Axel Kromer beginnt offiziell am 1. Februar als Geschäftsführer des Zweitligisten HBW Balingen-Weilstetten. Foto: IMAGO/Steinbrenner/IMAGO/Steinbrenner

Erstmals seit zehn Jahren verfolgt Axel Kromer die WM-Spiele des deutschen Teams nur noch als Fan. Der Ex-Sport-Vorstand des Deutschen Handballbundes spricht über die Chancen und Perspektiven der Nationalmannschaft sowie die Ausnahmestellung Dänemarks.

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft trifft bei der Handball-WM im Viertelfinale in Oslo an diesem Mittwoch (20.30 Uhr/ARD) auf Portugal. Axel Kromer, der ehemalige DHB-Sportvorstand, spricht über die Aussichten.

 

Herr Kromer, wie verfolgt jemand, der zehn Jahre lang bei allen großen Turnieren selbst dabei war, die laufende WM?

Ich schaue natürlich die deutschen Spiele und alle anderen Partien, die mich interessieren, im Fernsehen und im Stream. Die Auftritte des DHB-Teams verfolge ich als Fan und Freund der Mannschaft, die anderen Nationen habe ich als Geschäftsführer des HBW Balingen-Weilstetten im Blick, zumal uns auch ausländische Spieler angeboten werden.

Wie intensiv sind noch Ihre Kontakte zum DHB-Team?

Ich habe relativ viel Kontakt, vor allem zum Staff. Auch mit Bundestrainer Alfred Gislason tausche ich mich immer wieder freundschaftlich aus. Zuletzt wünschte ich ihm alles Gute für das Viertelfinalspiel gegen Portugal. Er weiß, dass ich mich unglaublich über Erfolge freue.

„Jegliche Störgeräusche vermeiden“

Was noch nie richtig publik wurde: Warum hat sich der DHB eigentlich von Ihnen als Sportvorstand getrennt?

Das weiß ich erstens nicht genau. Zweitens möchte ich während des Turniers in der Öffentlichkeit nicht in alten Geschichten herumwühlen, weil ich wirklich das Beste für die Mannschaft will und jegliche Störgeräusche vermeiden möchte.

Wie fällt denn Ihr WM-Zwischenfazit aus?

Auch ich würde unterstreichen, dass die Mannschaft bisher nicht so auftritt, dass man sagen kann: Wie geil spielen sie denn! Aber Handball ist Ergebnissport und bisher meisterte das Team alle Aufgaben – bis auf Dänemark.

Da war man völlig chancenlos.

Stimmt, aber andere große Nationen wären froh, wenn sie die Sorgen hätten, die bei uns diskutiert werden. Norwegen, Spanien, Schweden – alle sind sie raus.

Wie schätzen Sie Viertelfinalgegner Portugal ein?

Die Portugiesen machen schon länger eine sehr gute Nachwuchsarbeit, durch den Einfluss der spanischen Handballschule hat sich einiges getan und man befindet sich seit Jahren im Aufwind. Portugal hat zwar nicht die große Handballtradition, aber das Team steht nicht überraschend unter den besten Acht. Mit den Costa-Brüdern oder Luis Frade am Kreis haben sie super Einzelspieler. Trainer Paulo Pereira hat eine sehr gute Truppe entwickelt.

Das heißt?

Dass die deutsche Mannschaft trotz allem das Spiel gewinnt, wenn sie es schafft, ihre Leistungsfähigkeit am oberen Limit abzurufen. Dann brauchen wir auf nicht auf den Gegner schauen. Das ist gegen Dänemark anders. Wenn wir da unsere Leistungsfähigkeit abrufen und die Dänen auch, dann reicht das im Normalfall eben nicht zum Sieg.

„Zu wenig Souveränität“

Wo muss sich das DHB-Team steigern?

Wir haben noch zu wenig Souveränität in den Aktionen. In der Abwehr wird energisch zugepackt, dann ist man aber wieder zu passiv. Im Angriff haben wir noch zu wenig Spieler, bei denen man sagen kann, die machen auf jeden Fall ihr Ding. Insgesamt wirkt die Mannschaft nicht so verlässlich, nicht so stabil, wie ich es mir erhofft hätte. Aber wir konnten im bisherigen Turnierverlauf Erfahrungen sammeln, uns festigen und gegen Tunesien wichtige Kräfte sparen.

Wie wichtig ist ein gesunder Juri Knorr?

Natürlich sehr wichtig. Ich weiß es nicht sicher, aber ich denke, er war jetzt daheim bei seiner Familie zur Genesung. So etwas ist sehr ungewöhnlich, aber es wird ihm ganz sicher gut tun. Wir brauchen jeden Spieler. Auch Lukas Stutzke und Rune Dahmke, aber Juri hat schon eine Ausnahmestellung, ganz klar.

Hat Deutschland das beste Torwart-Duo der Welt?

Das wird Dänemark auch behaupten, aber für mich ist es das Beste, ja.

Vorne fällt die Fehlerhaftigkeit von Kapitän Johannes Golla auf. Sehen Sie das auch so?

Darüber haben wir uns daheim auf der Couch auch schon unterhalten, nach dem Motto, den macht er doch eigentlich locker rein. Ich vermute, dass er und auch andere sich steigern und die Leichtsinnsfehler abstellen, wenn klar ist, dass es um alles geht. Gegen Dänemark war der Fokus sicher zu 100 Prozent da, doch dieses Team hat einfach eine unfassbare Qualität.

Auf die Dänen könnte Deutschland im Halbfinale am Freitag wieder treffen. Was müsste passieren, sie zu bezwingen?

