Die Boyband schlechthin: die Backstreet Boys. Mit mehr als 130 Millionen verkauften Platten sind sie die erfolgreichste Boyband überhaupt. Foto: AP

In den 90er Jahren brachen Take That und NSYNC reihenweise Mädchenherzen. Boybands waren das große Ding. Und heute? Bringen die Backstreet Boys eine neue Single raus. Zeit für eine Reise in das Jahrzehnt der Boybands.

Stuttgart - Kreischende Teenies und weltweit ausverkaufte Hallen: Die 90er-Jahre waren das Jahrzehnt der Boybands – und stehen damit für ein Pop-Phänomen, das es so nie wieder gegeben hat. Das Rezept war denkbar einfach. Man nehme vier bis fünf gutaussehende Jungs, am besten möglichst unterschiedlich (soll ja für jede was dabei sein!), bringe ihnen ein paar Tanzschritte bei und lasse sie romantische Lieder trällern – fertig ist die Boyband. Über die Qualität der Musik lässt sich sicher streiten. Unbestritten ist aber, dass die Gruppen damit wahnsinnig erfolgreich waren.

Wohl jeder, der in dieser Zeit aufgewachsen ist, hatte eine Lieblingsboyband – oder hat heute zumindest prägende Erinnerungen an die Zeit, die von der Rivalität zwischen *NSYNC und den Backstreet Boys bestimmt wurde. Letztere stehen auch heute noch zusammen auf der Bühne und präsentieren aktuell ihre neue Single „Don’t go breaking my heart“. Grund genug, eine Zeitreise vor die Jahrtausendwende zu machen. Sieben Redaktionsmitglieder erinnern sich an die Boybands der 90er und ihre trashigsten und besten Songs.

Simon Rilling über New Kids on the Block

Jens feiert ne Party, die ganze Klasse ist eingeladen, und wir haben uns mächtig was vorgenommen: Frank möchte mit Christine gehen, Gunther mit Kerstin, Marc mit Claudia und Simon mit Nadine. Doch es kommt anders. Irgendjemand hat die neue Platte von „New Kids on the Block“ mitgebracht, und plötzlich reden die Mädchen unserer Träume nur noch von Jonathan, Jordan, Joey, Danny und Donnie – statt von uns. Die neuen Kids im Wohnblock bleiben für die Mädchen unserer Träume so unerreichbar, wie Christine, Kerstin, Claudia und Nadine für uns. Was kein Trost ist – für Frank, Gunther, Marc und Simon. Und dass uns der Song „Hangin tough“ zum „dran bleiben“ auffordert, ist wirklich der Gipfel.

Hangin' Tough (Official Video) by New Kids On The Block on VEVO.

Anna Lammers über *NSYNC

*NSYNC ist wohl die schwiegermutter-freundliche Variante einer Boyband. Fünf liebenswerte Jungs mit Klamotten, die auch der uncoole Nachbarsjunge getragen hat, dafür aber mit Songs, die auch 20 Jahre später noch sofort im Ohr bleiben und ausgeklügelten Choreografien, an denen wir alle schon gescheitert sind. Sofort ist man zurück in der Zeit als wir „Bye Bye Bye“ aus vollem Herzen mit gegrölt haben, weil uns Sven nach zwei Wochen verlassen hat. Insgeheim haben wir geglaubt, dass mit Justin sowieso alles anders gekommen wäre. Er hätte uns liebevoll „I want you back“ ins Ohr gesungen und wir hätten mit einem schüchternen „Tearin‘ up my heart“ geantwortet und ihm durch seine blondierten Locken gestreichelt. 2002 war dann allerdings Schluss und die süßen Boys von einst sagten tatsächlich „Bye“.

Bye Bye Bye (Official Video) by *NSYNC on VEVO.

Jacqueline Vieth über Backstreet Boys

Mal ehrlich, was die 90er-Jahre wirklich gut konnten, waren von Kitsch und romantischen Gesten triefende Videos. Wer hat nicht „Quit playing games with my heart“ auf Dauerschleife gehört und dabei gehofft, dass das Video mit den fünf Backstreet Boys öfter auf Viva läuft? Dramatische Tanzszenen im Regen, offene Hemden und pathetische Gesten – fertig ist der Film, der jedes Mädchenherz bricht. Heute lässt sich leicht über die Videos lachen. Doch damals bekam man mit den Songs eine so einfache und perfekte Version von Liebe präsentiert, dass man einfach daran glauben musste. Älter geworden (und mit gänzlich anders entwickeltem Musikgeschmack) weiß man heute natürlich, wie absurd unrealistisch diese heile Welt ist. Aber manchmal ist es einfach schön, dieser Realität für dreieinhalb Minuten zu entkommen und innerlich noch einmal der junge Teenie zu sein, der an die Zeilen „I don’t care who you are, Where you’re from, What you did, As long as you love me“ glaubte. Oder sich daran zu erinnern, dass Brian, Nick, AJ, Howie und Kevin dann auch „richtig cool“ wurden – spätestens mit dem „voll krassen“ Video zu „Everybody“. Aaaa-huuuuu!

