Über den Dächern von Fitzroy: Das Angebot an Läden, Cafés und Restaurants im angesagten Quartier von Melbourne ist ständig im Wandel. Foto: Haar

Ausgefallen, manchmal auch total schräg: Das australische Melbourne ist bereits zum vierten Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt worden.

Melbourne - Manche Tage beginnen mit einem Versprechen. „Du wirst in dieser Stadt mehr als 1000 Erlebnisse an einem Tag haben“, sagt Grant Banks. Große Stadt, große Klappe. Nein, der Stolz von einem der 4,25 Millionen Melburnians. Oder das Selbstbewusstsein eines Mannes, dessen Wohnsitz zum vierten Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt gewählt wurde. Sicherheit, Freizeit- und Kulturangebot. Nirgendwo auf der Welt ist es laut dem Magazin „Economist“ besser als in der Hauptstadt des südlichen Bundesstaates Victoria. Es könnte sich also lohnen, diese Stadt zu entdecken. Die Entfernung (16 333 Kilometer Luftlinie) macht die Sache allerdings etwas schwierig für eine Städtereise.

Man könnte daher auch sagen: Die Entdeckung von Melbourne ist ein echter Luxus-Städtetrip. Nicht nur, weil man sich den Luxus gönnen muss, mehr als 20 Stunden im Flieger zu sitzen. Jeder sollte sich zudem Zeit gönnen, die Melbourne-Erlebnisse mit einer Landpartie in den Nationalpark Wilsons Promontory (200 Kilometer entfernt) mit seinen 130 Kilometer Küste samt Buschland inklusive Kängurus, Wombats und Koalas zu verbinden. Zeit ist das Stichwort, das Australien-Touristen bei jedem Schritt begleitet. Zehn Stunden der Heimat voraus zu sein, kann ebenso belastend (Jetlag) wie erhebend sein. In jedem Fall entrückt es einen in dieser Stadt aus den gewohnten Dimensionen des Alltags.

In Melbourne wird der Besucher in eine neue Zeitrechnung hineingeworfen. In einen weiten Raum, der Möglichkeiten eröffnet. Und kleine Wunder oder Überraschungen bietet. Selbst in 48 Stunden ist das möglich, da die City kompakt ist und viele Höhepunkte eng beieinanderliegen. Sie sind gut zu Fuß zu erreichen oder mit der kostenlosen City Circle Tram. Wer sich aber dem gemächlichen Rhythmus der Melburnians anpasst, im Strom der Stadt mitschwimmt und auf die kleinen Dinge achtet, der wird reich belohnt. Denn in jedem Quartier schlägt der Takt anders. Beim Frühstück in der Riverland Bar am Yarra-River kann einen die Romantik und Ruhe erwischen. Ehe ein paar Schritte weiter in der Flinder und Swanston Street den Stadt-Entdecker das erwartet, was Grant Banks mit einem Wort als „stunning“ bezeichnet. Nur ein Wort im Englischen - viele deutsche zur Übersetzung: umwerfend, verblüffend, bildgewaltig.

„Melbourne ist Melbourne“

Galerien, Bars, preisgekrönte Restaurants im Umfeld der Federation Square lassen die Stadt vibrieren, zeigen aber auch ihr kreatives Potenzial. Nicht zuletzt auch der sonntägliche Kunstmarkt an der Princess Bridge, der um 10 Uhr seine kaleidoskopischen Facetten an 120 Ständen ausbreitet. „Melbourne ist Melbourne“, erklärt dort die Hutmacherin Wendy Scully und will damit sagen: Meine Hutkreationen sind ebenso einzigartig wie meine Stadt. Ausgefallen, hip, manchmal auch total schräg. Noch einen Beweis für Wendy Scullys These liefern die Laneways. Sie stellen alles auf den Kopf. Die engen Gassen und Passagen mit Läden und Cafés an der Bourke Street waren früher nur schäbiger Hintereingang zu Prachthäusern.

Heute sind die Laneways selbst eine pulsierende Attraktion mit vielen Straßenkünstlern. Scott, ein Troubadour: „In den Laneways fühlen sich Menschen wie in ihrem Wohnzimmer, weil alles so eng und heimelig ist.“ Scott glaubt, wir hätten auf der Suche nach dem Großen die Kunst des Kleinen verlernt: „Schau doch“, ruft er, „in den Laneways werden Leute wieder zu Menschen. Ich sehe hier nur glückliche Gesichter.“ Es sind nur ein paar Orte und Beispiele, die den Charakter dieser Stadt samt ihren Menschen einfangen. Es sind Orte, die auch Grant Banks liebt. Dazu muss man wissen: Banks, der sein Geld gerade als Busfahrer verdient, ist in Sydney geboren. Aber das warme Gefühl für Melbourne schlägt seinen Lokalpatriotismus um Längen. „Sydney ist eine schöne Stadt“, sagt er, „aber sie ist kalt, hektisch, geschäftig. Melbourne ist Kultur, das pure Lebensgefühl. Ich will nie mehr nach Sydney zurück.“

Wie zur Entschuldigung für seinen Verrat an Sydney weist Banks Zeigefinger auf das Nummernschild seines Toyota. In kleinen Lettern steht dort das Motto des Bundesstaates, das umso mehr für Melbourne gilt: „Victoria - a place to be“. Frei nach Goethe: Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein. Mit Leben füllen die Melburnians diesen faustischen Satz auch im Quartier Fitzroy. Frei von engen Grenzen, Regeln oder dogmatischen Wertungen bekommt dieses multikulturelle Melbourne hier sein Gesicht. Trends in Mode, Design oder Lebensart haben in diesem Milieu nur entstehen können, weil der kreative Mensch hier einfach er selbst sein kann. Beispiele sind die experimentierfreudigen Veganer-Köche von „Smith & Daughters“ in der Brunswick Street oder die vielen kleinen inhabergeführten Läden. Die Melburnians entspannen hier ebenso vom Alltag wie Touristen.

