Dirk Reinhardt hat Schülern vom gefährlichen Leben der Train Kids erzählt Foto: Gottfried Stoppel

Sie riskieren ihr Leben, um auf dem Dach von Güterzügen durch Mexiko, an die Grenze zu Texas, zu reisen. Dirk Reinhardt hat über diese jungen „Train Kids“ ein Buch geschrieben – und im Staufer-Gymnasium Waiblingen über dessen Entstehung berichtet.

Waiblingen - Sie sind gerade einmal im Teenageralter – und dennoch riskieren sie schon Leib und Leben, um an die mexikanisch-texanische Grenze zu kommen. Warum jedes Jahr zigtausende Jugendliche aus Honduras, El Salvador und Guatemala versuchen, als blinde Passagiere auf den Dächern von Güterzügen in Richtung der USA zu fahren, das hat der Autor und Historiker Dirk Reinhardt am Dienstag Siebt- und Achtklässlern des Waiblinger Staufer-Gymnasiums erklärt. Der 55-Jährige hat über die „Train Kids“ einen Roman geschrieben, der für den Jugendliteraturpreis nominiert wurde.

Die fünf jungen Helden in seinem Roman habe er zwar erfunden, erklärte Reinhardt den Schülern bei seiner Lesung – ihre Erlebnisse aber seien allesamt reale Ereignisse, die ihm berichtet wurden. Der Autor hat für seine Buchrecherche mehrere Wochen in Mexiko verbracht und jugendliche Flüchtlinge befragt, die er entlang der rund 3000 Kilometer langen Zugstrecke getroffen hat, welche vom Süden Mexikos durch Dschungel, Gebirge und Wüstenlandschaften nach Norden und an die Grenze zur USA führt. Dirk Reinhardt erzählt in seinem Roman von Kindern, die in bitterster Armut aufwachsen und alles versuchen, um ins vermeintlich gelobte Nordamerika zu gelangen. „Sie haben oft sehr naive Vorstellungen, die aus Hollywoodfilmen oder Fernsehserien stammen.“

Keine Chance, im Heimatland Geld zu verdienen

Viele Kinder suchten jedoch nicht nur den Wohlstand, sondern auch ihre Mütter, berichtete Dirk Reinhardt: „Für Frauen gibt es in Mittelamerika fast keine vernünftig bezahlten Jobs. Wenn ein Mann seine Familie verlässt, wird es für sie ganz besonders schwierig.“ Ein Job als Haushaltshilfe oder Kindermädchen bei einer US-amerikanischen Familie ist für viele Frauen die große Hoffnung. Notgedrungen lassen sie ihre Kinder bei Verwandten oder Nachbarn zurück, um möglichst schnell Geld in der Fremde zu verdienen und dann zurückzukehren. Das klappt nur selten und so bleiben die Mütter oft viele Jahre weg, so dass sich ihre Kinder irgendwann auf eigene Faust auf die Suche nach ihnen machen.

Dirk Reinhardt hat Kinder getroffen, die sich die Telefonnummer oder Arbeitsadresse ihrer Mütter auf die Fußsohle haben tätowieren lassen, um zu verhindern, dass ihnen diese Daten verloren gehen auf der lebensgefährlichen Reise nach Norden. Doch die wenigsten jungen Flüchtlinge schaffen es tatsächlich über die Grenze in die USA – erst recht, seit der 2016 zum Präsidenten gewählte Donald Trump dort das Sagen hat. Etliche Jugendliche, so berichtete Reinhardt, warteten derzeit in Mexiko die Zeit bis zur nächsten Präsidentschaftswahl ab – in der Hoffnung, dass Trump nicht mehr gewählt werde und die Chancen für Einwanderer wieder besser würden.

Polizisten prügeln auf „Train Kids“ ein

Auf seiner Recherchereise hat Dirk Reinhardt mit Kirchenvertretern und Menschenrechtsaktivisten gesprochen, welche das Vorgehen der mexikanischen Polizei gegen junge blinde Passagiere dokumentiert haben. Er zeigte den sichtlich betroffenen Schülern Fotos von Polizisten, die auf die Train Kids, die ungefähr in ihrem Alter sind, mit Schlagstöcken einprügeln oder sie mit Schusswaffen bedrohen. Auch er sei ständig kontrolliert worden, erzählte der Autor, „und es ist auch eine Speicherkarte aus meinem Fotoapparat in der Hosentasche eines Polizisten verschwunden“. Seine deutsche Staatsbürgerschaft habe ihn jedoch gut geschützt, sagte Reinhardt, der derzeit viele Anfragen für Lesungen an Schulen im ganzen Land erhält – als eine spannende, brandaktuelle Form der Geschichtsstunde.

Schwerpunkt Jugendbücher

Autor:
Dirk Reinhardt hat zunächst Germanistik, dann Geschichte studiert und in diesem Fach promoviert. Von Mitte der 1990er-Jahre an arbeitete er als freier Journalist und Texter und widmete sich nebenher dem literarischen Schreiben. Sein erstes Kinderbuch „Anastasia Cruz: Die Höhlen von Aztlán“ erschien 2010. Derzeit arbeitet der 55-Jährige an einem Buch über eine Gruppe jugendlicher Hacker.

Roman:
Für sein im Jahr 2015 erschienenes Jugendbuch „Train Kids“ ist Dirk Reinhardt mehrere Wochen durch Mexiko gereist und hat mit Jugendlichen auf der Flucht gesprochen. Dass das Thema wenig später so aktuell werden würde, ahnte er damals nicht.