Endstation Brüssel: auf einem Abstellplatz beschlagnahmter Autos kann Bertuleit wieder in sein Auto steigen. Foto:Wolf-Dieter Obst Foto:  

Roland Bertuleits Transporter wird in Stuttgart gestohlen, in Luxemburg für einen Bandeneinbruch genutzt und in Brüssel abgestellt: Der Europa-Krimi, in den der Hausmeister verwickelt wird, zeigt auch die oft mangelhafte länderübergreifende Zusammenarbeit der Behörden.

Stuttgart - Roland Bertuleit hält in Sillenbuch an einer roten Ampel an. Er wundert sich über einen Mann auf dem Gehweg, der in seinen Wagen schaut. „Was will der denn?“

 

Seit der Geschichte damals ist er misstrauischer geworden. Der freundliche Hausmeister wittert immer wieder Ungemach. „Wenn Leute so komisch an meinem Auto vorbeilaufen“, sagt er, „dann denke ich gleich, dass die was ausbaldowern.“ Der 65-Jährige hat allen Grund, argwöhnisch auf seinen Transporter aufzupassen. Was ihm da vor einiger Zeit passierte, klingt unglaublich: Ein Autodiebstahl, der sich zu einem Kriminalfall quer durch Europa entwickelte.

Damals, vor dem Autodiebstahl, ist Roland Bertuleit längst nicht so aufmerksam und misstrauisch. Der Mann, der auf der Filderebene einen Hausmeister-Service betreibt, will in einem Mehrfamilienhaus nur mal kurz einen Aushang aufhängen. In der Zellerstraße im Stadtteil Stuttgart-Süd geht er mit Zettel und Tesa-Film los, sein Firmenfahrzeug bleibt unverschlossen zurück – es wird ja nicht lange dauern. Ein großer Fehler, wie sich herausstellt: Unbekannte Täter nutzen die Gelegenheit und fahren mit dem Opel Vivaro auf und davon.

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Für einen Hausmeister ist das nicht nur ein Auto, das da verschwindet. Es ist auch sein mobiler Arbeitsplatz. Kabeltrommeln, Kehrmaschine, Laubbläser, Gartentaschen – Arbeitsgerät, das er ständig braucht. Für die Polizei freilich ist es nur eines von etwa 70 bis 100 Kraftfahrzeugen, die binnen eines Jahres in Stuttgart gestohlen werden und von denen viele nach einer Spritztour dann auch wieder auftauchen. Aber nicht dieser Transporter. Obwohl er mit einer Firmenaufschrift versehen ist, bleibt der weiße Wagen verschwunden.

Und Bertuleit hat noch ein Problem: Bei einem nicht verschlossenen Fahrzeug besteht kein Versicherungsschutz. Die Polizei hat den weißen Opel auf die Fahndungsliste gesetzt. Mehr kann sie erst einmal nicht tun.

Roland Bertuleit, der Mann mit der Schiebermütze und dem knitzen Lächeln hinter einem grauen Henriquatre-Bart hat seinen Hausmeisterservice für Grünanlagen und Haustechnik vor mehr als 30 Jahren aufgebaut. Sein Talent für kriminalistische Ermittlungen hielt sich dabei immer stark in Grenzen. Das braucht man auch nicht für Kehrwoche oder ausgefallene Heizungen.

Doch das ändert sich 24 Tage nach dem Diebstahl. Ein Gemeindearbeiter aus Winseler im Nordwesten Luxemburgs ruft in Bertuleits Firma an. Er beschwert sich über den Sperrmüll, den Bertuleit dort in einem Waldstück hinterlassen hat. Besen, Eimer, Auffahrrampen und eine Astschere. Auf der stehe die Telefonnummer des Hausmeisters. Roland Bertuleit schaltet sofort und bittet den Mann, die Polizei zu verständigen.

