Die DDR bittet zu Tisch: eine Staatsbankett-Tafel in der Ausstellung in Berlin-Schönhausen. Foto: dpa

Winkelemente, Protokollsofas, Galadiners – wenn nach 1949 im geteilten Deutschland Staatsbesuche inszeniert wurden, dann griffen die Herrscher hüben wie drüben zu ähnlichen Mitteln. Eine Ausstellung in Berlin vergleicht die Systeme.

Berlin - Küsse sind bei einem Staatsbesuch protokollarisch nicht geregelt - ein unterschätztes Problem. Und eines, das man in der etwas steifbeinigen Nachkriegs-Bundesrepublik viel cleverer regelte als im sozialistischen Nachbarland DDR. Man ließ das Küssen einfach weg.

Im Osten hingegen bedurfte es des sozialistischen Bruderkusses. Aber was macht man, wenn man Erich Honecker heißt und vor lauter sozialistischer Zuwendung viel doller und öfter küssen will als der eben eingetroffene, offensichtlich etwas schüchterne Nicolae Ceaușescu aus Rumänien? Dann kann auch die Kamera des DDR-Staatsfernsehens nicht anders, als seltsam ungelenke Bilder vom Staatsbesuch zu senden, die einen etwas unmotiviert die Luft poussierenden Staats- und Parteichef zeigen. Da hatte es im Westen Heinrich Lübke leichter – vor seinem wichtigsten Staatsgast, Queen Elizabeth II., beugte der Bundespräsident 1965 einfach das Haupt.

Zu sehen sind diese Bilder zur Zeit im Schloss Schönhausen in Berlin-Pankow und von August an im Schloss Augustusburg in Brühl bei Bonn: „Schlösser für den Staatsgast. Staatsbesuche im geteilten Deutschland“ heißt die vergleichende Ausstellung zur Tradition der Staatsrepräsentation in beiden deutschen Systemen. Schon die Wahl der beiden Ausstellungsorte zeigt: Nicht alles war unterschiedlich. Für die Inszenierung griff man ganz unideologisch zu ganz alten Mitteln aus Königs Zeiten.

Das Schloss als feudale Bühne dient der Inszenierung

Wie selbstverständlich nutzten beide Staaten die feudale Bühne eines Schlosses. Im Bonner Provisorium wollte man nichts Neues bauen und bediente sich so der Schlösser Augustusburg und Gymnich und des Petersbergs. In Ost-Berlin, der Hauptstadt der DDR, hatte man zunächst mal nicht sehr viele Besucher zu beherbergen – das damalige Schloss Niederschönhausen, der ehemalige Sommersitz der Ehefrau Friedrichs II., Elisabeth Christine, wurde erst von 1966 an zum Gästehaus der DDR-Staatsregierung. Genau fünf Gäste kamen in der Zeit zwischen 1966 und 1972; bis dahin war die junge Republik nur von den sozialistischen Bruderländern als Staat anerkannt.

Ein Hauptakteur war aber von Anfang an bis zum Ende dabei: das grüne Protokollsofa im Empfangssaal. Auf der Neorokoko-Zumutung platzierte sich 1966 stolz der damaligen Staats- und Parteichef Walter Ulbricht mit seinem ersten Gast in Schönhausen, dem ungarischen Generalsekretär János Kádár. Schon ein Jahr zuvor hatte die Bundesrepublik ihren bis dato wichtigsten Staatsbesuch gefeiert: Queen Elizabeth II., die 1965 auf Schloss Augustusburg begrüßt wurde, weilte für zwei Wochen im Lande; länger, teurer und aufwendiger war nie wieder eine Visite. So dringend wollte just zu dieser Zeit die DDR von Staaten anerkannt werden, dass sie dem Sudan 1966 elf Millionen harter US-Dollar für diesen Schritt bezahlte. Leider erwies sich das als Fehlinvestition: Kurz darauf wurden im Sudan die dortigen Kommunisten politisch verfolgt.

Kuscheln mit Erich auf dem Sofa

Das Original des Protokollsofas ist in der Ausstellung zu sehen – zusammen mit einer ganzen Reihe von Fotografien, die Erich Honecker mit unterschiedlichen Gästen zeigen. Was sich hier auch abbildet: Das Protokoll ist ein Zeremoniell zur Regulierung von Höflichkeiten. Das kann helfen, vor allem wenn man einander nicht kennt und aus unterschiedlichen Welten aufeinandertrifft. Aber als Parallelspur zu diesem Zeremoniell läuft am Ende die gegenseitige Sympathie mit: Wenn die Chemie mal mehr, mal weniger stimmt, sitzt man auch unterschiedlich nah beieinander auf einem Sofa.

