Die Schilderbrücke über der A 8 am Messeparkhaus erteilt Autofahrern dieser Tage öfter mal die Geschwindigkeitsfreigabe. Foto: Leif Piechowski

Stuttgart wollte 80 km/h und hat nun nicht mal mehr 120 -Tempolimit aber für Schilderbrücken?

Stuttgart - Noch verstellt die große Baustelle zwischen Möhringen und dem Kreuz Stuttgart den Blick auf die neuen Verhältnisse. Ihretwegen gelten in diesem Bereich noch bis November 60 beziehungsweise 80 km/h als Tempolimit. Zwischen dem Echterdinger Ei und Wendlingen sowie zwischen dem Kreuz Stuttgart und Leonberg gibt es seit der Inbetriebnahme der flexiblen Verkehrszeichen vor gut einer Woche aber einen Vorgeschmack darauf, was ab Herbst auf der ganzen Strecke Gesetz ist. Wenn etwa spätabends nur wenig Autos rollen, schalten elektronischen Anzeigen ab. Und weil es keine Tempo-120-Metallschilder mehr gibt, können Fahrer dann Vollgas geben. „Das stimmt“, bestätigt Clemens Homoth-Kuhs, Sprecher des Regierungspräsidiums (RP) Stuttgart, auf Anfrage unserer Zeitung, „wenn es der Verkehr zulässt, gilt keine Geschwindigkeitsbegrenzung.“

Selbst im Gefälle hinunter nach Leonberg-West, wo seither eine Höchstgeschwindigkeit von 100 Kilometer pro Stunde galt, herrscht freie Fahrt für freie Bürger. Erst im Dreieck Leonberg steht wieder ein 120er-Schild. „Insbesondere nachts gibt es hier keine Unfallschwerpunkte“, sagt Homoth-Kuhs. Allerdings hat nach Informationen unserer Zeitung der Leiter des Autobahnpolizeireviers Ditzingen an das Landespolizeipräsidium appelliert, zumindest am Gefälle wieder ein Tempolimit einzuführen. In der Gegenrichtung, hinauf zum Kreuz Stuttgart, mahnen die neuen Anzeigen nur deshalb immer noch Tempo 100 an, weil der Verkehr vorsichtig an die Baustelle am Kreuz Stuttgart herangeführt werden soll.

Die Aufhebung der starren Tempolimits, die auf der A 8 zwischen Leonberg und Denkendorf lange galten, überrascht in Zeiten von Feinstaub- und Lärmdebatten. Stuttgarts Ordnungsbürgermeister Martin Schairer ist „verwundert“. Seiner Meinung nach sei die Anlage gebaut worden, um bei viel Verkehr den Seitenstreifen als vierte Fahrspur freigeben zu können. „Und nicht, um das Tempo freizugeben“, sagt Schairer, „da muss ich beim Ministerium nachhaken.“

Tempo 120 galt bisher vor allem deshalb, um die vielbefahrene Strecke sicherer zu machen

Polizeidirektor Klaus Trautmann vom Landespolizeipräsidium hat bereits im Dezember 2011 in unserer Zeitung darauf hingewiesen, dass Tempo 120 bisher vor allem deshalb galt, um die vielbefahrene Strecke sicherer zu machen. Da künftig aber die computergesteuerten Anzeigen die Verkehrssicherheit garantieren sollen, sei das starre Tempolimit eigentlich überflüssig. „Das liegt in der Logik der Anlage selbst“, sagt Regierungspräsidiumssprecher Homoth-Kuhs. Zumal die deutsche Straßenverkehrsordnung keine Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen vorsieht.

In der entsprechenden Expertenkommission ist dem Vernehmen nach monatelang darum gerungen worden, ob die Aufhebung des Tempodeckels vertretbar ist oder nicht. Doch das Bundesverkehrsministerium will die teure Technologie nur an Standorten einsetzen, an denen keine anderen Beschränkungen gelten. Baden-Württemberg kam in den Genuss von 21 Millionen Euro für die Anlage zwischen Leonberg und Wendlingen. Für weitere 13 Millionen Euro soll bis Mai 2013 eine weitere Anlage auf der A 81 zwischen Leonberg und der Anschlussstelle Mundelsheim entstehen. Auch dort gelten bisher noch starre Tempolimits, die bald Vergangenheit sein könnten.

„Die Verkehrssicherheit hat immer Vorrang“

Homoth-Kuhs glaubt, dass die Tempofreigabe tagsüber wegen des hohen Verkehrsaufkommens von bis zu 150.000 Fahrzeugen so gut wie nie kommen wird. „Vielleicht mal am Sonntag frühmorgens.“ Am Freitag waren jedoch die Anzeigen auf der A 8 auf Höhe der Landesmesse morgens um 8.10 Uhr schwarz. Das dürfte nachts so gut wie immer der Fall sein. Homoth-Kuhs betont, dass die Regelung vorläufig sei: „Die Verkehrssicherheit hat immer Vorrang.“

Edgar Neumann, Sprecher von Verkehrsminister Winfried Hermann, geht noch weiter: „Wir prüfen, wie es rechtlich möglich ist, kurzfristig wieder ein Tempolimit einzuführen.“ Der Bund habe die Tempofreigabe gefordert, andererseits sei eine Obergrenze sinnvoll. Dabei geht es um Lärmschutz und den Kampf gegen Luftverschmutzung. Die Stadt Stuttgart hatte im April wegen des Lärms Tempo 80 auf der A 8 gefordert. Das Regierungspräsidium hat das abgelehnt. Die Grenzwerte würden eingehalten, heißt es, zudem werde ein Flüsterasphalt verlegt.