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Sehr zur Freude von Gilbert Hoffmann, dem Chef der Kriminaldauerwache im Luxemburger Kanton Wiltz. Der ermittelt nach einem Tankstelleneinbruch, bei dem die Eindringlinge Zigaretten und Bargeld im Wert von 40 000 Euro erbeutet haben. Die Überwachungskamera zeigt die Täter, wie sie ihre Beute in Grüngutsäcken abtransportieren – in Bertuleits Grüngutsäcken. Der Luxemburger Kripomann weiß nun, dass die Täter mit einem weißen Opel Vivaro und Stuttgarter Kennzeichen geflüchtet sein müssen. Vermutlich nach Belgien, wo Zigaretten teurer sind.

Eine heiße Spur. Bertuleits Transporter ist nun für zwei Polizeidienststellen eine Nummer. Im europäischen Fahndungssystem ist der Wagen unter der Schengener Identifikationsnummer S 08 12 09 01 09 32 geführt. Er soll beschlagnahmt werden: Saisir vehicule!

Das Happy End scheint 65 Tage nach dem Diebstahl greifbar nahe. Diesmal ist es eine E-Mail, und sie erreicht Roland Bertuleit, als er sich zur Hochzeit seiner Tochter in Salt Lake City in den USA aufhält. Ein Anwohner aus dem Brüsseler Stadtteil Molenbeek-Saint-Jean teilt auf Englisch mit, dass in seiner Straße seit vielleicht zwei Monaten ein Opel stehe, mit vielen Strafzetteln unter dem Scheibenwischer. „Ist das möglicherweise ein gestohlenes Autos von Ihnen?“

Ausgerechnet jetzt steckt er in Amerika fest! Bertuleit bittet den freundlichen Brüsseler per Mail, die dortige Polizei zu verständigen. Auch der Stuttgarter Polizei gibt er Bescheid. Bertuleit denkt auch an die Luxemburger, im Wagen könnten schließlich Fingerspuren der Täter zurückgeblieben sein. Brüssel quittiert. Luxemburg dankt und bittet Brüssel um Spuren der Kriminaltechnik. Das Bundeskriminalamt ist eingeschaltet. Und dann: Funkstille. „Darf ich mein Auto wiederhaben und wann?“, fragt Roland Bertuleit. Doch es gibt niemand, der ihm das beantwortet. Anfragen über offizielle Kanäle bleiben unbeantwortet. Niemand, der etwas weiß. So geht das Monate.

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Gestohlene Autos, die im Ausland sichergestellt werden: ein brisantes Thema. Martin Lang, der Leiter der Inspektion Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt, fasst das so zusammen: „Die Informationswege sind hervorragend, doch alles hängt immer ab von den Spielern auf dem Spielfeld.“ Mit Tschechien beispielsweise funktioniere das hervorragend. Ein Fall aus dem Jahr 2016: Ein Porsche Cayenne im Wert von 150 000 Euro,am 12. Juli in Rutesheim gestohlen, wird fünf Tage später in Tschechien sichergestellt. Die dortigen Behörden sorgen für die Spurensicherung und die Rückführung. Der Wagen ist am 4. August wieder in Deutschland. „Mit den richtigen Kontaktpersonen dauert das nur wenige Wochen“, sagt Lang.

Doch manchmal kehren sichergestellte Autos auch nach Jahren nicht zurück. Beispiel: ein Mazda CX-5, Wert 40 000 Euro, im November 2016 vom Gelände eines Autohändlers in Stuttgart-Vaihingen gestohlen, 2018 in Südpolen entdeckt. Der Besitzer hat im Sommer 2019 sein Auto noch immer nicht. Welche Spieler sind da auf dem Spielfeld?

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„Ein unglaublicher Vorgang“, sagt Peter Hölle, ein Ermittlungsspezialist für Kfz-Diebstähle beim LKA. Sein Blick richtet sich auf die polnische Stadt Zielona Góra, 710 Kilometer von Stuttgart entfernt, 60 Kilometer hinter der deutschen Grenze. Die dortige Staatsanwaltschaft meldet die Sicherstellung des Stuttgarter Mazda an die Fahndungsplattform Sirene beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Der Wagen sei am 31. Oktober 2018 sichergestellt worden, heißt es. Das LKA erfährt das am 29. Januar 2019. Das Autohaus wird informiert und gebeten, sich als Besitzer zu legitimieren. Am 6. Februar schickt das LKA das geforderte 15-Fragen-Formular über das BKA nach Polen zurück.

