Die Hautkrankheit Schuppenflechte gehört zu den Autoimmunerkrankungen Foto: Fotolia

Bei Autimmunkrankheiten kämpft der Körper gegen sich selbst. Helfen Wurmeier bei der Heilung?

Berlin - Das Immunsystem ist die Geheimpolizei des Körpers. Es besteht aus hoch spezialisierten weißen Blutkörperchen. Spüren diese Agenten gefährliche Eindringlinge auf, alarmieren sie das Sondereinsatzkommando: die T-Helfer-Zellen, die Krankheitserreger bekämpfen. Manchmal aber schleicht sich ein Fehler ein, und das Immunsystem reagiert auf Zellen des eigenen Körpers wie auf Viren oder Bakterien. Dann brechen schwere Autoimmunkrankheiten aus: Schuppenflechte etwa, Typ-1-Diabetes oder multiple Sklerose (MS).

Allein in Deutschland sind etwa vier Millionen Menschen betroffen. Besonders beunruhigend: Oft dauert es Jahre, bis ein solches Leiden richtig diagnostiziert wird. Auch weil manche Autoimmunerkrankungen in der Frühphase sehr diffuse Beschwerden auslösen können: Kribbeln in den Händen, Juckreiz, Verlust der Libido oder depressive Verstimmungen. Viele Ärzte raten daher, erst einmal abzuwarten.

Doch eine zu späte Behandlung kann fatale Folgen haben. „Das Fortschreiten von rheumatoider Arthritis beispielsweise lässt sich in den ersten sechs Monaten nach Ausbruch der Krankheit mit Medikamenten häufig noch völlig zum Stillstand bringen“, sagt Michael Seitz, stellvertretender Chefarzt an der Universitätsklinik für Rheumatologie am Inselspital Bern. „Später hingegen ist das kaum mehr möglich.“

Bislang ist keine der 50 Autoimmunkrankheiten heilbar

Mehr als 50 Autoimmunerkrankungen sind bekannt, sie alle lassen sich bislang nicht heilen. Ist das Abwehrsystem einmal außer Kontrolle geraten, gibt es kein Mittel, es wieder vollständig zu disziplinieren. In schweren Fällen setzen Ärzte auf Cortison-Präparate, mit deren Hilfe sich das gesamte Immunsystem bremsen lässt – und damit auch sein Angriff auf körpereigenes Gewebe. Dadurch steigt aber auch das Risiko für Infektionen, Osteoporose und Stoffwechselprobleme.

Warum das Abwehrsystem überhaupt so durcheinandergerät, kann verschiedene Gründe haben, unter anderem die Gene. So haben britische Forscher bei MS-Kranken veränderte Genabschnitte entdeckt, die fast alle für das körpereigene Abwehrsystem relevant sind. Viele dieser Gen-Variationen spielen auch bei der Entstehung weiterer Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes und rheumatoide Arthritis eine Rolle.

In vielen Fällen brechen Autoimmunkrankheiten auch im Anschluss an eine Virus-infektion aus. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass sich das Risiko, an rheumatoider Arthritis zu erkranken, durch Rauchen verdoppelt. Stress und psychische Belastung wiederum können zumindest das Fortschreiten solcher Erkrankungen ungünstig beeinflussen. „Umwelteinflüsse und die individuelle Lebensweise spielen mit Sicherheit eine Rolle“, sagt der Immunologe Burkhard Becher von der Universität Zürich.

In Industrieländern könnte das Immunsystem unterfordert sein

So unterschiedlich die Ursachen für ein außer Kontrolle geratenes Immunsystem sind, so verschieden sind auch die einzelnen Autoimmunkrankheiten. „Deshalb wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nie ein Zaubermittel geben, das gegen alle Immunkrankheiten wirkt“, sagt Michael Seitz. Zumindest hoffen Ärzte wie er aber, künftig je nach Erkrankung die spezifischen Fehlfunktionen des Immunsystems mit Wirkstoffen gezielter kompensieren zu können. Dann müsste nicht mehr die gesamte körpereigene Abwehr mit Cortison-Präparaten gebremst werden.

Den Immunologen Burkhard Becher vom Universitätsklinik Zürich beschäftigt zudem die Frage, weshalb es gerade in den Industrieländern recht häufig zu Autoimmunerkrankungen kommt. Wie viele weitere Experten vermutet er mittlerweile, dass das Immunsystem nicht zuletzt aus Unterforderung aus dem Ruder laufen kann.

