Der gestohlene Autokran aus Stuttgart. Foto: Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttg

Branchenkenner sind sicher: Profis waren am Werk, um den 48 Tonnen schweren Autokran von Stuttgart nach Alexandria zu bringen. Logistisch gesehen: eine Meisterleistung.

Stuttgart - Seit März war der 48 Tonnen schwere Kran der Stuttgarter Schwertransportfirma Paule als vermisst gemeldet. In der Nacht zum 19. März hatten Diebe den Autokran des Obertürkheimer Unternehmens unerkannt entwendet und waren spurlos verschwunden. Diesen Donnerstag nun, fast auf den Tag genau drei Monate nach der Tat, meldete die Stuttgarter Polizei, dass der Kran am Hafen der ägyptischen Mittelmeerstadt Alexandria gefunden worden sei. Nach den Tätern werde weiterhin gefahndet.

Wie ein so sperriges Fahrzeug (12 Meter Länge, 4 Meter Höhe, Höchstgeschwindigkeit 60 km/h) unerkannt Landesgrenzen passieren und schließlich sogar den Kontinent verlassen konnte, das können sich auch Brancheninsider kaum erklären. „Normalerweise fahren wir fünf Kilometer und werden direkt von der Verkehrspolizei angehalten“, sagt Bernd Armbruster, Geschäftsführer einer Kranvermietung in Pliezhausen. Oft stecke hinter einer Langstreckenfahrt eine Menge Papierarbeit, weil für jeden Verwaltungsbezirk eine neue Genehmigung benötigt werde. Der Krandiebstahl, so Armbruster, sei von Laien gar nicht zu bewerkstelligen. „Die Art und Weise, wie der verschwunden ist – das waren Fachleute“, sagt der Fachmann.

Täter haben das Ortungssystem deaktiviert

Ob die Diebe vor ihrer Reise nach Süden das Bundesland überhaupt verließen, ist jedoch ungewiss. Zwar gab es Zeugenberichte, denen zufolge der Kran in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen gesehen worden sein soll. Allerdings hatten die Täter vor der Flucht das Ortungssystem des Fahrzeugs deaktiviert. Auch dieser Umstand deutet auf Branchenkundige hin.

Was sich nach einem einfachen Knopfdruck anhört, ist tatsächlich einigermaßen kompliziert. Der Kölner Kranvermieter Herbert Schmitz weiß das besser als ihm lieb wäre. Anfang 2016 wurde auch von seinem Firmenhof ein Autokran gestohlen. „Die Diebe waren so gut, die haben das GPS geortet und feinsäuberlich ausgebaut.“ In einer Freitagnacht im Januar hatten maskierte Diebe sein Hoftor aufgebrochen und das GPS mithilfe spezieller Messgeräten identifiziert. „Wir bauen die Geräte absichtlich nie an derselben Stelle ein“, sagt Schmitz. „Die haben mit ihren Apparaturen die Signale überlagert, das waren Profis.“ Ganze drei Stunden waren die Diebe von Köln damals am Werk, bis der Sender ausgebaut war. Mittlerweile, so Schmitz, gebe es die Taktik, bei den Kranen abends die Maste und Abstützungen auszufahren, um potenziellen Dieben ihre Arbeit zu erschweren.

Die Diebe brauchen ein gutes Netzwerk

Das Verschwinden seines und des Stuttgarter Krans seien freilich keine Einzelfälle. Vor einigen Jahren habe es eine wahre Welle von gestohlenen Kranen gegeben. 28 Fahrzeuge seien um die Jahre 2008 und 2009 abhanden gekommen. Wiedergefunden worden seien gerade mal zwei. Schmitz vermutet, dass sein Kran illegal über die Niederlande verschifft worden ist. Doch selbst wenn Krandiebe es unentdeckt bis zu einem Frachthafen schaffen, warten dort gehörige Bürokratiehürden. Das Stauereiunternehmen Atlantik verlädt im Jahr bis zu 250 Krane im Bremerhavener Hafen. „Wenn man einen Kran verschiffen will, reicht es nicht, sich mit einer Reederei zu verständigen“, sagt Geschäftsführer Wolfgang Rose. „Man muss den Kran auch dem Zoll vorführen, der sich dann mit dem Empfängerhafen in Verbindung setzt.“ Weiterhin brauche es eine Stauerei, die den Kran auf das Schiff lädt. Sprich: Die Diebe brauchen ein gutes Netzwerk.

Sollte das schwergewichtige Diebesgut aus Obertürkheim tatsächlich über die Mittelmeerroute nach Ägypten gelangt sein, sei etwa der Hafen in Genua als Ausgangspunkt denkbar, sagt Rose. Italien sei in Sachen Einfuhrgenehmigungen kürzlich im Fokus gewesen. „Vor vier Wochen hat Australien beschlossen, keine Einfuhrpapiere mehr aus Italien zu akzeptieren, weil dort immer wieder gepfuscht wurde.“ Entgegen der Richtlinien seien mehrfach Insekten nach Australien gelangt, die für das dortige Ökosystem unverträglich waren. Warum? „Sie können sich vorstellen, dass man gegen ein Entgelt zum Beispiel auf Sizilien leichter die nötigen Papiere bekommt als in Bremerhaven.“

Zumindest für den vermissten Stuttgarter folgt mit der Rückführung in die schwäbische Heimat noch eine weitere Seereise. Die nötige Bürokratiemaschine dürfte bereits warmlaufen.