Das Führerhaus wandelt sich so zum rollenden Büro: Lkw-Fahrer Hans kann kann auf der Fahrt im Internet surfen Foto: Daimler

Mit Video - Die Mercedes S-Klasse hat ihre Jungfernfahrt ohne Fahrer schon hinter sich. Am Donnerstag hat Daimler in Magdeburg den ersten Lkw vorgestellt, der sich im Verkehr allein zurechtfindet.

Stuttgart/Magdeburg - Die Szene wirkt surreal. Auf einem für den Verkehr noch nicht freigegebenen Teilstück der neuen A 14 nördlich von Magdeburg fährt ein Konvoi aus Lastwagen, Bussen, Transporten und Autos heran. Dahinter nähert sich ein Polizeiauto mit Blaulicht. Während viele Fahrer noch nicht reagieren, schert der mit Tarnfolie verkleidete Lkw in der Mitte aus und macht Platz für das Einsatzfahrzeug. Von der Zuschauertribüne aus, die für Journalisten aus aller Welt aufgebaut wurde, lässt sich über eine Videoleinwand in die Fahrerkabine des Trucks schauen. Fahrer Hans hat die Hände nicht etwa am Lenkrad, sondern winkt den Zuschauern draußen entspannt zu.

Daimler hat am Donnerstag mit großem Tamtam der Weltöffentlichkeit den ersten selbst fahrenden Lkw präsentiert. Der so genannte Highway Pilot navigiert das Fahrzeug dank eingebauter Kameras und Radarsensoren mit bis zu 80 Stundenkilometern durch den Verkehr, erkennt Staus, umfährt Pannenfahrzeuge und bremst vor einem Stauende, ohne dass der Mann im Cockpit eingreifen müsste – auch wenn er dies jederzeit könnte. Die Technik, die vor einem Jahr so ähnlich bei einer S-Klasse auf einer Demonstrationsfahrt von Mannheim nach Pforzheim gezeigt wurde, soll spätestens bis zum Jahr 2025 in Serie gehen. „Das ist unsere Vision vom Transport der Zukunft“, sagte Daimler-Nutzfahrzeugchef Wolfgang Bernhard. Der Lkw ist dabei im ständigen Datenaustausch mit anderen Verkehrsteilnehmern oder sogar Dingen, erhält so in Echtzeit Informationen über Baustellen oder starken Seitenwind.

Der Autopilot berechnet das Gelände im Voraus

Von der Entwicklung soll nach Vorstellung von Daimler vor allem die Speditionsbranche profitieren. Weil der Autopilot das Gelände im Voraus berechnet, immer zur richtigen Zeit bremst und Gas gibt, ließen sich bis zu fünf Prozent Kraftstoff einsparen. Für die Transportbranche, wo die Betriebskosten eines Lkw weitaus wichtiger sind als die Anschaffungskosten, alles andere als eine Kleinigkeit. Wolfgang Bernhard verspricht sich von der Technik aber auch ein Rückgang des Unfallrisikos, da die elektronischen Helferlein Kollisionen vermeiden können. „Die Versicherungskosten und die Kosten für Reparatur und Wartung sinken.“ Gleichzeitig erhöhe sich die Transportleistung, weil Staus umfahren werden und der Fahrer weniger Pausen braucht, da er im Cockpit entspannen und kommunizieren kann. Das Führerhaus wandelt sich so zum rollenden Büro. Während der Fahrt lassen sich Parkplätze an Rastanlagen reservieren oder neue Aufträge bearbeiten. „Mit dieser Technik revolutionieren wir den Speditionsbetrieb“, ist Lkw-Entwicklungschef Sven Ennerst überzeugt. Auch die Allgemeinheit soll profitieren, weil die Unfallgefahr sinkt und der Lkw-Verkehr flüssiger rollt.

Doch der Weg in Praxis ist noch voller Hürden. So schreibt die Wiener Straßenverkehrskonvention aus dem Jahr 1968 vor, dass der Fahrer sein Fahrzeug jederzeit im Griff haben muss und damit die Hände am Lenkrad. Zwar hat ein Expertenausschuss der Vereinten Nationen vor wenigen Wochen die Regelung ergänzt und damit die Basis für autonomes Fahren geschaffen. In Zukunft können demnach Assistenzsysteme das Lenken übernehmen, falls diese jederzeit abschaltbar sind. Doch bis dieser Zusatz in nationales Recht umgewandelt ist, können noch Jahre vergehen.

Wie werden unerwünschte Zugriffe von außen verhinder?

Zu den notwendigen Rahmenbedingungen gehört außerdem ein sicherer Datenverkehr. Wie werden unerwünschte Zugriffe von außen verhindert? Wer darf welche Daten wie lange speichern? Ungeklärt sind auch noch Fragen der Haftung bei Verkehrsverstößen oder Unfällen, wenn diese vom System verursacht wurden. Zudem müssen die Markierungen an den Fahrbahnen flächendeckend und einheitlich sein, damit der Highway Pilot diese erkennt.

Die Vorteile für die Speditionsbranche könnten dazu führen, dass der Gütertransport auf der Straße noch stärker wächst als die von vielen Studien vorhergesagten 20 Prozent bis zum Jahr 2025. „Die Technik ist toll, aber auf welchen Straßen sollen diese Lkw fahren?“, fragt Professor Michael Schreckenberg, der an der Uni Duisburg-Essen die Optimierung von Verkehrssystemen erforscht. Er sieht die maroden Straßen und Brücken als größtes Problem der kommenden Jahre. Das von der Bundesregierung für Sanierungen zur Verfügung gestellte Geld reiche bei weitem nicht aus. Kurzfristig rechnet er sogar mit einer Zunahme von Unfällen und Staus mit Beteiligung von Lkw, weil der Verkehr aufgrund vieler Baustellen auch auf Nebenstrecken immer weiter verdichtet werde. Der Datentransfer für die Technik führe außerdem zu „unendlichen Komplikationen.“

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