Aushängeschild der Internationalen Bachakademie: Die Gächinger Kantorei Foto: Holger Schneider

Sorge in der Bachakademie: Ein Gespräch mit Chormanager Stefan Weiler.

Stuttgart - Herr Weiler, wie sieht die Gächinger Kantorei die Situation in der Bachakademie?

Ich bin zwar seit mehr als 30 Jahren als Sänger dabei, habe aber meine Arbeit als Chormanager und als Assistent, der die Aufführungen des Chors einstudiert, erst Ende 2010 aufgenommen. Deshalb kann ich nur das Jahr 2011 kompetent beurteilen – und stelle dabei fest, dass die Gächinger eine steile Entwicklung ins Positive genommen haben. Wir haben ein brillantes Jahr 2011 hinter uns, waren hervorragend in das Musikfest eingebunden und auch international sehr aktiv. Viele Gastdirigenten der Akademiekonzerte waren begeistert von unserer Qualität. Da dies alles vor allem dem Management von Christian Lorenz zu verdanken ist, hat die Nachricht, dass sein Vertrag über 2013 hinaus nicht verlängert wurde, viele Sänger sehr besorgt werden lassen. Wir fürchten sehr, dass dann unsere so gute Entwicklung gestoppt wird.

Können Sie das Verdienst des Intendanten präzise benennen?
Christian Lorenz hat es möglich gemacht, dass der Chor mit gesteigerter Intensität proben konnte. Ich arbeite jetzt sehr regelmäßig mit den Sängern, das hat natürlich Folgen. Wichtig sind aber auch die neuen Strukturen, die der Intendant geschaffen hat. Früher beschränkte sich die Bachakademie auf den kirchenmusikalischen Humus – jetzt wagt sie den Spagat zwischen Bewahren und Erneuerung. Lorenz hat auf der einen Seite die neue Konzertreihe mit Bachkantaten ins Leben gerufen und auf der anderen neue Publikumsschichten angesprochen, die mit dieser Art und dieser Ausschließlichkeit von geistlicher Musik nichts anfangen können. Das war eine Investition in die Zukunftsfähigkeit der Institution. Auch die Schülerkonzerte, die sich prächtig entwickelt haben, gehen in diese Richtung. Man kann Veränderungen in der Gesellschaft nicht einfach ignorieren.

Der Vorstand der Bachakademie teilt diese Meinung nicht.
Das weiß ich wohl. Dennoch halte ich den Rückschritt zur Beschränkung auf geistliches Repertoire für falsch – und bewundere Helmuth Rilling dafür, dass er ebenfalls dieser Meinung ist und immer wieder für eine Öffnung seiner Akademie plädiert hat.

Wie stark ist der Vorstandsvorsitzende Berthold Leibinger?
Das kann ich nicht beurteilen. Herr Leibinger war immer schon da, seitdem ich die Bachakademie kenne. Jetzt hat es den Chor schon sehr irritiert, dass wir von der Entscheidung über Christian Lorenz’ Vertrag und über die Nachfolge von Helmuth Rilling erst aus der Presse erfahren haben. Als künstlerisches Aushängeschild der Bachakademie wären wir aber gerne in diese Prozesse eingebunden gewesen. Von der Kernbesetzung der Gächinger kann ich nur sagen: Wir sind sehr betroffen und sehr besorgt.

Ist es nicht paradox, dass der Vorstandsvorsitzende und potente Geldgeber einer Institution mehr Macht hat als deren Gründer und künstlerischer Leiter?
Ja. Aber kraft seines Amtes hätte Helmuth Rilling die Nichtverlängerung von Christian Lorenz’ Vertrag wohl wirklich nicht verhindern können. Trotzdem hoffen wir alle, dass sich noch ein Weg findet, um die Entscheidung rückgängig zu machen.

Zu Beginn von Christian Lorenz’ Amtszeit war die Meinung vom neuen Intendanten nicht nur positiv. Da war von vielen Verwerfungen die Rede . . .
Das ist richtig. Damals wurden auf allen Seiten Fehler gemacht. Das ist aber vorbei. Heute gibt es nur positive Argumente für Lorenz. Sie sind sowohl künstlerischer und plantechnischer als auch menschlicher Art.

Bringt der designierte Nachfolger Rillings, Hans-Christoph Rademann, seinen eigenen Intendanten mit?
Das wissen wir nicht. Wir fragen uns auch, ob er überhaupt noch kommt – nach dem vielen Staub, der jetzt aufgewirbelt wurde. Die Bachakademie ist jedenfalls beschädigt.