Die Landesregierung lehnt einen Antrag zur Rettung der Notfallpraxen ab. Doch Betroffene und Teile der Politik geben nicht auf. Kann der Widerstand noch etwas bewirken?
18 Notfallpraxen will die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) schließen, darunter auch Backnang im Rems-Murr-Kreis. Seit Monaten rufen die Pläne Proteste und Kontroversen hervor, kommunale Vertreter kündigen Klagen an. Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) stützt das Vorhaben trotzdem. Zur Abstimmung stand nun im Landtag der Antrag der SPD, die „Schließung weiterer Notfallpraxen im Land verhindern“ – was im Plenum schließlich abgelehnt wurde.
Kirschbaum (SPD): „Schließungen sind verhinderbar!“
Die SPD-Abgeordnete Simone Kirschbaum aus Backnang attackiert die Landesregierung scharf. „Das Beispiel Rheinland-Pfalz zeigt, dass ein Bundesland sehr wohl Einfluss nehmen kann! Doch Minister Lucha zieht sich aus der Verantwortung und lässt die Notfallversorgung kollabieren.“ In der Landtagsdebatte am Mittwoch hatte die SPD einen Antrag eingebracht, der die Schließung verhindern sollte – unterstützt von der FDP. Doch die grün-schwarze Mehrheit stimmte dagegen.
Die Konsequenzen seien dramatisch, so Kirschbaum weiter: „Noch mehr Patientinnen und Patienten müssen in überfüllte Notaufnahmen oder den Notarzt rufen. Das belastet das Gesundheitssystem unnötig und bedeutet für viele Menschen lange Anfahrtswege.“ Bereits in Schorndorf habe sich gezeigt, was passiert: Nach der dortigen Schließung sei die Zahl der ambulanten Notaufnahmen um 40 Prozent gestiegen. „Das ist medizinischer Irrsinn und sozialer Kahlschlag!“
Nentwich (Grüne): Backnang muss erhalten bleiben
Doch auch in der Regierungskoalition gibt es kritische Stimmen. Der Grünen-Abgeordnete Ralf Nentwich aus Murrhardt machte deutlich: „Der Standort Backnang muss bleiben! Medizinische Versorgung ist keine Frage von Sparmaßnahmen, sondern von Verantwortung.“
Er verweist auf die strukturellen Probleme: „1000 Arztsitze im Land sind unbesetzt, viele Mediziner arbeiten in Teilzeit, und die Babyboomer gehen bald in Rente. Statt einfach Standorte zu streichen, müssen wir endlich nachhaltige Lösungen entwickeln.“ Gleichzeitig kritisierte Nentwich die SPD: „Die SPD hat im Bund eine Gesetzesinitiative blockiert, die Poolärzte mit Notärzten gleichgestellt hätte. Jetzt so zu tun, als sei allein die KVBW schuld, ist Heuchelei!“
Die Regierungsfraktionen fordern nun alternative Modelle. „Wir brauchen Fahrdienste für mobilitätseingeschränkte Menschen und flexible Versorgungskonzepte. Die KVBW muss liefern!“, so Nentwich.
Kommunen wehren sich mit Klage
Der Widerstand gegen die Schließungen geht indes über die Parteigrenzen hinaus. Dreizehn betroffene Städte, darunter Backnang, haben gemeinsam Klage beim Sozialgericht Stuttgart eingereicht. „Wir sind nicht gegen Reformen, aber diese wurden über unsere Köpfe hinweg entschieden“, erklärt Backnangs Oberbürgermeister Maximilian Friedrich.
„Die Versorgungslage im Rems-Murr-Kreis wäre mit nur einer verbliebenen Notfallpraxis katastrophal. Als uns das Krankenhaus genommen wurde, gab es die Zusage für den dauerhaften Erhalt der Notfallpraxis. Nun wird auch diese gestrichen. Das ist ein Wortbruch!“
Notfall-Gipfel soll Lösungen bringen
Um doch noch eine Wende herbeizuführen, hat die SPD für Montag, 17. März, einen „Notfall-Gipfel“ im Landtag initiiert. Dort wollen Politik, Medizinexperten und betroffene Bürger gemeinsam nach Alternativen suchen. Erwartet werden unter anderem die stellvertretende Vorsitzende der KVBW, Doris Reinhardt, sowie der Wissenschaftler Prof. Andreas Pitz, ein Experte für Notfallversorgung.
Simone Kirschbaum sieht den Gipfel als letzte Chance: „Es geht um nichts weniger als die gesundheitliche Daseinsvorsorge. Wenn die Landesregierung nicht handelt, bleibt uns nur der Protest auf der Straße und vor Gericht. Diese Schließungen dürfen nicht hingenommen werden!“