Glücklich nach dem Finaleinzug: Angelique Kerber. Foto: AP

Im Halbfinale von Melbourne besiegt Angelique Kerber die Britin Johanna Konta 7:5, 6:2 und greift nun nach einem historischen Tennistitel – zumindest aus Sicht einer Deutschen.

Melbourne - Es ging ihr bestens, das war unübersehbar. Fröhlich berichtete Angelique Kerber, Steffi Graf habe eine SMS geschickt. Sie spürte die Neugier im Auditorium des Interviewraums in Melbourne und fragte keck: „Wollt ihr wissen, was drin steht? Soll ich mal gucken?“ Logo! Also blickte sie aufs Handy und las die Botschaft ihres Idols vor: „Ich gratuliere. Ich freue mich riesig. Lieben Gruß aus Las Vegas.“

Voller Freude, zum ersten Mal in ihrer Karriere das Finale eines Grand-Slam-Turniers erreicht zu haben, berichtete sie über die Genugtuung, diesmal, bei den Australian Open, alles richtig gemacht zu haben. Sie wusste, dass sie die Favoritin im Vergleich mit der britischen Herausforderin Johanna Konta gewesen war. Sie wusste, dass eine Niederlage nach dieser Konstellation wieder zu oft gehörten Kommentaren führen würde. Wie Ende vergangenen Jahres beim WTA-Finale in Singapur, als ihr der Gewinn eines Satzes gegen die Tschechin Lucie Safarova genügt hätte, um im Halbfinale zu landen.

Damals war sie unter dem Druck erstarrt. Wenn es um große Aufgabe gehe, habe sie ihre Nerven nicht im Griff, hörte sie hinterher. Dieses Gefühl sei schrecklich gewesen, erzählte sie nun. Sie habe Tage gebraucht, um sich davon zu erholen. Das, hatte sie danach beschlossen, „passiert dir nie wieder“. Nach dem enttäuschenden Ende einer prinzipiell guten Saison hatte sie auf den Malediven am Strand gehockt und beschlossen, die Zeit sei reif für die Offensive. Sie formulierte ihre Ziele für die olympische Saison ungewohnt klar, sie wollte es besser machen, obwohl es ja schon vorher nicht schlecht gewesen war. Ihre Ansage: „Vier Jahre in den Top Ten – alles schön und gut, aber jetzt muss auch mal was anderes kommen.“

Ein Schritt führt zum nächsten

Aber die Theorie ist das eine. Vor dem ersten Auftritt in Melbourne war es ihr nicht gut gegangen. Sie waren wieder da, die Sorgen, diesmal könnte was schiefgehen. Doch der abgewehrte Matchball zu Beginn, dann die Probe im deutschen Duell in der vierten Runde gegen Annika Beck und der fulminante Viertelfinalerfolg gegen Viktoria Asarenka, gegen die sie nie zuvor gewonnen hatte, und schließlich die Chance, mit einem Sieg gegen Konta im Finale zu landen – so führte ein Schritt zum nächsten. „In Singapur hab’ ich dem Druck nicht standgehalten, heute schon“, befand Kerber.

Im vergangenen Jahr hatte sie zwar vier Titel – einen davon in Stuttgart – gewonnen, aber bei den Grand-Slam-Turnieren war sie nie über die dritte Runde hinausgekommen. Zu wenig für ihr Talent, für ihre Top-Ten-Platzierung, für ihre eigenen Erwartungen. Sie beschloss, sich dem ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres so zu nähern, als sei das zwar ein reizvolles Ziel, aber nichts Besonderes. „Ich hab’ einfach mein Ding gemacht, nichts Kompliziertes. Ich hab’ zum ersten Mal im offiziellen Spielerhotel gewohnt, alles normal. Und das ist der Schlüssel.“

Gegen Konta spielte sie mit dem ersten Satz in der Tasche ihr Ding konzentriert zu Ende und sonnte sich hinterher in einem Gefühl, das sie kaum beschreiben konnte.

Übermacht Williams

Natürlich kam das Wort Traum in dieser Stunde vor. Aber in ihrer entspannteren Herangehensweise findet sie, das sei erst der halbe Traum. Der zweite Teil beginnt an diesem Samstag (9.30 Uhr MEZ/Eurosport) mit dem Finale gegen Serena Williams; ihrem ersten und dem 26. der US-Amerikanerin. Williams stürmte gegen die Polin Agniezska Radwanska mit einem furchteinflößend perfekten Match (6:0, 6:4) ins Endspiel. Apropos Serena Williams: Sie gewann 39 ihrer letzten 40 Spiele bei einem Grand-Slam-Turnier. Das nur als kleine Erinnerung. Doch die Wahrscheinlichkeit eines Sieges von Kerber gegen die mächtige Nummer eins der Welt ist nicht geringer als die seinerzeit bei den US Open in New York vor Williams Halbfinalpleite gegen Roberta Vinci (Italien).

„Ich werde versuchen, Serena zu zeigen, dass ich das Ding gewinnen will“, sagt Kerber, „von Anfang an.“ Sie hat es schon mal getan, vor vier Jahren beim Turnier in Cincinnati, und das in zwei Sätzen. Trainer Torben Beltz, der sie am Donnerstag mit Tränen in den Augen siegen sah („auch die Norddeutschen können Freude entwickeln“), kann sich an das Spiel gut erinnern. Das sei ein Superspiel gewesen. „Sie muss so rausgehen und voller Power spielen wie gegen Asarenka, dann hat sie eine Chance.“

Allerdings: Serena Williams verlor noch nie ein Finale in der Rod-Laver-Arena in Melbourne, und bleibt es bei dieser makellosen Serie, könnte die US-Lady mit dem 22. Grand-Slam-Titel ihrer Karriere Steffi Grafs Marke erreichen. In gewisser Weise liegt es nun in Kerbers Händen, diese Marke zu schützen. Ist sie sich dessen bewusst? „Ja, sicher. Ich werde es versuchen. Wir Deutschen müssen doch zusammenhalten.“ Auch das hörte sich nach einer Ansage an, von einer, die als erste Deutsche nach Steffi Graf bei den French Open 1999 mal wieder einen Grand-Slam-Titel gewinnen könnte.