Nach dem erneuten Chaos auf der Murrbahn spricht der Landtagsabgeordnete Ralf Nentwich (Grüne) von einem Systemversagen. CDU-Bundestagsabgeordnete wenden sich direkt an die Bahnchefin.
Die Murrbahn steht sinnbildlich für vieles, was auf der Schiene schiefläuft: Verspätungen, überfüllte Züge, fehlende Ausbauten. Am vergangenen Wochenende eskalierte die Lage erneut – ein Brand auf dem Bahnbetriebsgelände in Crailsheim sorgte für eine Vollsperrung. Die Folge: Hunderte Reisende saßen stundenlang fest, ohne Informationen, ohne Alternativen, ohne Ansprechpartner.
Für Ralf Nentwich, Landtagsabgeordneter der Grünen aus Murrhardt, ist das Maß voll. In einer aktuellen Mitteilung spricht er von „unhaltbaren Zuständen“ und fordert ein konsequentes Umdenken im Bahnmanagement: „Was die Fahrgäste an diesem Wochenende erlebt haben, ist schlicht unzumutbar“, sagt er. Und weiter: „Die Bahn ist das Rückgrat der Verkehrswende. Aber wenn sie so weitermacht, bricht sie uns das Rückgrat.“
Politischer Schulterschluss gegen das Bahn-Desaster
Nentwich bleibt nicht beim Appell. Er kündigt parlamentarische Initiativen an, fordert Krisenpläne, funktionierenden Ersatzverkehr und eine Erreichbarkeit, die über ein Online-Formular hinausgeht. Der Ton ist scharf, die Kritik offen – auch an einer Bahnpolitik, die sich aus Sicht vieler Regionalpolitiker zu sehr auf Prestigeprojekte konzentriert, während die Basis im Chaos versinkt.
Dabei bleibt es nicht bei grüner Empörung. Auch aus der CDU kommt Druck – wenn auch mit anderem Fokus. In einem Schreiben an die Bahnvorständin Evelyn Palla sowie Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder warnen die örtlichen Bundestagsabgeordneten Inge Gräßle und Christina Stumpp sowie die Landtagsabgeordneten Siegfried Lorek und Christian Gehring eindringlich vor einem möglichen Rückzug der Bahn aus der Intercity-Verbindung Stuttgart–Nürnberg.
„Ein fataler Einschnitt“: CDU warnt vor Abkopplung der Region
Die Streichung der Linie – so die CDU – wäre ein „fataler Einschnitt“ für die gesamte Region Ostwürttemberg. „Der Fernverkehr darf nicht vom Land abgehängt werden“, mahnt Gräßle. Gerade für Orte wie Schwäbisch Gmünd, Aalen oder Waiblingen sei der IC ein unverzichtbarer Anschluss ans bundesweite Bahnnetz. Eine „Abkoppelung“, so der Brief, „würde sämtliche Fortschritte der vergangenen Jahre zunichtemachen.“
Doch es ist nicht nur die Sorge vor gestrichenen Verbindungen, die die Region aufschreckt. Viel diskutiert ist auch die geplante Einführung eines ICE-Sprinters zwischen Stuttgart und Berlin, der die Murrbahn passieren soll – allerdings ohne Halt in der Region. Das klingt nach Fortschritt, könnte aber den bestehenden Regionalverkehr massiv beeinträchtigen.
Nentwich: Schnellzug auf überlasteter Strecke – das kann nicht gutgehen
„Ein Schnellzug auf einer überlasteten, eingleisigen Strecke – das kann nicht gutgehen“, warnt Nentwich. Tatsächlich fährt die Murrbahn auf vielen Abschnitten bereits heute auf Anschlag. Die sogenannte Zugfolge – also die zeitliche Lücke zwischen zwei Zügen – ist durch das Eingleis extrem begrenzt. Ein ICE, der Vorrang hat, könnte zum Bremsklotz für den Alltag werden: Pendlerzüge müssten warten, Anschlüsse gingen verloren.
Auch im Schreiben der CDU-Abgeordneten wird der Zustand der Strecke hart kritisiert. Sie sei „nicht ICE-tauglich“, schreiben Gräßle und Co., und verweisen auf Langsamfahrstellen, marode Technik und veraltete Stellwerke. „Wenn der ICE wirklich über die Murrbahn fahren soll, wird es allerhöchste Zeit für eine gründliche Ertüchtigung dieser Strecke.“
„Ohne zweites Gleis bleibt die Murrbahn ein Flaschenhals“
Der Ruf nach einem zweigleisigen Ausbau wird lauter – und parteiübergreifend. Für Nentwich ist dieser längst überfällig: „Ohne zweites Gleis bleibt die Murrbahn ein Flaschenhals.“ Und er geht noch weiter: Wer einen ICE über die Strecke schicke, müsse auch den Mut haben, Backnang als Halt zu setzen. Alles andere sei ein „Affront gegenüber den Menschen, die hier täglich in überfüllten Regionalzügen sitzen.“
Diese Perspektive teilen auch Vertreter aus der Region. So warnen etwa der Landrat von Schwäbisch Hall und Bürgermeister im Murrtal unisono: Ein Fernzug, der durchrauscht, aber nirgends hält, sei kein Fortschritt – sondern Rückschritt.
ICE-Priorisierung verschärft Verspätungschaos auf der Murrbahn
In der Praxis zeigt sich längst, was passieren kann, wenn Infrastruktur und Angebot nicht zusammenpassen. Bereits heute hat der einzige durchgehende Regionalexpress zwischen Stuttgart und Nürnberg (RE 90) mit Verspätungen zu kämpfen. Durch die Priorisierung des neuen ICE dürfte sich die Lage weiter verschärfen.
Das befürchtet auch das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21. Sprecher Klaus Riedel spricht von einer „Rennstrecke für wenige auf Kosten vieler“. Während Fernreisende eine Stunde schneller durchrauschen, stünden Pendler buchstäblich auf dem Abstellgleis.