Hier will die städtische Wohnungsbaugesellschaft bauen. Foto: Bernd Zeyer

Der Widerstand gegen die Bauvorhaben wächst. Nicht nur am Areal Roter Stich protestieren Anwohner aus Bad Cannstatt gegen ein geplantes Neubaugebiet.

Stuttgart-Bad Cannstatt - Carola Fridrich versteht die Welt nicht mehr. Direkt vor ihrem recht neuen Doppelhaus an der Straße Im Raiser an der Grenze zwischen Bad Cannstatt und Zuffenhausen soll ein Wohngebiet mit 13 hohen Häusern entstehen. Ihr Problem: Die Gebäude sollen fünfstöckig an einen Hang gebaut werden und könnten ihr die schöne Sicht nach Süden verderben. Sprich: oben türmen sich die Blocks, unten im Tal steht ihr Haus. „Als wir unser Haus gekauft haben, wussten wir, dass gebaut wird“, sagt Carola Fridrich. „Aber nicht so.“

Nun regt sich der Widerstand. Carola Friedrich, ihr Nachbar Helmut Sommer und andere Anwohner haben Unterschriften gesammelt und sich zu einer Interessengemeinschaft „Im Raiser“ zusammengeschlossen. In den Bezirksbeiratssitzungen von Bad Cannstatt und Zuffenhausen haben die Anwohner protestiert, eine Änderung des Bebauungsplans gefordert und auch eine so genannte mikroskalische Untersuchung des Klimas. „Aber wir kriegen gar kein Gehör“, klagt Sommer. Die Anwohner fühlen sich nicht informiert und regelrecht übergangen. Erst im Februar oder März, so berichten sie, hätten sie von den Plänen mit den insgesamt 200 Wohneinheiten erfahren.

Zu Erörterungstermin seien nur drei Interessierte gekommen

Diese Kritik will Karl-Theo Maurer vom Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung so nicht stehen lassen. „Die Bürger hatten und haben jede Menge Möglichkeiten, sich zu den Planungen zu äußern“, sagte er in der jüngsten Sitzung des Bezirksbeirats Zuffenhausen. Zu einem Erörterungstermin im Jahr 2007 seien nur drei Interessierte gekommen. Damals seien zwar andere Pläne mit weniger Wohneinheiten vorgestellt worden, doch das derzeitige Vorhaben sei schon länger bekannt.

Tatsächlich berichtet unter anderem die Nord-Rundschau seit Jahren über das Thema Roter Stich. 2006 und 2007 war von bis zu 120 Wohneinheiten die Rede. Im Sommer 2008 ging die Zahl von 200 Wohneinheiten, die die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) am Gebiet Roter Stich bauen wollte, durch die Presse. Maurer bekräftigt: „Jeder Bürger hat auch eine Holschuld.“ Im Amtsblatt würden Aufstellungsbeschlüsse und die frühzeitige Bürgerbeteiligung angekündigt. Dort müssten sich die Bewohner informieren.

Bürger haben Gelegenheit, die Pläne einzusehen

Für Carola Fridrich kommt dieser Hinweis freilich zu spät. Als sie und ihr Nachbar Sommer ihre Häuser 2003 und 2005 von der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) gekauft haben, wurde ihnen beiden versichert, dass sich die angrenzenden Neubauten an den bestehenden Gebäuden – sechs Häuser der US-Armee mit drei Geschossen und einem Satteldach – orientieren würden. Fridrich: „Schriftlich haben wir das leider nicht.“

Unterdessen haben die Bezirksbeiräte von Bad Cannstatt und Zuffenhausen dem Aufstellungsbeschluss des Bebauungsplans zugestimmt. Der Ausschuss für Umwelt und Technik (UTA) hat diese Woche ebenfalls grünes Licht gegeben. Vom 29. Mai bis zum 28. Juni haben alle Bürger Gelegenheit, einen Monat lang die Pläne einzusehen und schriftlich Fragen einzureichen. Vielleicht werden die Einwände der Betroffenen dann doch noch gehört.