Das Wichtigste ist, jetzt keine Sekunde an Dänemark zu denken. Portugal ist ein richtig starker Gegner und vorher spielen ja auch noch die Dänen gegen Brasilien.

„Handball vom anderen Stern“

Zweifeln Sie in irgendeiner Weise an den Dänen?

Nein. Dänemark spielte sowohl im Olympia-Finale als auch bisher bei der WM Handball von einem anderen Stern, vor allem was Tempo und Ballsicherheit betrifft. Ziel muss sein, ihnen die Luft zum Atmen zu nehmen. Du musst sie ganz stark unter Druck setzen, damit sie auch mal Fehler machen.

Können Sie das Phänomen Dänemark erklären?

Die Dänen haben eine überragende Generation, es wird sich zeigen, wie lange die Dominanz noch anhält. Wir haben mit Späth, Köster, Uscins, Lichtlein, Knorr oder Fischer Spieler, die auch jeder Däne kennt, und die unserem Team eine riesige Perspektive geben. Das könnte dazu führen, dass wir eine Ära prägen.

Was machen die Dänen denn anders?

Ich kenne den dänische Nachwuchsverantwortlichen sehr gut. Man braucht nicht zu denken, dass sie alles anders oder besser machen. Die Dänen interessieren sich sehr, was wir Deutsche im Nachwuchsbereich machen. Es ist nicht so, dass sie einen Weg wählen, den wir noch nicht kennen.

Offenbar stehen dort aber allen von Kindesbeinen an die Turnhallen offen.

Das ist so, aber es ist nur die halbe Wahrheit, denn wir könnten zumindest von April bis Oktober auch bei uns auf dem Tartanplatz draußen trainieren. Man braucht nicht die Ausrede suchen, die Kommunen haben uns zu wenig Hallen gebaut. Ab einem gewissen Alter ist das in Deutschland zu 100 Prozent ein Manko, aber nicht im Kindesalter, in dem die Begeisterung für den Handball geweckt wird.

Wenn Dänemark Handball vom anderen Stern spielt, was ist dann ihr Ausnahmespieler Mathias Gidsel?

Er ist der Polarstern, der beste Spieler der Welt. Beeindruckend, dass er dies auch im Verein alle drei Tage zeigt.

„Stefan Kretzschmar wichtiger Faktor“

Wie gelingt es Berlins Geschäftsführer Bob Hanning ihn wahrscheinlich bis 2029 an die Füchse zu binden?

Neben Bob ist auch Stefan Kretzschmar ein wichtiger Faktor, der die Spieler unheimlich begeistert für den Verein und auch emotional bindet. Und natürlich ist Berlin auch eine Weltmetropole.

Unter dem Aspekt Handball als globaler Sport: Finden nicht zu viele große Turniere in Deutschland statt?

Unter diesem Aspekt, ja. Aber das Ganze muss aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Der Enthusiasmus, die vollen Hallen in Deutschland, strahlen auch weltweit aus. Andere Nationen sehen, wie begeisternd Handball sein kann. Und dass er, nicht wie eben auch bei der laufenden WM , oftmals vor nur zu einem Viertel gefüllten Arenen stattfindet.

Besteht die Gefahr einer Übersättigung in Deutschland?

Die Gefahr sehe ich, aber ich sehe keinerlei Anzeichen dafür. Wichtig ist unbedingt, dass Nachwuchsmeisterschaften bei uns über die Bühne gehen, auch wenn das – trotz voller Hallen – wirtschaftlich ein Zuschussgeschäft ist.

Warum spielen die württembergischen Erstligisten in einer wirtschaftsstarken Region alle gegen den Abstieg?

In Nordrhein-Westfalen fragen sie sich, warum Württemberg so viele Erstligisten hat. Das Problem bei uns liegt zum Teil an den nicht vorhandenen riesigen Arenen. Dort werden nun mal in den Logen die großen Geschäfte gemacht. Und in Stuttgart ist natürlich der VfB ein Riesending, im Schatten des Fußballs ist es nicht so einfach, etwas auf die Beine zu stellen.

Wo landet Deutschland bei der WM?

Ich habe nur das Spiel gegen Portugal im Kopf. Wenn wir das gewinnen, ist Bronze sicherlich wahrscheinlicher als Gold.

Gold ist aber wahrscheinlicher als der DHB-Pokal-Sieg für den HBW beim Final Four im April in Köln – oder?

Ja, das würde ich sagen (lacht). Der HBW hat im Halbfinale gegen MT Melsungen deutlich weniger Chancen, als Deutschland in einem möglichen Halbfinale gegen Dänemark.

Zur Person

Karriere
Axel Kromer wurde am 10. Januar 1977 in Ludwigsburg geboren. Er spielte unter anderem beim VfL Pfullingen (Bundesliga-Aufstieg 2002). Seine Trainerkarriere begann beim Handballverband Württemberg (HVW), 2012 wechselte er zum Deutschen Handballbund (DHB). 2014 wurde er Assistent des damaligen Bundestrainers Dagur Sigurdsson. Von 2017 bis 2024 war er Vorstand Sport beim DHB. Offiziell vom 1. Februar an fungiert Kromer gemeinsam mit Felix König als Geschäftsführer des Zweitligisten HBW Balingen-Weilstetten.

Persönliches
Kromer hat zwei Söhne, Janis (17) und Julian (15), die beide bei der JSG Balingen-Weilstetten spielen, und lebt in Mössingen. Sein Hobby ist die Bewegung in der Natur. (jüf)