Mit der Picknickdecke auf der B 14: Teilnehmer des Sit-Ins spielen Karten. Foto: Lichtgut/Julian Rettig/Julian Rettig

Am Sonntag wurde die Theodor-Heuss-Straße zur Fußgängerzone mit vielfältigen Angeboten. Etliche Demonstranten sorgten zudem in der Innenstadt für temporäre Sperrungen.

Stuttgart - Rund 30 Initiativen, Vereine und Institutionen beteiligten sich am ersten autofreien Sonntag entlang der Theodor-Heuss-Straße. Die Veranstaltung im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche stand im Zeichen alternativer Fortbewegungsmittel. Die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs war am Sonntag kostenlos. Insgesamt nahmen tausende von Besuchern die Informationsangebote wahr und genossen bei bestem Wetter das Programm. Hinzu kamen einige Demos. Zu größeren Verkehrsbehinderungen kam es laut Polizei nicht. Die Veranstaltungen verliefen friedlich.

Stuttgart ist mehr als die Theo

Ein Transparent mit der Aufschrift „Zu Fuß fürs Klima“ markiert an der Hohenheimer Straße unweit der Luftmessstelle, dass die Aktionen zum Thema Verkehrswende nicht auf die Theo beschränkt sind. Der Fachverband Fuß e.V. hat zu einem Demonstrationszug aufgerufen, der über die Charlottenstraße und den Charlottenplatz zur Dorotheenstraße geführt hat. Um 12 Uhr stimmt Vereinsmitglied Friederike Votteler die rund 50 Versammelten mit kritischen Worten an die Adresse der Stadt ein. Gehsteige seien „Resterampen, auf denen man alles ablade“. Parkautomaten, E-Roller, Sperrmüll – der ohnehin knappe Raum für Fußgänger werde massiv beschnitten. Bürgermeister Martin Schairer hielten sie vor, er sei ein „Fossil aus der automobilen Stadt“ und unternehme zu wenig.

Weitere autofreie Sonntage

OB Fritz Kuhn vermittelt bei der Eröffnung des Aktionstages „Theo autofrei“ ein anderes Bild vom Engagement der Stadt. Dem ersten autofreien Sonntag sollen weitere folgen, verspricht er. Dabei wolle man das Gebiet, das für Autos gesperrt werde, Jahr für Jahr ein wenig weiter fassen. „Wir wollen Urbanität erfahrbar machen“, so Kuhn. „Es geht darum, zu lernen, was noch alles möglich ist.“ Noch in diesem Jahr solle die Eberhardstraße ans „autofreie Netz“ gehen. Auch die Dorotheenstraße wolle man vom Autoverkehr befreien.

Fahrbahn zum Flanieren

Auf dem Börsenplatz hört man am Sonntagmittag nur das Rauschen des Brunnens. Besucher genießen die Ruhe bei kühlen Getränken und Sonnenschein. „Ich muss ja nicht mehr fahren“, witzelt ein Herr und nippt an seinem Weizen. Die Idee, die Fahrbahn zum Flanieren freizugeben, gefällt ihm. Einziger Kritikpunkt: Das Ganze wirke ein bisschen wie ein Anhängsel des Aktionstags Elektromobilität auf Markt- und Karlsplatz. Und dort stelle man schließlich Autos aus. Ein Denkanstoß sind die Gehzeuge, mit denen Mitglieder des BUND auf der Theo vor Augen führen, wie viel Platz ein Auto braucht. Umschnallbare Holzgestelle markieren den Umfang eines Parkplatzes. „Auf diesem Raum könnte man elf Fahrräder abstellen“, erklärt Ulrich Schmidt vom Kreisverband Stuttgart und fährt fort: „Es gibt immer noch zu viele Leute, die mit ihrem Pkw Brötchen holen oder ihre Kinder noch schnell zur Kita bringen. Manchmal so schnell, dass sie andere Kinder gefährden.“ Auf der Theodor-Heuss-Straße, die am Sonntag auch nicht von Fahrrädern befahren werden darf, kann sich der Nachwuchs am Sonntag gefahrlos austoben. Ob Fahrradparcours, Fußballspielen oder Sprayen, ob farbenfrohe Verschönerung eines VVS-Busses oder Schminken.

Demo auf zwei Rädern

Peter Pipiorke von der Radgruppe der Naturfreunde Stuttgart hat eine Raddemo initiiert, die am Feuersee startet. „Wir haben uns sehr gefreut, als Herr Kuhn verkündet hat, er wolle den Autoverkehr um 20 Prozent reduzieren“, betont er. „Er muss aber nicht nur den Mund spitzen, sondern auch pfeifen, wenn er das erreichen will.“ Etwa 100 Zweiradfahrer haben sich um ihn versammelt. Den Aktionstag begrüßt Pipiorke ausdrücklich. „Ich finde es gut, dass etwas passiert. So eine Veranstaltung ist ja auch immer ein Anlass, zu diskutieren und Dinge zu überdenken. Das gelte auch für den Umgang mit Fußgängern und Radfahrern. Immer wieder würden beide Parteien regelrecht gegeneinander ausgespielt.

Picknick auf der Bundesstraße

Auf der B 14 tollen ebenfalls Kinder umher. Auf Höhe der Leonhardskirche haben sich mehrere hundert Teilnehmer zum Picknick auf der Fahrbahn versammelt. „Ich finde es toll, dass hier heute wieder in beide Richtungen gesperrt wurde“, freut sich Hannes Rockenbauch (SÖS). „Das ist ein gutes Zeichen, passend zum autofreien Sonntag“. Auch Nisha Touissant-Teachout von Fridays for Future ist begeistert. Zumindest, solange sie an die große Demonstration vom Freitag zurückdenkt oder die sonntägliche Aktion des Bündnisses „Platz da! – echt autofrei“ auf der Bundesstraße betrachtet. Zutiefst enttäuscht ist sie hingegen vom Klimakabinett des Bundes. „Wir haben nicht viel erwartet und wurden dennoch enttäuscht“, konstatiert Touissant-Teachout und fordert, es sei an der Zeit, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Aktivisten von Fridays for Future beteiligten sich am Sonntag an einer Demonstration von Greenpeace und an Straßenblockaden.

Unangemeldete Blockade

Etwa 30 Menschen errichten von 14 Uhr an zudem eine unangemeldete Sitzblockade auf der Hauptstätter Straße, wie Polizeisprecher Stephan Widmann sagt. Die Versammlung auf Höhe der Sophienstraße ist demnach nicht angemeldet. „Wir gehen nicht dagegen vor“, so Widmann: Das Anti-Konflikt-Team ist am Sonntagnachmittag vor Ort. Die unangemeldete Blockade habe nicht zu größeren Verkehrsbehinderungen geführt, allerdings konnte die Bundesstraße nicht wie geplant um 16.30 Uhr wieder komplett für den Verkehr freigegeben werden, sondern erst gegen 19 Uhr.

Täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit

Cornelius Meister, Generalmusikdirektor der Stuttgarter Oper kommt mit dem Fahrrad zur Bühne gegenüber der L-Bank. „Ich mache das nicht, weil heute der Aktionstag ist“, gibt er zu verstehen. Er fahre täglich durch den Schlossgarten zur Arbeit. Ohne elektrischen Antrieb. „Wir brauchen eine Vision, wie Stuttgart in 30 Jahren aussehen soll“, gibt Meister zu bedenken, ehe er sich ans E-Piano setzt. „Ich komme als Dirigent viel auf der Welt herum und es gibt Städte, die dermaßen stinken und so laut sind, dass ich dort nicht leben möchte.“