Am 26. Februar bekommt der Kripomann Hölle wieder Post. Es ist aber kein Dankesbrief – sondern ein weiteres Rechtshilfeersuchen aus Zielona Góra, datiert vom 24. November 2018. Hölle vereinbart am 6. März einen Vernehmungstermin mit einem Verantwortlichen des Autohauses, gibt die Antworten am selben Tag an die Stuttgarter Staatsanwaltschaft weiter. Der Staatsanwalt schickt die Unterlagen direkt nach Zielona Góra. Doppelt hält besser. Aber Peter Hölle kann über die Antwort aus Polen – im Juli – nur den Kopf schütteln: „Da heißt es: ,Solange die Rechtshilfe nicht beantwortet ist, kann das Auto nicht herausgegeben werden’.“

So gesehen hat Roland Bertuleit ja richtig Glück, als ihm schon nach sieben Monaten das örtliche Polizeirevier mitteilt, dass das Bundeskriminalamt erfahren habe, er könne sein Auto in Brüssel abholen. Hierzu solle er sich mit der lokalen Polizei in Brüssel-West in Verbindung setzen. Die Mitteilung enthält aber eine böse Überraschung: „Es entstehen Kosten für die Unterstellung.“

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Der Opel Vivaro steht da schon 129 Tage auf dem Hof einer Abschleppfirma in Asse-Zellik, sechs Kilometer von der Polizeistation im Brüsseler Westen entfernt. Und mit jedem Tag tickt die Gebühr von zusätzlich 15 Euro. Knapp 2000 Euro sind so inzwischen zusammengekommen. Bertuleit zögert nicht länger und fährt schon am nächsten Morgen um sechs mit einem Begleiter nach Brüssel. Auf befriedigende Antworten hofft er dort vergebens. Der zuständige Beamte versteht angeblich nur Französisch, und der Hausmeister kann allenfalls ein bisschen Englisch.

„Ich weiß auch nicht, wo die Information hängen geblieben ist“, erklärt der Inspecteur Vincent B. auf Nachfrage des Reporters. Man habe die belgische föderale Polizei informiert, die wiederum habe sich an die Polizei in Deutschland gewandt. „Eine Antwort ist bei uns nicht angekommen“, sagt der Inspecteur. Nach Monaten habe sich die Abschlepperfirma gerührt, was denn nun mit dem Stuttgarter Transporter sei. Auf dem Hof seien regalweise beschlagnahmte Autos gestanden – mit Kennzeichen aus allen Herren Länder. „Normalerweise klappt der Informationsaustausch mit Deutschland gut, Probleme sind hier selten“, sagt Inspecteur Vincent B. Probleme gebe es eher mit Italien oder Spanien.

Bertuleit hat der Dame vom Abstellplatz zähneknirschend 1920 Euro bezahlt. Auf den Kosten ist er sitzen geblieben. Die Kaskoversicherung war ja raus aus der Sache, weil der Wagen nicht verschlossen war.

Kürzlich wurde er beinahe wieder bestohlen. Er hatte einen Rasenmäher ausgeladen und dann kurz seinen Transporter umgeparkt. Als er zurückkam, konnte er gerade noch beobachten, wie einer den Sabo-Mäher im Wert von 1300 Euro in ein Auto einladen wollte. „Zum Glück kam ich noch rechtzeitig dazu“, sagt Bertuleit. Der Mann behauptet, er habe gedacht, das sei Sperrmüll.

Wer’s glaubt. Bertuleit ist misstrauischer geworden. So auch an der roten Ampel in Sillenbuch, wo er sich über den aufdringlich in den Wagen blickenden Mann wundert. Als Bertuleit weiterfährt, klärt sich der rätselhafte Fall. Eine Polizeikontrolle winkt ihn nach rechts raus. Er habe am Steuer sein Handy in der Hand gehabt, wird ihm erklärt. 100 Euro, ein Punkt. Bertuleit seufzt. Jetzt kennt man ihn eben auch noch in Flensburg.