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Kennzeichenscreening, Videoaufzeichnungen, Tempokontrollen: Die Verkehrsüberwachung im Land ist ein Streitthema.

Stuttgart - Kennzeichenscreening, Videoaufzeichnungen, Tempokontrollen: Die Verkehrsüberwachung im Land ist ein Streitthema. Die maschinelle Erfassung der Daten aller Autofahrer sei verfassungswidrig, sagt ein ADAC-Sprecher. Um die Verkehrskontrollen im Land gibt es Ärger.

Der ADAC wirft dem Innenministerium vor, verfassungswidrige Überwachungen zu planen. Es gehe um das Kennzeichenscreening, sagt Johann Nowicki, Verkehrsexperte des Automobilverbands. Es sei nicht rechtens, wenn Kennzeichen im Straßenverkehr maschinell erfasst würden und dann ohne Anfangsverdacht gegen den Fahrer direkt in einen Fahndungscomputer übertragen würden.

Im Haushaltsplan des Innenministeriums 2010/2011 ist die Anschaffung von fünf Geräten zum Kennzeichenscreening geplant. "Eines pro Regierungsbezirk und ein Joker, der dann mobil einsetzbar ist", bestätigt ein Sprecher. Beim Screening erfolgt ein sofortiger maschineller Abgleich von Kennzeichen mit Fahndungsdateien, es kann zum Beispiel bei der Fahndung nach Schwerverbrechern eingesetzt werden. Das Verfahren sei keinesfalls verfassungswidrig, sagt der Sprecher weiter. Der Abgleich mit dem Fahndungscomputer erfolge unverzüglich - und Nummern von unverdächtigen Fahrern würden sofort gelöscht. Zudem solle das Screening nicht flächendeckend gemacht werden. Das alles sei im Polizeigesetz verankert und juristisch nicht anfechtbar.

Der ADAC sieht das anders. "Es kann nicht sein, dass von vorneherein jeder Autofahrer in diese Datei mit einfließt und zunächst gespeichert wird, ohne dass ein konkreter Anfangsverdacht besteht", sagt Verkehrsexperte Nowicki. Natürlich solle man gezielt nach Schwerverbrechern oder Drogendealern fahnden - der Anfangsverdacht sei aber immer entscheidend, und der müsse gegeben sein.

Im Innenministerium sieht man die Vorwürfe zum Kennzeichenscreening gelassen - genau wie bei der Videoüberwachung, mit der Tempo- und Abstandsmessungen gemacht werden. Auch die prangert der ADAC an - und auch hier gebe es mit dem Paragrafen 53 im Ordnungswidrigkeitengesetz eine Rechtsgrundlage, sagt ein Sprecher von Minister Heribert Rech (CDU). Am 6. Oktober hatte es eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Reinhard Löffler (CDU) an den Landtag gegeben, ob die Videoüberwachungen im Land rechtmäßig seien. "Die Daten eines Autofahrers werden nur bei einem Anfangsverdacht erfasst - der Rest wird sofort gelöscht", sagt der Sprecher des Innenministeriums. Wenn jemand einen zu geringen Abstand einhalte, werde das erfasst und gefiltert, und der Rest falle weg.

Johann Nowicki vom ADAC prangert vor allem die Erfassung der Daten aller Fahrzeuge an: "Da werden einfach per Softwareprogramm Bilder und Daten an die Zentrale weitergegeben - und das wird zunächst gespeichert." Gelöscht würden die Daten erst nach dem Durchlaufen des Programms. Es könne generell nicht sein, dass man als normaler Bürger nicht wisse, ob und wann man gerade kontrolliert werde. Früher habe ein Polizist nur auf einen Anfangsverdacht hin durch einen manuellen Knopfdruck schärfere Bilder der Fahrzeuge angefordert - das sei jetzt anders. Nun würden die Daten erst gelöscht, nachdem sie ein Fahndungsprogramm im Computer durchlaufen hätten.

Der Sprecher des Innenministeriums bestätigt diesen Vorgang. Wenn jemand nichts getan habe, sei es doch kein Problem, wenn seine Daten durch die Software laufen - und dann eben wieder gelöscht würden. Ein Sprecher des Justizministers Ulrich Goll (FDP) wollte sich zum Thema nicht äußern.

Unterstützung bekommt das Innenministerium vom Auto Club Europa (ACE). An Bahnhöfen, in Fußgängerzonen oder in Kaufhäusern akzeptiere die Gesellschaft mittlerweile auch die Videoüberwachungen, sagt der Sprecher Rainer Hillgärtner, da werde auch jeder Passant gefilmt. "Warum dann nicht auch auf unseren Straßen?" Es gehe um die Sicherheit der Autofahrer. Man müsse in diesem Punkt erst einmal an die potenziellen Unfallopfer denken - und nicht, wie der ADAC, immer darauf achten, möglichst wenig Verkehrsteilnehmer zu kontrollieren. Mit einer ausgeweiteten Überwachung diszipliniere man die Autofahrer und sorge so für weniger Unfälle.

ADAC-Sprecher Nowicki widerspricht dem vehement. Es sei für die Autofahrer unzumutbar, nicht zu wissen, wann und wo sie kontrolliert würden. Das sorge für verunsichertes Fahrverhalten auf den Straßen.

Der Hintergrund des ADAC-Schreibens war das Urteil des Verfassungsgerichts vom 11. August dieses Jahres. Darin hatte ein Autofahrer in Mecklenburg-Vorpommern recht bekommen, der gegen einen Bußgeldbescheid klagte. Der kam im Rahmen einer Videoüberwachung des gesamten Verkehrs zustande. Die verstößt laut Verfassungsgericht gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weil die Aufzeichnung bei sämtlichen Fahrzeugen und deshalb ohne Anfangsverdacht gemacht worden sei. Beim Eingriff in diese informationelle Selbstbestimmung hat es laut Urteil im besagten Fall keine rechtliche Grundlage gegeben, weil nur Verwaltungsvorschriften hervorgezogen wurden. Der ADAC ließ daraufhin die Rechtmäßigkeit von Videoüberwachungen des Straßenverkehrs und des Kennzeichenscreenings der Länder von einem Gutachter prüfen - und verfasste dann das Schreiben an das Innenministerium.

"Dass man immer gleich die Verfassung heranziehen muss, zeigt doch, dass man auf der Sachebene keine schlüssigen Argumente mehr besitzt", sagt ACE-Sprecher Rainer Hillgärtner dazu.