Palermo-Gefühl im Bücherwürfel: Marc Bensch auf Wender’s Spuren. Foto: Michael Steinert

Marc Bensch ist kein einfacher Autor. Er zieht von Stuttgart nach Palermo – mit drei Kerlen in seinem Kopf.

Stuttgart/Süd - Bisweilen hilft es, den Kerlen im Kopf Namen zu geben. Man kann sie dann besser beschimpfen, trösten, ignorieren. Benjamin zum Beispiel ist ein Journalist, der sich zu strenger Sachlichkeit und Neutralität verpflichtet hat, Marc dagegen liebt die Freiheit, er ist Schriftsteller, fühlt, schmeckt und riecht das Leben. Schließlich Tom. Der ist gegangen.

Tom ist ein Gebilde, das die Ärzte vor knapp sechs Jahren in Benjamin Schielers Kopf entdeckt und für einen Tumor gehalten hatten. Schieler hat das Gebilde getauft, ehe er es entfernen ließ. Als der Patient nach der Operation erwachte, erfuhr er, dass Tom doch kein Tumor gewesen war, sondern eine chronische Entzündung der Blutgefäße, Ursache unbekannt. Das Gefühl aber, dass Tom sein Leben verändert hatte, blieb. Demnächst zieht er sogar um seinetwegen. Raus aus dem Stuttgarter Süden, auf nach Palermo – in eine Stadt, die er nicht kennt, aber spürt. „Das ist ein bewusster Bruch“, sagt Benjamin Schieler und lächelt. Eigentlich, sagt er, sei er jetzt schon ein anderer. Marc. Marc Bensch.

2006 wurde Marc Bensch geschaffen

Dabei verabschiedet sich der Benjamin in ihm erst heute. Der 30. Dezember 2011 ist sein letzter Arbeitstag in einer festen Stellung. Am 31. Dezember hat er Geburtstag, den einunddreißigsten. Abends feiert er, Anfang und Ende gleichermaßen. 2012 soll das Jahr von Marc werden. Marc Bensch will schreiben, einen Roman, seinen vierten bereits, aber den ersten, der die Bühne der Literatur betreten könnte. Die Voraussetzungen sind glänzend: Im Herbst hat er den Autorenwettbewerb der Jungen Verlagsmenschen gewonnen. Das hat ihm einen Auftritt bei der Frankfurter Buchmesse beschert – auf derselben Bühne wie Heinz Rudolf Kunze, Gregor Gysi, Jan Weller, Wolf Biermann, Doris Dörrie. Große Namen allesamt, aber keine Vorbilder. Er bleibt er, mal Benjamin, mal Marc.

Marc Benjamin Schieler wurde am Silvestermorgen des Jahres 1980 geboren. In der zehnten Klasse erkannte der Deutschlehrer sein Talent zum Schreiben und bestärkte den Schüler in dessen Streben, Journalist zu werden. Am Montag nach dem Abiball trat er seinen Dienst in einer Redaktionsstube in Zuffenhausen an. Es ging ihm gut, alles lief glatt, zu glatt. Er entschied, dass er eine Veränderung brauche, verließ die Zeitung und ging zum Studieren nach Würzburg. „Erst dort“, sagt er, „habe ich das kritische Hinterfragen gelernt.“

Er hörte in sich und bemerkte, dass da noch ein Wunsch reifte. „Ich wollte literarisch arbeiten.“ 2006 gebar er Marc Bensch: „Marc, weil das mein erster Name ist, und Bensch als Zusammensetzung aus Benjamin und Schieler.“ Dass der Name nach Finanzwirtschaft klingt, wie eine umgedrehte Benchmark, ist ihm erst später aufgefallen. Im Jahr, als in Deutschland das Sommermärchen aufgeführt wurde, hatte er anderes zu tun. Auch Tom war plötzlich in sein Leben getreten, aus zwei wurden drei. Das ist kein einfacher Zustand.

„Ich folge dem Ruf der Ferne“

Nach dem Studium und der Operation ist er nach Stuttgart und zu seiner Profession zurückgekehrt. Bis heute hat Benjamin Schieler als Journalist gearbeitet, tagsüber. Nachts hat er sich in Marc Bensch verwandelt, den Autor, der sich mit Tom beschäftigte, dem vermeintlichen Tumor, von dem letztlich nur eine Metapher geblieben ist – auf das Leben. Mit diesem Gefühl will er jetzt seine Zeit verbringen, in den nächsten Wochen in der neuen Bibliothek am Mailänder Platz sitzen und sich inspirieren lassen von den tonnenweise vorhandenen Gedanken im weißen Bücherwürfel. Nebenbei frischt er die Reste seiner Italienischkenntnisse auf. Im März reist er ab nach Palermo, bis dahin sollte er der Sprache mächtig sein – der italienischen für den täglichen Bedarf, der eigenen für sein Buch.

„Es hätte auch Kopenhagen oder Lissabon sein können“, sagt Marc Bensch. Palermo war die Entscheidung von Wim Wenders. In seinem Internetblog berichtet Marc Bensch davon, wie er 2008, drei Tage vor Silvester, im verträumten Arthaus-Kino in Stuttgart saß und Wenders’ Film „Palermo Shooting“ sah. „Palermo?“, fragt da der Manager von Starfotograf Finn und in seiner Stimme hört man die nackte Verblüffung. Vielleicht mehr noch: den Zweifel am gesunden Menschenverstand des Klienten. „Hast Du einen blassen Schimmer, wo Du das Shooting machen willst?“ Man sieht den Tote-Hosen-Sänger Campino, der den Finn spielt, aus dem Fenster des Fliegers blinzeln. „Nein, ich war da noch nie“, antwortet er, „aber ich gucke gerade die Bilder an. Die gefallen mir.“

Marc Bensch wird ihm folgen. Vier Monate will er in Palermo verbringen, durch die Gassen laufen, am Wasser sitzen, die Gedanken frei lassen. „Das Leben mit Tom“ wird ihn auf seiner Reise begleiten – als Titel eines 25 Seiten starken Manuskripts, das als Gerüst seines Buches dient. Er wird daran schreiben und mit ihm träumen. „Ich folge dem Ruf der Ferne“, sagt Marc Bensch, „weil ich mir nicht in einigen Jahren vorwerfen will, keine Risiken eingegangen zu sein. Nicht der Risiken wegen. Sondern der Erfahrung. Der Horizonterweiterung. Des Lebens.“

//Der Blog von Marc Bensch im Internetwww.buchbensch.de