Der kürzlich ausgeschiedene Intendant Sebastian Weingarten, Stadtpalais-Chef Torben Giese und Roland Mahr (von links), der neue Chef des Renitenztheaters, bei der Ausstellungseröffnung im Stadtpalais. Foto: /Klaus Schnaidt

Klein, eng und unbequem sei das alte Renitenztheater an der Königstraße 17 gewesen, erzählen die, die dabei waren, trotzdem habe man hier große Welt gespürt. Das Stadtpalais lädt mit einer tollen Ausstellung zur Zeitreise in die Kabarettgeschichte ein.

Die Diseuse Sandra Kreisler, die sich auf ihrer Homepage als „Bühnenkraft“ bezeichnet, ist so alt wie das Renitenztheater – 62 Jahre. Die Tochter des unvergessenen österreichische Kabarettisten Georg Kreisler erzählt zur Ausstellungseröffnung auf der Bühne des Stadtpalais, wie sie schon als Baby im Renitenztheater herumgekrabbelt ist. Georg Woyda, der erste Intendant dieser Stuttgarter Kulturinstitution, habe ihren damals noch unbekannten Vater in den 60ern für vier Monate engagiert. „Die ersten zwei Monate wird’s leer sein“, habe er gesagt, „die nächsten beiden Monate dann voll.“

 

Drei Intendanten in 62 Jahren

Mit ihrem Lebenspartner Roger Stein am Piano verneigt sich Sandra Kreisler singend vor der 1961 gegründeten Stuttgarter Bühne, die für ihre Familie immer sehr wichtig war und die auch bundesweit einen sehr guten Ruf habe, wie sie versichert. Beachtlich findet Stadtpalais-Chef Torben Giese, dass es in der 62-jährigen Theatergeschichte nur drei Intendanten gegeben habe. Auch dreimal ist die Bühne umgezogen.

Theatergründer Gerhard Woyda, der im Januar 2017 im Alter von 91 Jahren gestorben ist, hat Talente erkannt und Stars gemacht. Angefangen hat alles am 19. April 1961 in der Königstraße 17 mit dem Hausprogramm „Goethe, Girls und Gartenzwerge“. Ausschnitte davon sind in der neu eröffneten Ausstellung in einem Mini-Kino zu sehen. Der Name Renitenztheater war ein Wortspiel zum nahen „Residenzschloss“, eine renitente Bühne sollte es werden.

Woydas Räume lagen über einem China-Restaurant, dessen Düfte so manch eine renitente Darbietung begleitet hat. Otto Waalkes und Margot Werner, Tim Fischer und Harald Juhnke, Konstantin Wecker und Jürgen von Manger, Gert Fröbe und Zarah Leander – sie alle kamen ins Renitenz. Frivol, frech und fröhlich war das Theater – und vor allem immer renitent.

Das private Theater lebte von dem, was in die Registrierkasse kam (das Schmuckstück wird ebenfalls ausgestellt wie auch das Piano von Woyda). Das Geld war immer knapp, sodass der Theaterdirektor irgendwann bei der Politik um Hilfe bat. Hitzig wurde sogar im Landtag darüber diskutiert, ob man ein Theater unterstützen dürfe, das Politiker verspotte. 1986 stand das Theater nach einer Betriebsprüfung und einer geforderten Steuernachzahlung von 250.000 D-Mark vor der Insolvenz. Die Stadt Stuttgart rettete das Renitenztheater und überführte es in einen gemeinnützigen Verein.

2010 zog das Renitenztheater ins Hospitalviertel

Als der Vermieter die Miete an der Königstraße drastisch erhöht hat, ist Woyda mit seiner Bühne 1991 in einen Keller an der Eberhardstraße gezogen. Von dort ging es im September 2010 ins Stuttgarter Hospitalviertel, wo sich das Domizil heute noch befindet.