Everybody (Backstreet's Back) (Official Video) by Backstreet Boys on VEVO.

Michael Setzer über Take That

Hand aufs Herz: Der Lässigste bei Take That war Gary Barlow nicht. Leichter Silberblick, etwas tapsig und eben immer nur beinahe cool. Seine Qualitäten lagen eher in einer für Boygroups unüblichen Disziplin: Songwriting, Harmonielehre und Gesang. Auch deshalb waren die Stücke von Take That oftmals ein bisschen besser als die der lediglich hüpfenden Mitbewerber im Herzensbrecher-Geschäft. Absoluter Lichtblick: „Patience“ vom Comeback-Album „Beautiful World“ 2006. Besser wurde Kitsch selten umgesetzt. Ein Lied, das selbst von einem miesen Künstler gesungen zum Hit geworden wäre.

Patience (Official Video) by Take That on VEVO.

Christian Pavlic über Worlds Apart

Neben den Massenphänomenen Backstreet Boys, *NSYNC und Caught in the Act drohen Worlds Apart im Kreise der Boybands der 90er-Jahre rückblickend völlig unterzugehen. Doch spätestens mit ihrem Eurodance-Cover des Welthits „Everlasting Love“ von The Love Affair im Jahre 1993 schafften auch Steven Hart, Schelim Hannan, Patric Osborne, Aaron Alexander, James Poole und Dan Bowyer damals den Sprung in die Herzen vieler weiblicher Fans. Die Gruppe stach allem voran durch ihre kulturelle Vielfalt hervor: Worlds Apart wurden in einem umfangreichen Casting geboren, jedes Gründungsmitglied stammte aus einer anderen Stadt. Wirklich langfristigen Erfolg hatte die Boyband jedoch nur in Frankreich – und auch in Deutschland zählt mit „Je te donne“ ein französischsprachiger Song zu ihren größten Hits.

Alexandra Belopolsky über Boyzone

Die irische Boyzone hat eine für Boybands – und für Popmusik im Allgemeinen – seltene Leistung gebracht: Sie lieferte ein Gesamtbild positiver Romantik. Verliebtheit ohne Besitzgier, Liebeskummer ohne emotionale Erpressung, Sehnsucht ohne Gewalt. Unter anderem lag es an der Wahl der Lieder, die sich Boyzone erfolgreich zu eigen machte – Andrew Lloyd Webbers „No Matter What“, Tracy Chapmans „Baby Can I Hold You Tonight“, Tom Baxters „Better“. Erfrischend aggressionsfrei waren sowohl die meisten Liedtexte als auch die Videos – die mit Mengen von Style serviert wurden. Während sich *NSYNC und die Backstreet Boys nicht von Kappen und Jogginghosen abschrecken ließen, waren die irischen Jungs in ihren Videos entweder elegant im Anzug oder leicht fetischistisch mit Ledermäntel zu sehen. Untypisch war auch, dass sich Ronan Keating und Stephen Gately die Rolle des Frontmans teilten. 1999 schrieb Gately Popmusik-Geschichte, als er sich als erstes Mitglied einer Boyband als homosexuell outete. 2009 starb er unerwartet an den Folgen einer Herzkrankheit. Boyzone machte zu viert weiter – bis heute. Die Tour 2018, anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Band, soll allerdings die letzte werden.

No Matter What (Official Video) by Boyzone on VEVO.

Violetta Hagen über Caught in the Act

Ach, was waren das für unschuldige Zeiten, als ich in der „Bravo“ das erste Mal die vier Jungs von Caught in the Act erblickte! Ich gebe es zu: Vor allem der hübsche Benji hatte es mir sofort angetan. Eine Taschengeldauszahlung später strahlte der smarte Niederländer von der Dachschräge auf mein Mädchenbett hernieder. Ich blinzelte in der abendlichen Dämmerung selig zu ihm hinauf. Die Sticheleien meines Vaters mit Blick auf den „halb nackten Jüngling“ über meinem Nachtlager ertrug ich mit all der stoischen Gelassenheit, die ich mit meinen zehn Jahren aufbringen konnte. Ich konnte ja nicht ahnen, dass Benji sich in ferner Zukunft in einer Show namens „Dschungelcamp“ zum Affen machen würde, dann angeblich seine Freundin verprügeln und. . . Wie gesagt: Es waren noch unschuldige Zeiten.