Ohne gleich die Karriere aufgeben zu müssen, lässt sich per Kurzzeit-Sabbatical in andere Berufe hineinschnuppern. Foto: Jeanette Dietl/Fotolia

Neues kennenlernen, der eigenen Jobroutine entfliehen – diesen Traum hegen viele Menschen. Ein Start-up-Unternehmen ermöglicht es, für einen Tag oder im Urlaub mal in einen anderen Beruf hineinschnuppern. Allerdings ist das nicht immer billig.

Berlin - Steffen Kruse hat seinen eigenen Wohnzimmertisch geschreinert. Einfach so – „der Bedarf war eben da“. Bloß das nötige Fachwissen dazu fehlte ihm bisher. Auf Descape.de wurde er fündig: Die Online-Plattform ermöglicht Ausflüge in andere Jobs. Ob Bierbrauer oder Fotograf, Klavierbauer oder eben Tischler: Die „Descapes“ in andere Berufe – unter Anleitung eines entsprechenden Experten – werden online gebucht.

„Kann ich mein Leben mal kurz speichern und was ausprobieren?“ – diese Frage stellte sich Descape-Gründerin Lena Felixberger schon lange. In Gesprächen mit Freunden und Bekannten merkte sie oft, dass es auch anderen, die mitten im Berufsleben stehen, genauso ging. Viele waren in ihrem Job nicht grundsätzlich unglücklich, träumten aber doch hin und wieder von einem ganz anderen Leben – oder schlicht von neuen Impulsen. Dieser Wunsch lässt sich nun mit einem Descape erfüllen. „Koch für einen Tag, Gärtner für eine Woche oder DJ für eine Nacht – den Traumberufen auf Zeit sind keine Grenzen gesetzt“, sagt Felixberger.

Ohne gleich seine Karriere aufgeben zu müssen, lässt sich auf diese Weise in einer Art Kurzzeit-Sabbatical in andere Berufe hineinschnuppern. Gedacht ist das Angebot nicht nur für Angestellte, die sich einen langgehegten Traum erfüllen wollen: Für Selbstständige ist Descape eine Alternative zu klassischen Fortbildungen, Berufseinsteigern dient es als Entscheidungshilfe zum künftigen Traumjob. Und wer Tag für Tag am Schreibtisch sitzt, kann nun zum Teilzeit-Handwerker werden. Daher kommt übrigens auch das Wort „Descape“: Es setzt sich zusammen aus „Desk“, dem englischen Wort für Schreibtisch, und „Escape“, dem englischen Wort für Flucht – und bedeutet also so viel wie „Schreibtischflucht“.

Als Wildlife-Ranger in Costa Rica

Für Steffen Kruse hat sich die Flucht gelohnt: „Es war ein schöner Kontrast zu meiner beruflichen Tätigkeit“, sagt der Software-Entwickler. „Körperliche Arbeit mit einem handfesten Ergebnis – also etwas, was man hinterher anfassen kann –, das ist etwas anderes als ich sonst mache.“

Ganz günstig ist die Flucht aber nicht: Abhängig von Dauer und Umfang legt jeder Anbieter den Preis für sein Descape selbst fest, die Online-Plattform erhält eine Vermittlungsprovision. So kostet ein Arbeitstag als Limonaden-Hersteller in Heidelberg 159 Euro. Wer mal ein Drehbuch schreiben möchte muss – bei regelmäßiger Betreuung – mit Kosten bis zu 215 Euro pro Tag rechnen. Dann lieber doch ein paar Tage Wildlife-Ranger in Costa Rica sein? Kosten: 95 Euro pro Tag inklusive Übernachtung und Verpflegung.

Tatsächlich spielt für viele Nutzer des Angebots das Geld eher eine untergeordnete Rolle. Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, oder wenigstens eine Tätigkeit auszuüben, die glücklich macht, ist wichtiger. Zu dieser These passt auch aktuell eine Studie der Fachhochschule Köln unter rund 5000 Mitarbeitern aus 30 mittelständischen Betrieben. Demnach ist für rund 70 Prozent der wichtigste Faktor für die eigene Zufriedenheit, dass ihre Tätigkeit sinnstiftend und abwechselungsreich ist.

Führungskräfte träumen vom Time-out

„In der Regel sind Arbeitnehmer glücklich, wenn sie eine große Chance haben, ihre Potenziale zu entfalten“, sagt auch Julia Hoch, Wirtschaftspsychologin an der California State University Northridge. Dazu kann auch gehören, ihnen einen Ausweg aus der Jobroutine etwa in Form eines Descapes zu ermöglichen.

Besonders unter Führungskräften ist der Wunsch nach einem beruflichen Time-out – und sei es noch so kurz – weit verbreitet: Zwei Drittel der Manager träumen laut einer Studie der Personalberatung Heidrick und Struggles davon. Wenn sie diesen Traum in die Tat umsetzen, hilft das wiederum ihren Arbeitgebern, meint Andrea Oder, Sabbatical-Coach aus Berlin.

„Viele Menschen nutzen eine Auszeit, um sich beruflich fortzubilden. So schenken sie ihrem Unternehmen Kompetenzgewinn.“ Zumindest eine kurze Auszeit in Form eines Descapes lassen sich leichter realisieren als ein echtes Sabbatical (siehe Info-Kasten), das meist vier Monate bis ein Jahr dauert. Müssen bei Sabbaticals Vorbereitungen getroffen werden – indem etwa auf Arbeitszeitkonten Zeit angespart wird oder eine Teilzeitregelung mit dem Vorgesetzten gefunden werden muss – , reichen beim Descape ein paar Tage Urlaub.

Steffen Kruse hat übrigens nicht nur selbst ein Descape ausprobiert und einen Tisch geschreinert – er bietet auch selbst eines an: In seinem Unternehmen kann man einen Blick hinter die Kulissen einer Softwareschmiede werfen. Vielleicht meldet sich ja bald ein Tischler, der seine handwerkliche Profession für ein paar Stunden gegen eine geistige Tätigkeit eintauscht.