das „Neuner“, das 1856 in Berg eröffnet wurde. Anfang des 19. Jahrhunderts planschte man im Neckar. Außerdem erinnern Leser an ihre Erlebnisse im Vorgängerbecken des Killesberg-Bads.

Stuttgart - Hinein ins kühle Nass: Im Stuttgart-Album werden heute Schwimm-Geschichten erzählt. Das älteste Bad ist das „Neuner“, das 1856 in Berg eröffnet wurde. Anfang des 19. Jahrhunderts planschte man im Neckar. Außerdem erinnern Leser an ihre Erlebnisse im Vorgängerbecken des Killesberg-Bads.

Drei junge Badebesucher sonnen sich auf Holz. Sie liegen hart und schräg, was seit Jahrzehnten unverändert ist. Die erhöhte Lage erlaubt einen Blick aufs Becken, in dem sich schon immer besondere Szenen abgespielt haben, ob 1961, als das Foto der drei Glatzköpfe im Mineralbad Berg entstanden ist (siehe links oben), oder heute. Nur wenige Orte der Stadt sind sich so treu geblieben wie die Oase der kühlen Quellen.

Dem jungen Mann in der Bildmitte sind schon in jungen Jahren die Haare ausgefallen. Seinen Freunden bot er 500 Mark, wenn sie sich solidarisch glatt rasieren. Günther „Ginne“ Schach, auf dem Foto links, war es bisher schwerer gefallen, an Geld zu kommen. Er war also dabei. Noch heute lässt er sich regelmäßig auf den Holzliegen nieder – „Ginne“ ist ein „Bergianer“, wie man sagt. Er ist also einer der überzeugten Stammgäste, die im ältesten Freibad der Stadt, das der Hofgärtner Friedrich Neuner 1856 als „Bad am Königlichen Park“ eröffnet hat, wie eine Familie zusammenhalten. Noch immer sagen viele, sie gehen ins „Neuner“.

Das Schwimmbecken, erinnert sich Schach, war früher viel größer. Früher drehte am Beckenrand ein hagerer Herr mit nobler Erscheinung seine Runde, der – egal, wie heiß es war – stets ein weißes Hemd mit schwarzem Anzug trug. Es war Paul Blankenhorn, der 1905 geborene Hüter der Quellen. Bis zu seinem Tod 1997 hatte der „alte Blankenhorn“, seit Kriegsende Besitzer des Bads, immerzu Wichtiges zu erledigen. Zwar durfte man nach dem Krieg ohne Kopfbedeckung ins Wasser, wie „Ginne“ dem Stuttgart-Album berichtet, aber in den 1970ern wies der König vom Berg seine Schwimmmeister an, die Bademützenpflicht eisern zu überwachen, wofür diese von kraulenden Glatzköpfen fast gelyncht wurden.

Die Toleranz des Chefs ging so weit, dass er den weiblichen Besuchern oben ohne zum Bräunen gerade noch gewährte – aber auf dem Bauch mussten sie dabei ruhen! Das Personal hatte darauf zu achten, dass die korrekte Liegelage der nach unten abgedrehten Halb-nackt-Damen stets eingehalten wurde. Nur einmal, erzählt man sich, habe Paul Blankenhorn höchstpersönlich ein Hausverbot verhängt – bei einem Mann mit Tanga. So wenig Stoff ums Genital ging ihm dann doch zu weit. Der Kampf des alten Blankenhorn galt nicht nur mützenlosen Gesellen. In den 1990ern legte er sich medienwirksam gegen die Bundesregierung an. Die neue Badewasserverordnung verlangte eine Chlorung in allen Bädern der Republik. Also auch im Bad Berg, in das täglich aus fünf Quellen fünf Millionen Liter kohlesäure- und eisenhaltiges Mineralwasser fließen. Damit erneuert sich das prickelnde Becken alle vier Stunden komplett. Wozu also muss Chlor her? Blankenhorn sammelte 5000 Unterschriften für das „beste Wasser der Welt“. Bonn, damals noch Regierungssitz, knickte ein. Im Mineralbad Berg durfte alles beim Alten bleiben.

Als der Schwimmverein von Bad Cannstatt gegründet wurde, gingen die Mitglieder zum Trainieren in kein Bad – damals war es noch normal, in den Neckar zu springen. Heute braucht man schon ein stabiles Immunsystem, um den Fluss ohne Darmleiden zu verlassen. Geografisch mag es richtig sein, dass Stuttgart am Neckar liegt. Vom Gefühl aber hat sich der Fluss weit von der Stadt entfernt. Die Kelten haben den Fluss „Wildes Wasser“ getauft, was Neckar in ihrer Sprache heißt. Anders als sonst üblich, siedelten sich die Menschen weit weg vom Wasser an. Erst 1836 mit der Eingemeindung von Berg näherte sich die Residenzstadt dem Neckar. 1905 kamen Bad Cannstatt und Münster hinzu.

Feuerbach ist noch viel später zu Stuttgart eingemeindet worden – nämlich im Mai 1933. Das Vorgängerbad des 1939 eröffneten Killesberg-Höhenfreibads gehörte also zu Feuerbach, woran etliche Leserinnen (alle Briefe zu diesem Thema kamen von Frauen) erinnern. „Ich bin 85 Jahre alt und habe in diesem ,Bädle‘ schwimmen gelernt“, schreibt Isolde Aleiden, „Schillerhöhe hat damals niemand gesagt – es war für uns Feuerbächer einfach das ,Luftbad‘.“ Eine Kinder-Dauerkarte habe fünf Reichsmark gekostet. Unsere Leserin erinnert sich an den hohen Bretterzaun ums Bad und daran, „dass die Jungs durch die Astlöcher nach Frauen geschaut haben“. Immer zu ihrem Geburtstag im Juni bekam unsere 1924 geborene Leserin Erika Moik eine Dauerkarte für das Luftbad von ihren Eltern geschenkt. Die Familie hatte in der Nähe des Badeingangs ein „Stückle“ – ohne Wasseranschluss. Darauf wurden Kartoffeln, Träuble und Erdbeeren gepflanzt. Das Wasser sammelte man in der Regentonne und musste es von Feuerbach im Fass auf dem Leiterwagen zum Killesberg hochziehen.

Das Stuttgart-Album ist als Buch im Silberburg-Verlag erschienen.