Das Engagement kann sich lohnen

Das Baugebiet Roter Stich ist ein Beispiel dafür, wie es oft in der Stadt läuft, wenn etwas gebaut werden soll. Kaum gibt es Planungen für neue Gebäude, protestieren die Anwohner, die sich um ihre Lebensqualität sorgen. So war es auch schon vor knapp zehn Jahren bei dem Gebiet Im Raiser, als dieses gebaut werden sollte. Zunächst hatten die Bewohner der angrenzenden Mönchsbergstraße Unterschriften gesammelt. Als dann Teile des Neubaugebiets standen und es für das nächste Teilgebiet Änderungen zu den ursprünglichen Plänen geben sollte, wehrten sich die neuen Bewohner des ersten Teilgebiets. Und jetzt sind die Bewohner der Straße Im Raiser wütend. „Das ist wie eine Welle“, sagt Carola Fridrich.

Dass es bei fast jedem Bauvorhaben in der Stadt Widerstand gibt, hat auch Karl-Theo Maurer festgestellt. „Seit den Protesten gegen Stuttgart 21 hat das zugenommen“, sagt der Mann vom Stadtplanungsamt. Mit unterschiedlichem Ausgang. Das Engagement kann sich lohnen, das belegen zwei Beispiele aus Untertürkheim und Bad Cannstatt. Andere Fälle in Wangen und Uhlbach zeigen, dass die Bürger nicht immer erfolgreich für ihre Interessen kämpfen. Eine Bestandsaufnahme: Luginsland
120 Wohneinheiten auf 2,4 Hektar – und das anstelle eines Gartengebiets zwischen der Maximilianstraße und der Dietbachstraße: Das waren im Jahr 2000 die Pläne in dem Stadtteil von Untertürkheim. Doch die Anwohner mit Blick ins Grüne fanden diese Idee gar nicht gut. 2006 wurde die Schutzgemeinschaft Luginsland als Verein gegründet – mit mehr als 50 Mitgliedern. Die Argumente gegen die Bebauung waren unter anderem die Frischluftschneise im Dietbachtal und ein seltener Vogel namens Wendehals. Dieser wurde tatsächlich nachgewiesen, die Pläne wurden abgespeckt. Zu den Akten kamen sie erst, als sich die Mehrheiten im Gemeinderat 2009 änderten. Allerdings hat es 2011 der Bezirksbeirat nicht eingesehen, das Gebiet wieder als landwirtschaftliche Fläche auszuweisen. Wenn sich die Mehrheiten im Rathaus wieder ändern sollten, könnte das Gebiet wieder ins Blickfeld der Bauplaner geraten.

Auch in Uhlbach regt sich Widerstand gegen ein Bauvorhaben

Bad Cannstatt
: Ähnlich lief auch das Verfahren an der Rommelshauser Straße, wo eine „Bürgerinitiative Frischluft für Cannstatt“ gegen die Bebauung der Felder und Wiesen gegründet wurde. Der Verein forderte ebenfalls, dass die Frischluftschneise erhalten bleiben müsse. Nach den Kommunalwahlen wurde schließlich das Baugebiet von der Liste gestrichen.

Wangen:
Das Hotel Ochsen im Ortskern von Wangen möchte sich vergrößern, plant einen dreistöckigen Neubau mit 25 Zimmern, Tiefgarage sowie Konferenz- und Veranstaltungsräumen. In der betroffenen Baustaffel sind bisher nur zwei Stockwerke erlaubt. Der Bebauungsplan muss geändert werden, der UTA hat dem bereits am 6. März zugestimmt. Die betroffenen Anwohner fürchten um ihre Wohnqualität und den Wert ihrer Grundstücke. Sie sammelten Unterschriften und brachten bei einem Erörterungstermin mit dem Stadtplanungsamt ihre Sorgen vor. Wie dieses Verfahren ausgeht, ist noch ungewiss.

Uhlbach:
Auch im Weinort regt sich Widerstand gegen ein Bauvorhaben. Die Fermo-Massivhaus AG möchte ein über 100 Jahre altes Landhaus an der Luise-Benger-Straße abreißen und auf dem Grundstück zwei Mehrfamilienhäuser bauen. Eine Baugenehmigung wurde bereits erteilt und das Vorhaben entspricht dem für diesen Bereich geltenden Bebauungsplan. Trotzdem sind einige Uhlbacher mit den Plänen der Fermo-Massivhaus AG nicht einverstanden. Sie haben den Zaun vor dem Landhaus mit Plakaten beklebt, auf denen Sätze wie „Schämt euch Heimat-Zerstörer“ zu lesen sind. Das Recht ist allerdings auf Seiten der Bauherren. Die Bürger können nur an das Wohlwollen der Projektbeteiligten appellieren.