In Ost wie West griff der einfache Bürger anlässlich des Staatsbesuchs nicht zur Hummerkrabbenschere, sondern allenfalls zum Winkelement. Und auch der Wunsch der jeweiligen Regierung, den Gästen einen möglichst freundlichen Empfang zu bieten, war ähnlich ausgeprägt. Nur die Ausführung unterschied sich etwas. „Bildet Spalier!“ brüllte es von einem Ostplakat in Richtung der Werktätigen anlässlich des Besuchs von Tito 1965. Die Belegschaften kompletter Betriebe und tausende Schüler wurden herbeordert, um die Straßen zu säumen und zu jubeln: „Schmückt Häuser, Straßen und Betriebe.“ So verfolgten gewaltige Mengen die Anreise des Gastes – auf teilweise bis zu 30 Kilometer Protokollstrecke standen zum Beispiel bei Ceaușescus Visite 65 000 Menschen Spalier, acht Jahre zuvor bei Fidel Castros Besuch waren es sogar 132 000 gewesen. Bescheidener und mit deutlich weniger Nachdruck dagegen wird auf einem West-Plakat die Brühler Bevölkerung anlässlich eines Besuchs angesprochen: „Die anliegenden Bewohner obengenannter Straßen werden gebeten, an einer würdigen Ausschmückung mithelfen zu wollen.“

Der Osten wählte Straßenanzug

Dafür konnte der Westen mit deutlich mehr Glamour punkten: Die Herren in Bonn, Brühl und auf dem Petersberg trugen Cut, Frack und Smoking, während man in Ost-Berlin zum gedeckten Straßenanzug in allen Schattierungen von anthrazit tendierte. Krönchen, Orden am Bande, große Roben wurden zu den Galadiners in der Bundesrepublik präsentiert. Im Osten dominierte sachliches Grau.

Im Gartensaal des Schlosses Schönhausen ist eine sehr spezielle Tafel eingedeckt: Der lange Tisch zum Staatsbankett teilt sich hälftig in Ost und West – im Osten zieren Bonbonnieren des VEB Glaswerke Döbern und Porzellan aus Ilmenau den Tisch, im Westen wird die Tafel mit Porzellan der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur eingedeckt. Als Aufsatz thront über allem eine Bacchusfigur von Nymphenburg Porzellan. In Schönhausen wurden eigentlich keine Staatsbankette gegeben, zu klein waren die repräsentativen Säle. Stattdessen dinierte man im Staatsratsgebäude in Berlin-Mitte. In der Ausstellung sind weitere Gedecke zu sehen, dazu Tischkärtchen wie das von Michael Gorbatschow und die Karten der Menüfolgen.

Blick auf die Mauer von beiden Seiten

Kulinarisch ließ sich keiner lumpen: Im Westen speiste man Saltimbocca vom Steinbutt, Kaninchenkraftbrühe und Lammrücken mit Ratatouille. Im Osten wurden zu einem Frühstück Kanapees mit Kaviar und Lachs, Geflügelmundbissen mit Cocktailkirsche, Windbeutel mit Roquefortcreme sowie Kräuterwürstchen serviert.

Einen intimen Einblick ins Leben von Staatsgästen bietet das Gäste-Appartement, das im Schloss Schönhausen zu sehen ist: Die Dame bettete ihr Haupt im ganz in Neorokoko gehaltenen Damenschlafzimmer - das Badezimmer ensuite ist seit den 60er Jahren mit einem kräftig fliederfarbenen Fliesenspiegel dekoriert. Über blickdichten Wolkenstores hängen schwere Vorhänge aus sonnengelbem Damast. Verblüffend ähnlich ist der Stoff denen, die auf einer Fotografie eines Salons in Schloss Gymnich zu sehen sind. Hier schlief als letzter Staatsgast – nach der Wende – die niederländische Königin Beatrix, und man kann sich vorstellen, dass sie dieses Badezimmer niemals vergessen hat.

Gegenüber im Herrenschlafzimmer wich das Neorokoko irgendwann einer sachlich-modernen Möblierung. Zuletzt nächtige im königsblauen Doppelbett Michail Gorbatschow. Was er sicher ahnte, aber keiner sehen konnte: Flächendeckend waren die Gästeapartments im Osten verwanzt, die Abhöreinrichtungen steckten in Telefonen, Lichtschaltern und Steckdosen. Noch 1987 wurden Pläne gefasst, die Überwachungstechnik zu modernisieren.

Wie unterschiedlich trotz aller Ähnlichkeiten die Perspektive auf die Welt war, zeigen zwei Fotos vom Brandenburger Tor: Mit ernster Miene blickt Staatsgast Fidel Castro von Ost nach West auf den antifaschistischen Schutzwall. Andersherum betrachtet die Queen vom Fahrzeug aus betroffen, wie rund um das Tor gerade ein Volk eingemauert worden ist.

Ausstellung bis zum 3. Juli. Schloss Schönhausen, Tschaikowskistr. 1, 13156 Berlin. Geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr