Zora-Geschäftsführerin Vera Aiello (links) und Veronica Kastner vom Sozialkaufhaus wollen nach vorne schauen – trotz Abschiedsschmerz. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Ende der Woche schließt das Sozialkaufhaus von Zora in Stuttgart. Stammkunden machen jetzt Abschiedsbesuche. Andere kaufen Kleidung, um ihre Verwandtschaft im Ausland zu versorgen. Alle sind in Abschiedsstimmung. Wie geht es den Menschen dort?

Auch drei Tage vor der endgültigen Schließung ändern sich die Gewohnheiten offenbar nicht. Schon bevor das Sozialkaufhaus in der Neckarstraße 227 im Stuttgarter Osten morgens öffnet, bildet sich vor dem Laden eine Schlange. Es sind die Menschen, die wissen, dass kurz zuvor die neue Ware in die Regale geräumt und auf die Kleiderständer gehängt wird. Das wird noch bis Freitag so sein. Und gegen 16 Uhr werden die Kundinnen und Kunden weniger. Denn die Erfahrenen unter ihnen wissen: Ab jetzt wird nichts Neues mehr aufgehängt. Frische Ware kommt erst am nächsten Morgen.

 

Wobei die Ware jetzt langsam knapp wird. Denn der Ausverkauf läuft schon seit November. Der Countdown geht auf sein Ende zu. „Erst haben wir die Winterware verkauft“, sagt Veronica Kastner, die Chefin im Sozialkaufhaus von Zora. Sie beobachtet alles genau, weiß, wer wie oft kommt. „Die Frau kommt jeden Tag zweimal, morgens und am Nachmittag“, sagt sie, als eine Frau mit Wintermütze den Laden betritt und erst mal ihre Tasche abstellt. Diese letzten Tage fallen Veronica Kastner bei allem Optimismus, dass es Pläne für neue Projekte gibt, nicht leicht. Zora, das steht für Sozialunternehmen, Orientierung und Arbeit.

Und um Zora und die Arbeit für Frauen und Mädchen steht es momentan schlecht. Kastner wird auch die Mitarbeiterinnen vermissen. Sie hat allen ihre Telefonnummer gegeben, für den Fall der Fälle. Sie selbst ist das beste Beispiel, wie man es aus vermeintlich auswegloser Situation herausschaffen kann. Angefangen hat sie im Zorella-Kinderkaufhaus. Jetzt ist sie fest angestellt wie zwei weitere Mitarbeiterinnen im Kaufhaus. Kastner ist eine Zora-Erfolgsgeschichte. „Und sie ist kein Einzelfall“, sagt die Zora-Geschäftsführerin Vera Aiello. Aber nun hat Zora Insolvenz angemeldet. Das Ende des Sozialkaufhauses mit dem auf zehn Jahre ausgelegten Mietvertrag hatte Vera Aiello bereits im Sommer beschlossen. Sie hatten sogar einen Nachmieter. Doch das ist nun Schnee von gestern mit der Insolvenz.

„Wir sind jetzt schon bei den Sommersachen“, sagt Kastner. Die warmen Sachen sind längst abverkauft. Ein paar Kisten Kleidung stehen noch im Keller. Inzwischen herrscht in den Verkaufsräumen an der Neckarstraße eine „Alles muss raus“-Stimmung. Dass nun jedes Kleidungsstück nur noch einen Euro kostet, beflügelt die Kauflust der in überwiegender Mehrzahl weiblichen Käuferinnen zusätzlich. An der Kasse steht Diana mit einer Freundin. Drei Taschen hat sie schon gefüllt. „Kommt alles nach Ghana“, sagt die 50-Jährige. Sie scherzt mit ihrer Freundin, die ebenfalls volle Plastiktüten in den Händen hält. „200 Euro habe ich im letzten Monat ausgegeben“, sagt sie verschwörerisch und lacht. Sie macht sich jetzt auf den Heimweg. „Bis morgen“, ruft sie in Richtung Kasse. Sie will bis Freitag jeden Tag kommen.

Der Abschied ist endgültig. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

„Viele kaufen jetzt ganz viel“, sagt Veronica Kastner. Auch um es in ihre Heimatländer zu schicken. Sie sagen, irgendjemandem in der Verwandtschaft wird es schon passen. Nach Kroatien, viel in afrikanische Länder und auch in die Ukraine. Wenn auf der Welt eine Krise ist, merkt Kastner das zeitversetzt. Irgendwann stehen die Geflüchteten aus diesen Ländern bei ihr im Laden als Kundinnen oder als Frauen, die eine Arbeit suchen. Angesichts der Nachrichten von anderen Unternehmen, die in Deutschland Insolvenz anmelden müssen, fragt sie sich: Braucht es nicht mehr statt weniger Unternehmen wie das Sozialkaufhaus im Osten?

Wo sollen die Menschen jetzt einkaufen?

Jana ist mit ihrem Hund schnell noch mal in den Laden geschlüpft. Immer wieder hat sie hier selbst Sachen abgegeben und auch mal was mitgenommen, sagt die Georgierin. Vor allem schönes Porzellan. Sie fragt sich, wo die Menschen nun einkaufen sollen. Die anderen Läden seien doch teurer. Außerdem, auch das ist ihr wichtig, sei der Laden doch eine wichtige Integrationsmaßnahme gewesen. Viele begreifen den Laden als mehr als nur einen Klamottenverkauf. „Das war, beinahe würde ich sagen: Heimat“, sagt Vera Aiello. Hierher konnte man kommen, wenn der Tag Struktur braucht oder man sich einsam fühlt. „Ich schau mich mal um“ ist so ein Satz, den auch Kastner oft gehört hat.

Auch Nachhaltigkeit zählt für viele Kunden

Das tut auch Christel Kreß. Die Sozialpädagogin hat hier vor vielen Jahren selbst ein Praktikum gemacht. Jetzt ist sie als Bonuskarten-Besitzerin manchmal Kundin. Sie pflegt ihre behinderte Tochter, ist seit 20 Jahren in Hartz IV und jetzt im Bürgergeld, erklärt sie. Ihr gefällt neben vielem anderen der Aspekt der Nachhaltigkeit. Für sie ist es ein Abschiedsbesuch, den sie ganz bewusst macht. Gerade schaut sie noch das Regal mit den CDs durch. Über allem steht für sie die Frage: Wie geht es weiter für die, die auf das Angebot hier wirklich angewiesen sind? Deshalb sieht sie ihren letzten Besuch auch als Zeichen der Solidarität mit den Frauen.

Neue Pläne für Zorella-Kinderkaufhaus

Unverständnis für die Schließung hat auch Melissa Obradovic. „Ich bin Stammkundin“, sagt sie. Sie hat ein paar T-Shirts im Einkaufskorb liegen und eine Rolle Geschenkpapier. „Das kann man immer brauchen.“ Viel mehr aber beschäftigt sie die Frage: „Kann man die Schließung noch verhindern?“

Nein, sagt Vera Aiello, obwohl sie gerne anderes sagen würde. Sie schaut schon in die Zukunft auf die neuen Projekte für Frauen und Kinder. Finanziert werden sollen sie über den Erlös durch die Verkäufe im Kinderkaufhaus Zorella, die zukünftig nicht nur für Bonuskarten-Inhaber sein sollen. Im Sozialkaufhaus sei der Einbruch der Einnahmen deutlich spürbar gewesen, als die Stadt einen Anteil von Bonuskarten-Kunden auf 75 Prozent festgesetzt hat.