Eigentlich sollte die Ausstellung zum 60. Geburtstag des Renitenztheaters gezeigt werden. Wegen Corona sind nun 62 Jahre seit Gründung der Bühne vergangen. Der Intendantenwechsel ( Roland Mahr hat Sebastian Weingarten abgelöst) ist aber auch ein Anlass, zurückzublicken. Mit Stadtpalais-Chef Torben Giese haben der der neue Renitenz-Chef und sein Vorgänger die Schau kuratiert. Der Blick geht zurück und nach vorne. Man sieht Filmausschnitte in einer multimedialen Installation hinter roten Theatervorhängen, außerdem Plakate aus sechs Jahrzehnten, Originalstühle, die Garderobenstange von der Königstraße, Reservierungsbücher, alte Eintrittskarten.

Auch Travestielady Frl. Wommy Wonder hängt in der Ausstellung, die jahrelang ihre Sommershow im Renitenz gespielt hat, ehe es einen heftig Streit gab und sie erbost nicht mehr zurückkehrte. Auch Künstler sind Menschen. Und den Stuttgarter Kabarettisten Mathias Richling sehen die Besucher quasi als Bub.

Blicken wir zurück ins Jahr 1974 – in den Hafenort St. Tropez. Der junge Sebastian Weingarten singt mit einem Freund zur Gitarre, um das Reisegeld aufzubessern. „Wir schliefen am Strand“, erzählt er. Vergeblich hatten sie Schließfächer gesucht. Ein freundlicher Herr bot sich an, das Gepäck aufzubewahren. Es war der Stuttgarter Theaterchef Gerhard Woyda, der gern in St. Tropez urlaubte.

Noch heute ist Weingarten froh über diesen glücklichen Zufall, der sein Leben grundlegend veränderte. Der um 32 Jahre ältere Woyda war angetan von den eigenen Liedern, die der Junge damals spielte. „Er ermutigte mich, weiterzumachen“, erzählt Weingarten.

Erinnerungen an Zarah Leander und Harald Juhnke

Dank Woyda ist Stuttgart zum Lebensmittelpunkt des einstigen Straßenmusikers geworden. Dafür gab der 1957 in Nordrhein-Westfalen Geborene die gesicherte Existenz eines Beamten auf, besuchte nach der Verwaltungshochschule die Stuttgarter Schauspielschule, stand auf der Bühne des Renitenztheaters, das sich auf der Königstraße befand, und half Woyda 1981, eine zweite Bühne auf den Fildern aufzubauen. Das Hotel Stuttgart International wollte für seinen London Club mit Prominenz aus dem Renitenz die Umsätze steigern. In der vier Jahre währenden Außenstelle des Theaters traten etwa Zarah Leander und Harald Juhke auf.

Weingarten wohnte in einem SI-Appartement. Ach, was für Geschichten kann er davon erzählen! Allein schon der Juhnke! Nach seinem Auftritt feierte dieser After-Show-Party in der Stadt. Weingarten scheiterte am Türsteher. Als Juhnke dies sah, rief er laut: „Lasst meinen Sohn rein!“

Nicht nur Juhnkes „Sohn“ war der Renitenz-Chef, dessen kompletter Name Weingarten-Woyda ist. 1991 hat ihn der damals schwer erkrankte Gerhard Woyda adoptiert. Das verwandtschaftliche Verhältnis half, um ihn im Krankenhaus besuchen und betreuen zu können. Dem legendären Theatergründer ging es danach besser. Bis ins hohe Alter spielte er auf seiner geliebten Bühne und war Dauergast auch im Hospitalviertel. Unter den Gästen der Ausstellungseröffnung war Hans-Peter Brinkmann, der erste Beleuchter in den Jahren 1961 und 1962 im Renitenztheater.

Die Ausstellung über die Geschichte des Renitenztheaters, zu deren Eröffnung auch Christine Prayon aufgetreten ist, ist im Salon Sophie des Stadtpalais bis zum 19. November zu sehen. Es gibt auch mehrere Führungen mit Künstlern. Am 29. Oktober, 15 Uhr, ist Bernd Kohlhepp der prominente Ausstellungsführer, am 4. November, 14 Uhr, Mathias Richling.