Auktionator Gert Nagel hat seine Bestecksammlung kulturhistorisch erforscht. Foto: Kathrin Wesely

In früheren Jahrhunderten gab’s Besteck bloß To Go. Diese und andere Geschichten bringt Gert Nagel auf den Tisch. Der Auktionator im Ruhestand hat seine Besteck-Sammlung kulturhistorisch untersucht und stellt sich nun für kurze Zeit in Stuttgart-Süd aus.

S-Süd - Schon am Köcher konnte der Wirt erkennen, wie zahlungskräftig sein Gast war: führte er nur einen hölzernen Löffel mit? Blechbesteck oder gar welches mit verzierten Griffen? Bis ins 18. Jahrhundert hinein war es üblich, dass man sein Besteck mitbrachte, wenn man auswärts aß – ob im Wirtshaus oder privat. Wer konnte, protzte auch gern damit: „Das Reisebesteck war ein Prestigeobjekt, wie heute die Rolex oder die Nobelkarosse“, erklärt Gert Nagel. Vor dieser Folie erklärt sich auch das Bild vom silbernen Löffel im Mund, mit dem einer zur Welt kommt.

Der Auktionator im Ruhestand hatte noch eine Kiste alten Bestecks übrig, nachdem er seine sonstigen Bestände veräußert hatte. In den vergangen drei Jahren hat sich der 83-Jährige daran gemacht, die Messer, Gabeln, Löffel und sonstiges Tischgerät zu katalogisieren und darüber zu forschen. Seine Ausbeute liegt nun ausgebreitet in Vitrinen in seinen Geschäftsräumen an der Mörikestraße. Wer mag, kann sie von Freitag an besichtigen.

Mittelalterliche Multitools

Die Reisebestecke aus unterschiedlichen Epochen bilden einen Schwerpunkt in Nagels Ausstellung, in der auch Kostbarkeiten gezeigt werden mit Griffen aus Silber, Porzellan oder Perlenstickerei, wie sie zum Mahl bei Hofgesellschaften aufgelegt wurden. Reisebesteck wurden über Generationen weitervererbt, sie versickerten weniger leicht im Alltagsgebrauch wie normales Besteck wurden auch nicht eingeschmolzen, weil sie dem Zeitgeschmack nicht mehr entsprachen. So landete Reisebesteck, die meist praktisch in Köchern und Futteralen verpackt waren, öfters in den Nachlässen, die der Auktionator Nagel kaufte. Darunter finden sich zusammenklappbare Bestecke, ineinanderschiebbare und allerlei Multitools. Sämtliche Techniken des Platzsparens wurden ausgereizt: Man wird in einem gut sortierten Outdoorladen keine finden, die nicht schon viel früher Anwendung fand. Auch die stilistische Bandbreite ist enorm. Es gibt derbe Köcher aus Leder, die man am Hosengürtel befestigte, klobiges Jagdbesteck für die sachgerechte Ausweidung unterwegs und zierliches Gerät, das man nach Tisch in die Rocktasche gleiten ließ.

Giftmorde sind altmodisch

Mit dem selbst mitgebrachten Besteck hatte es seine besondere Bewandtnis, wie Nagel erklärt: „In der Antike gab es häufiger Giftmorde.“ Vergiftete man Speisen, war nicht sicher, wen man traf. Aber es gab festgelegte Sitzordnungen bei Tisch. „Im Mittelalter waren zwar die Giftmorde aus der Mode gekommen, aber die Sitte mit dem eigenen Besteck blieb.“ Die Kehrtwende brachte Ludwig XIV., dessen barocke Hofkultur Blaupause wurde für die Höfe in ganz Europa. Im Schloss Versailles ließ er erstmals ein dreiteiliges Besteck für die Gäste auflegen. Überliefert sei, so Nagel, dass der Sonnenkönig selbst aber lieber weiterhin mit den Fingern aß.

Gabeln gehörten bis dahin nicht zum üblichen Gedeck. „Bis ins späte Mittelalter waren Getreidebrei und Suppe die Hauptnahrungsmittel und der Löffel war das wichtigste Esswerkzeug“, sagt Nagel. Seine elementare Bedeutung spiegelt sich bis heute in der Wendung „den Löffel abgeben“ als Umschreibung für „Sterben“.