Hinter dem Backnanger Bahnhof verengt sich die Murrbahn auf nur ein Gleis für beide Richtungen. Foto: Frank Rodenhausen

Ein Brief von Verkehrsminister Winfried Hermann gibt Hoffnung: Kann das Murrtal mit EU-Mitteln die Bahn retten? Doch der Plan hat politischen Zündstoff.

Noch schiebt sie sich eingleisig durchs Murrtal (Rems-Murr-Kreis) – oft verspätet, häufig überfüllt. Doch nun bahnt sich ein Hoffnungsschimmer durch den Nebel der maroden Infrastruktur. Der zweigleisige Ausbau der Murrbahn könnte mit Geld aus Brüssel finanziert werden, über das EU-Programm „Military Mobility“.

 

Ein Vorstoß des Murrhardter Landtagsabgeordneten Ralf Nentwich (Grüne) soll die Debatte entfachen. Wie Nentwich selbst mitteilt, sieht er in der Fördermöglichkeit eine „historische Chance“ für die Region. Seine Zuversicht schöpft er aus einem Brief des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann.

EU-Militärtopf für Regionalverkehr – eine ungewöhnliche Allianz

Was nach bürokratischem Fachchinesisch klingt, hat politische Sprengkraft: Bis zu 50 Prozent der Projektkosten könnten übernommen werden, wenn die Strecke als militärisch relevante Nachschublinie eingestuft wird. Der Theologe und erklärte Friedenspolitiker Nentwich sagt: „Das Ziel muss natürlich sein, dass sie nie militärisch genutzt werden muss.“ Der zivile Nutzen des sogenannten Dual use wäre aber enorm: Eine leistungsfähige, moderne Bahnstrecke durch das Herz des Landes.

Ralf Nentwich ist selbst bekennender Zugfahrer. Foto: privat

Denn derzeit fährt das Murrtal auf Verschleiß. Veraltete Stellwerke, zu kurze Bahnsteige, ausgedünnter Takt – das tägliche Pendeln wird zur Geduldsprobe. Die Murrbahn ist zwar Teil des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V), aber das alleine reicht nicht. Nentwich sieht im EU-Topf eine einmalige Gelegenheit, die Modernisierung auf ein neues Gleis zu setzen.

ICE durch die Provinz – doch wer bleibt auf der Strecke?

Dringend ist der Ausbau auch aus einem anderen Grund: Ab Ende 2025 soll ein ICE-Sprinter die Strecke befahren – nur mit einem Halt in Nürnberg von Stuttgart nach Berlin. Während die Großstädter kürzere Reisezeiten feiern, wächst im Rems- und Murrtal die Sorge. Denn der schnelle Zug könnte die Regionalverbindungen verdrängen.

„Wer ICE-Züge durchs Murrtal schickt, darf nicht an der Region vorbeifahren“, warnt Nentwich. Auch die Interessengemeinschaft Schienenkorridor warnt vor einem Kollaps des Nahverkehrs. Ihre Prognose: Ein ohnehin dünner Fahrplan könnte weiter ausgehöhlt werden. Nahverkehr auf Abruf für das Prestigeprojekt ICE. Die Lösung liegt buchstäblich auf der Hand: ein zweites Gleis.

Legende trifft auf Realität – die Bahn schreibt Geschichte neu

Lange habe sich das Gerücht gehalten, der Versailler Vertrag habe den Ausbau der Murrbahn verboten, schreibt Nentwich, aus Angst vor ihrer militärischen Nutzung. Beweise dafür gebe es nicht. Heute aber könnte gerade der strategische Nutzen das Projekt retten. „Wir drehen die Legende ins Positive“, sagt Nentwich.

Denn nach Einschätzung von Verkehrsminister Hermann erfüllt die Murrbahn alle Kriterien, um ab 2028 ins EU-Förderprogramm aufgenommen zu werden: internationale Lage, duale Nutzung, Engpassbeseitigung. Die Fördermittel dafür sollten künftig sogar verzehnfacht werden, so seine Einschätzung.

Berlin muss handeln – die Region formiert sich

Für Nentwich ist der nächste Schritt klar: Er will sich direkt an den Bundesverteidigungsminister wenden und die Bundestagsabgeordneten aller demokratischen Parteien sowie die IG Schienenkorridor zum Schulterschluss aufrufen. Denn: Nur der Bund kann das EU-Geld beantragen.

Das Land kann flankieren, strategische Argumente liefern, doch die Antragstellung muss aus Berlin kommen. „Jetzt ist der Moment für ein starkes regionales Bündnis“, sagt Nentwich. Gemeinsam mit dem europapolitischen Sprecher Niklas Nüssle und Verkehrsminister Hermann will er die Murrbahn „auf die große Landkarte der europäischen Infrastruktur“ bringen.