Seit dem Aus der Zellentochter Litec konzentriert sich Daimler auf die effiziente Anordnung der Batterien bei Accumotive (Bild). Foto: dpa

Ein früherer Thyssen-Krupp-Manager will mit seiner Firma in die Zellenproduktion einsteigen und in Kürze den Standort dafür bekannt geben. Die deutschen Autobauer halten sich zurück. Ein Fehler – meinen Experten.

Stuttgart - In der breiten Öffentlichkeit ist der Name Holger Gritzka wohl nur wenigen ein Begriff. Vielleicht ändert sich dies schon bald. Denn Gritzka tut das, womit sich die deutsche Autoindustrie bisher schwer tu: Er plant eine Fabrik für Batteriezellen. Deswegen hat der frühere Manager von Thyssen-Krupp vor nicht einmal einem Jahr zusammen mit zwei Partnern die TerraE Holding in Frankfurt gegründet. „In Kürze“, sagt er, wolle er den Standort bekannt geben. Die Finanzierung sei auf einem guten Weg, beteuert er. Ende 2019 soll die Produktion anlaufen. Er habe Abnahmeerklärungen für die Zellen, sagt er. Weder bei der Finanzierung noch bei Kunden wird er konkreter. Nur soviel: Die Zellen „Made in Europe“ sollen stationäre Energiespeicher, Gabelstapler, Scooter, E-Bikes sowie Transporter antreiben. TerraE hat namhafte Partner um sich versammelt wie Thyssen-Krupp, Siemens, den Stuttgarter Anlagenbauer M+W, Street Scooter (Post) und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW).

Die deutsche Auto- und Zulieferindustrie gehört nicht dazu. Dabei hat sie wohl den größten Bedarf an modernen Batteriezellen. Doch die Konzerne zaudern. Bosch will seine Entscheidung in Kürze bekanntgeben. Conti kann sich einen Einstieg nur gemeinsam mit Partnern vorstellen. BMW will sich bis 2021 das nötige Know-how beschaffen. Und für Daimler ist eine Zellfabrik derzeit kein Thema. Das liegt nicht zuletzt an Litec. Daimler war der bisher letzte Hersteller, der Zellen im industriellen Maßstab hergestellt hat. Doch Ende 2015 gingen die Lichter bei der Tochter Litec im sächsischen Kamenz aus – obwohl die Zellen in Bezug auf Ladezyklen, Haltbarkeit und Sicherheit leistungsfähiger als asiatische Konkurrenzprodukte gewesen sein sollen – aber auch teurer. Seitdem konzentriert sich die Tochter Accumotive in Kamenz auf das Packaging, also die effiziente Anordnung zugekaufter Zellen.

Nur noch Pilotanlagen

Hierzulande gibt es nur noch Pilotanlagen mit geringem Output. Ihren Bedarf an Zellen für Elektro- und Hybridautos decken die Hersteller auf dem Weltmarkt, der von Konzernen wie Panasonic (Japan), LG Chem und Samsung (beide Südkorea) beherrscht wird. Aber auch chinesische Firmen haben sich in der Rangliste der Großen vorgearbeitet.

Und deutsche Konzerne? „Technologisch spielen deutsche Hersteller in der Spitzengruppe mit“, sagt Matthias Busse, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Bremen. Seiner Ansicht nach ist es „essenziell wichtig“, dass Deutschland eine eigene Zellfertigung aufbaut – und nicht nur auf das Packaging setzt. Nötig seien mehrere Fabriken, um den hiesigen Bedarf zu decken. Busse befürchtet, dass sich Deutschland „ ansonsten „in eine große Abhängigkeit“ begibt.

Um welche Gefahr es sich handeln könnte, erläutert Horst Hahn: Für möglich hält der Leiter des Instituts für Nanotechnologie am KIT (Karlsruher Institut für Technologie), dass asiatische Hersteller künftig nur noch ganze Batteriesysteme anbieten. Sollte es so weit kommen, hätte dies gravierende Auswirkungen auf hiesige Jobs. Schließlich entfällt 30 bis 40 Prozent der Wertschöpfung eines Elektroautos allein auf die Batterie. Nicht ausgeschlossen ist, dass asiatische Hersteller das Batteriesystem vorgeben – und „wir bauen dann ein Auto drum herum“, erklärt Hahn.

Chance und Risiko

Batteriezellen „ist eine Kernkompetenz, die wir adressieren müssen“, fordert Busse. Er vergleicht es mit konventionellen Autos. „Unser bisheriger Erfolg in der Autoindustrie beruhte darauf, dass wir Motoren selbst entwickeln und in Deutschland fertigen“, fügt er hinzu.

Die Gefahren sind der deutschen Industrie wohl bewusst. Trotzdem gilt der Einstieg in die Zellproduktion als riskant. Zwar erwarten Experten ein hohes Marktwachstum. Ihre Marktanteile werden die Zellriesen dennoch verteidigen, heißt es. Und bei einem Preiskampf – von dem Verbraucher durchaus profitieren – hätten die Asiaten Vorteile. Schließlich haben sie bereits Erfahrung im Betrieb und Produktionsprozess einer Zellfabrik gesammelt.

Die deutschen Konzernchefs sind sich einig, dass ein Einstieg in die Herstellung gebräuchlicher Lithium-Ionen-Batterien nicht mehr sinnvoll ist. Sie setzen vielmehr auf die Festkörpertechnologie. Sie gilt als Zelle der Zukunft, die nicht nur deutlich leistungsfähiger, sondern auch sicherer – sprich weniger brandgefährdet – sein soll. Experten pochen derweil auf den Zeitfaktor. „Wenn wir es nicht schaffen, in den nächsten fünf Jahren eine maßgebliche Produktion aufgebaut zu haben und die Produktion nicht in acht Jahren unter Volldampf läuft, dann sind wir mehr oder weniger abgehängt“, warnt Busse.

Neue Zellfabriken geplant

Asiatischen Konzerne, die auch an Festkörperbatterien forschen, planen bereits neue Batteriefabriken. Wolfgang Bernhart, Autoexperte bei der Unternehmensberatung Roland Berger, weiß von Planungen im Umfang von 360 Gigawattstunden bis 2020 – genug für jährlich sechs bis sieben Millionen Autos. Errichtet werden sollen sie auch in Europa. Der koreanische Hersteller LG Chem will in Polen bauen. Samsung hat sich für Ungarn entschieden. Eignet sich Deutschland als Zellfabrik-Standort? Doch, sagt Gritzka. Die Marktführer säßen schließlich auch in hochindustrialisierten Ländern wie Japan und Südkorea – die alles andere als Billigstandorte seien.

Bernhart lässt auch die hierzulande hohen Stromkosten nicht gelten. Gemessen an den gesamten Herstellkosten einer Zelle entfielen auf Energie zwischen vier und fünf Prozent, rechnet der Autoexperte vor. Ziehe man die Umlage für erneuerbare Energien ab, wie bei energieintensiven Betrieben üblich, seien die Herstellkosten etwa auf polnischem Niveau.

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