„Vor allem Parasiten wurden gerade in Mitteleuropa so weit zurückgedrängt, dass die körpereigenen Abwehrkräfte sich kaum mehr anstrengen müssen“, sagt Becher. „Manches spricht dafür, dass das Abwehrsystem zu einseitig stimuliert wird und dadurch fehleranfällig werden könnte.“

Der Kampf gegen Parasiten scheint das Immunsystem so weit zu beschäftigen, dass es nicht auf dumme Gedanken komme, so Becher. Würmer zu bekämpfen beispielsweise sei für die körpereigene Abwehr jahrtausendelang Routine gewesen. Was für diese Theorie spricht: Ist der Darm eines Patienten von Fadenwürmern besiedelt, verlaufen viele Autoimmunkrankheiten weniger schwer.

Regelmäßig Wurmeier schlucken – das könnte die Lösung sein

Eine Untersuchung argentinischer Wissenschaftler ergab etwa, dass Patienten mit multipler Sklerose deutlich weniger krankhafte Schübe erleiden, wenn sie mit Band- oder Fadenwürmern infiziert sind. Und in den USA zeigten erste Versuche mit einer Wurmeiertherapie auch bei Patienten, die an der Darmkrankheit Morbus Crohn leiden, deutlich positive Ergebnisse: 29 Morbus-Crohn-Patienten schluckten im Rahmen einer Studie der University of Iowa Eier des Schweinepeitschenwurms, damit sich der Parasit in ihrem Darm ansiedeln konnte. Nach knapp einem halben Jahr stellte sich der Erfolg ein: 23 der Testkandidaten gaben an, dass es ihnen besser gehe, und 21 hatten – nach eigenen Angaben – keine Symptome mehr.

„Wurmeier zu schlucken ist vielleicht nicht jedermanns Sache“, sagt der Immunologe Becher. „Aber viele dieser Parasiten sind für den Menschen weitgehend harmlos, und die ersten Resultate geben Anlass zur Hoffnung. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass diese Therapiemethode Zukunft hat.“

Schuppenflechte

Schuppenflechte

Schuppenflechte (Psoriasis) ist eine chronische Hauterkrankung, die auch Nägel und Gelenke befallen kann. Typische Symptome sind starker Juckreiz, entzündlich gerötete Hautpartien und Schuppenbildung. Neben erblicher Veranlagung gelten Alkohol, Nikotin, Sonnenbrand und Übergewicht als Risikofaktoren. Gegen die Symptome helfen pflanzliche Heilsalben und Badezusätze. In schweren Fällen werden Cortison-Präparate nötig, die das Immunsystem bremsen. (th)

Morbus Crohn

Morbus Crohn

Zu den typischen Symptomen dieser chronisch entzündlichen Darmkrankheit zählen krampfartige Bauchschmerzen und Durchfall, der viele Wochen lang anhält. Oft magern die Patienten ab und klagen auch über Gelenkschmerzen. Die meisten Ärzte setzen zur Behandlung der Symptome auf Antibiotika und Cortison-Präparate. (th)

Arthritis

Arthritis

Rheumatoide Arthritis gehört zu den Dutzenden unterschiedlichen Krankheitsbildern, die im Volksmund Rheuma genannt werden. Sie befällt die Innenhaut von Gelenken, Sehnenscheiden und Schleimbeuteln. Erste Anzeichen sind Schwellungen, Rötung sowie morgendliche Steifheit der Gelenke. Mit Hilfe von Basismedikamenten und sogenannten Biologika (Wirkstoffen, die gezielt in das Immunsystem eingreifen) lässt sich diese Erkrankung in der Frühphase  recht gut in den Griff bekommen. Wird sie erst nach sechs Monaten und später erkannt, ist das kaum möglich.  (th)

Multiple Sklerose

Multiple Sklerose

MS ist in Mitteleuropa die häufigste entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems. Bei MS greift das Immunsystem die schützenden Myelinscheiden um die Nervenstränge in Rückenmark und Gehirn an – und die Nervenzellen können Signale nicht mehr richtig übermitteln. Zu den Symptomen gehören Gliederschmerzen, motorische Schwierigkeiten und Sehstörungen. Es kann zu schweren Behinderungen kommen. Je nach Krankheitsverlauf werden neben Medikamenten, die auf das Immunsystem wirken, auch Antidepressiva oder Schmerzmittel verschrieben. (th)

Diabetes

Diabetes

Bei Typ-1-Diabetes vernichten fehlgeleitete Abwehrzellen die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse. Meistens bricht Typ-1-Diabetes bereits im Kindes- und Jugendalter aus. Zu den Symptomen gehören: Leistungsabfall, Schwächegefühle und Gewichtsverlust. Die Erkrankten müssen sich lebenslang synthetisches Insulin in die Blutbahn spritzen. Sonst kommt es häufig zu Folgeleiden wie Gefäßverkalkung, Augen- und Nierenkrankheiten. (th)