Fast immer halbnackt in Unterhosen

Und beide könnten sich nach einem Bier auf dem Dach der Kneipe von „Naked for Satan“ (Brunswick Street 285) genauso gut wieder im Melbourne Museum an der Rathdown Street treffen. Dort verschmilzt alles. Menschen aus aller Welt. Die Einwanderer und die Erben der Ureinwohner. Aber auch der urbane Mythos mit einer Fitzroy-Legende aus dem Jahr 1928. Zu dieser Zeit wandert der Russe Leon Satanovic ein und verdingt sich als Putzkraft, bis er in der großen Wirtschaftskrise seinen Job verliert. Satan, wie ihn die Melburnians kurz und knackig nennen, macht schließlich das, womit er sich am besten auskennt: russischen Wodka. Meistens in der Hitze der Nacht. Fast immer halbnackt in Unterhosen.

Seitdem ist Satanovic in Fitzroy eine Legende, die im „Naked for Satan“ weiterlebt. Immer noch sagt man dort beim Anstoßen: „Let’s get naked for Satan.“ Prost! Raus aus den Klamotten für Satan und den Wodka. Satan ist ein Synonym für diese Stadt und Fitzroy. Er und der Wodka nehmen eine Sehnsucht auf, die in jedem steckt: den Durst nach Leben. Nach Geschichte(n), den Wurzeln und Verbindungen in die Gegenwart. Daher rennen derzeit Scharen ins städtische Museum. Die multimediale Ausstellung über die Aborigines wirkt genau wie so ein Verbindungsglied zwischen den Zeiten. Busfahrer Banks würde die „First People Exhibition“ erneut mit dem Prädikat „stunning“ auszeichnen.

Klänge, Bilder, Farben und bisher unerzählte Storys lassen einen physisch, emotional und manchmal ein wenig spirituell lernen, woher die Stadt und Victoria kommen. Es ist, als ob man Melbourne barfuß durchschreitet und die Energie dieses Fleckchens Erde hautnah fühlt. So wird aus einer Städtereise eine Zeitreise entlang der Geschichten von 2000 Generationen mit Abertausenden Erlebnissen. Spätestens am Abend wird einem klar: Die Tage in Melbourne halten, was sie morgens versprechen. Wer zweifelt, sollte sich den Luxus gönnen und einen Trip nach Melbourne machen. Und sei es nur für 48 Stunden.

Infos zu Melbourne

Anreise
Flug mit Thai Airways ab/bis Frankfurt nach Melbourne ab 1133 Euro (mit Rail&Fly ab 1210 Euro) über www.thaiairways.com , Overnight-Stops in Bangkok mit Thai Airways buchbar über www.royalorchidholidays.com/travel/ , (Grand Hyatt Erawan Bangkok ab 199 Euro pro Nacht).

Unterkunft
Grand Hyatt Melbourne: Drei Nächte inklusive Frühstück ab 744 Euro pro Person, www.melbourne.grand.hyatt.com/en/hotel/home.html . Buchbar etwa über Dertour, www.dertour.de .

Oder das Hotel Como Melbourne, liegt im Stadtteil South Yarra, Preis pro Nacht 209 Euro, buchbar im Internet über www.accorhotels.com/de/hotel-8801-the-como-melbourne-mgallery-collection/index.shtml

Sehenswürdigkeiten/Ausflüge
Ein Ausflug in den Nationalpark Wilsons Promontory lohnt. Zum Beispiel mit Bunyip Tours (ab Melbourne), ab circa 103 Euro pro Person buchbar über www.bunyiptours.com

Oder auf eigene Faust: Mit dem Mietwagen ab ca. 225 Euro pro Woche zum Beispiel über Avis, ( www.avis.de ).

Oder per Camper-Van ab etwa 500 Euro pro Woche über Britz ( www.britz.com.au ) oder einem Geländewagen durchs Gippsland (63 Euro pro Tag) über Turnbullshire: www.turnbullshire.com.au/

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall ein Fahrrad ausleihen und entlang der Täler zu einem der Weingüter radeln. Zum Beispiel: Dal Zotto Wines im King Valley ( www.dalzotto.com.au ) oder die Boyntons Feathertop Winery an der Great Alpine Route bei Bright ( www.boynton.com.au )

Auf keinen Fall den Helm vergessen. In Australien besteht Helmpflicht.

Allgemeine Informationen
Alle wichtigen Informationen zu Melbourne und dem australischen Bundesstaat Victoria findet man im Internet unter www.visitmelbourne.com/de