In Münchingen steht noch ein voll funktionstüchtiges Backhaus. Marianne Hess, über 80 Jahre alt, nutzt es regelmäßig. Schon immer. Den Aufwand nimmt sie gern in Kauf.
„Der Ofen ist voll und kann geschlossen werden.“ Sagt Marianne Hess und schaut zufrieden drein. Es ist gegen 11 Uhr an einem Donnerstag, und die 82 Jahre alte Münchingerin hat ordentlich Arbeit hinter sich. Aber auch leckere Backwaren vor sich. Rund 30 Brote hat Marianne Hess eben in den Ofen im Backhaus in der Hinteren Gasse geschoben. Wie sie es etwa alle drei Wochen tut.
Zuvor hat sie auf dem Holztisch den Teig geknetet, die Laibe geformt, in geflochtene Körbchen gelegt, später eingemehlt und noch mal in Form gebracht, eingestochen, damit die Luft entweicht. „Sonst entstehen Hohlräume.“ Den Brotteig hat Marianne Hess, die Backhausfrau, schon am Vorabend aus Sauerteig und Kartoffeln zubereitet. Den Hefeteig hat sie am Morgen hergestellt, ebenso den Mürbteig. Hefezopf und Brötle kommen nach dem Brot in den Ofen, „um die Hitze auszunutzen“.
Schornsteinfeger hinterlässt den meisten Dreck
Im sandsteinernen Backhaus ist nun alles voller Mehl. Also fegt Marianne Hess erst mal durch. Am Ende ihres Backtags putzt sie erneut, der Ofen selbst wird vor dem Backen gereinigt. Der Dreck sei am schlimmsten, wenn der Schornsteinfeger da war, was viermal im Jahr passiert, sagt Marianne Hess. Aber auch den Ofen auf rund 200, 230 Grad zu bringen ist ein langwieriger Prozess. Er muss am Tag vorher vorgeheizt werden, dazu braucht es obendrein eine Menge Holz. Das auch noch lange gelagert werden sollte, denn es muss trocken sein. Wer heute noch im Backhaus backe, sei ein Idealist, findet Ewald Gaukel angesichts des Aufwands. Der Ortshistoriker ist im Vorstand des Münchinger Heimatvereins, der die Broschüre „Brot backen“ herausgegeben hat – und er hat außerdem eine Frau, die auch das Backhaus nutzt. Wie noch einige andere Menschen, darunter zwei jüngere Familien, berichtet Ewald Gaukel.
Dagegen herrschte früher montags bis samstags von 6 bis 21 Uhr Hochbetrieb im Backhaus in der Hinteren Gasse. Es wurde in Münchingen anno 1844 als erstes von drei Backhäusern in Betrieb genommen, der Ofen wurde im Jahr 2014 restauriert. „Ganz Münchingen hat im Backhaus gebacken“, erzählt Marianne Hess. Sie hat schon als Kind die Erwachsenen zum Brotbacken begleitet. Familien backten einst einmal pro Woche. Die Großfamilien oder Familiengemeinschaften hätten dann drei Stunden lang Zeit gehabt, ehe die nächste Gruppe an der Reihe war. Für Kinder sei das immer ein ganz besonderes Erlebnis gewesen, erinnert sich Ewald Gaukel: Auf das Feuer habe er sich ebenso gefreut wie auf das „Leckerli“, zum Beispiel Rahmkuchen. „Wir sind bescheiden aufgewachsen, gehungert haben wir aber nie.“
Als Münchingen noch ein Bauerndorf war
Früher, sagt Marianne Hess, sei Münchingen ein Bauerndorf gewesen und ein Wohnort für Arbeiter. Da seien Mütter mit ihren Kindern zum Ährenlesen gegangen. Für die nach der Ernte auf den Feldern übrig gebliebenen Ähren haben sie in der Mühle Mehl erhalten. Andere hätten für Mehl bei der Ernte geholfen. „In dieser Konstellation wurden Krisen besser bewältigt als in den Städten“, so Gaukel. Er spricht von einem aus heutiger Sicht „funktionierenden Sozialsystem“.
Das Backhaus selbst galt als eine der wichtigsten kommunalen Einrichtungen im Dorf – es war aber auch ein beliebter Treffpunkt. Schon damals dauerte es gut eine Stunde, bis die Brote fertig gebacken waren. Genug Zeit, um zu plaudern und Neuigkeiten auszutauschen. Heute ist rund um das Backhaus nur noch viel los, wenn das Rote Kreuz im Juli sein Backhausfest feiert und die Gäste mit Zwiebelkuchen verköstigt.
Backen in Fleisch und Blut übergegangen
Marianne Hess sagt, jeder könne das Backhaus nutzen. Man müsse sich nur beim Nachbarn anmelden und Holz sowie Teig mitbringen. Bei Bedarf hilft einem die Nachbarschaft. Warum Marianne Hess bis heute backt, den Aufwand in Kauf nimmt? „Weil es zu meinem Kalender gehört und Spaß macht“, sagt sie und lacht. Sie habe schon immer im Backhaus gebacken, das sei ihr in Fleisch und Blut übergegangen.
Von den Massen an Backwaren, die sie produziert, verschenkt sie viel. Ältere würden schwärmen, es schmecke wie früher. Im Ofen sei eben eine ganz andere Hitze, die werde in den Steinen gespeichert. Naht Weihnachten, backt Marianne Hess mit ihren Nachbarn zusätzlich Brezeln. Und sie ist die Einzige, die im Backhaus auch Gutsle backt. Gleichwohl: „Selbstgebackenes wird jedes Mal anders. Man kriegt Unikate“, sagt Marianne Hess. Währenddessen pinselt sie vorgebackene Brote mit Wasser ein. Das gebe einen schönen Glanz und eine schöne Kruste. Als die Brote im Ofen weiterbacken, geht Marianne Hess rasch nach Hause. Sie holt den Hefe- und den Mürbteig. Das Chaos in ihrer Küche beseitigt sie, nachdem das Backhaus wieder tipptopp aussieht.
Das letzte seiner Art
Das denkmalgeschützte Gebäude in der Hinteren Gasse ist in Münchingen das letzte seiner Art. Von 1864 bis 1956 gab es ein zweites Backhaus zwischen dem Rathaus und der Kirche, zwischen 1884 und 1969 existierte ein drittes an der vorderen Wette. Es verschwand, als man den nahen Dorfteich („Wette“) trockenlegte.
Privat backen? Verboten!
Das Backhaus
Backhäuser schrieb die Württembergische Feuerschutzbehörde im Jahr 1808 per Verordnung vor. Denn häufig kam es zu Bränden in den privaten Backöfen, was ganze Orte gefährdete. Im Backhaus war das Feuer unter Kontrolle, und es konnte besser ausgenutzt werden: Der Ofen brannte an Backtagen meist den ganzen Tag, mancherorts bis spät in die Nacht. Das kam auch der zunehmenden Holzknappheit entgegen. Wird der Ofen ständig genutzt, braucht es weniger Holz, als wenn er seltener in Betrieb ist. In Münchingen dauerte es, bis für Backhäuser geeignete Plätze gefunden waren und Geld da war. Im Altkreis gibt es heute noch etliche Backhäuser. Etwa in den Leonberger Stadtteilen Gebersheim und Warmbronn, ebenso in Renningen-Malmsheim. Heimsheim hat gleich drei Backhäuser. Auch Ditzingen-Heimerdingen hat ein Backhaus, Hemmingen eines der Marke Eigenbau im Etterhof.