Edeltraud John (r.) vom Heimatkreis und Bezirksvorsteherin Ulrike Zich (2.v.r.) bei der Ausstellungseröffnung im Rathaus. Foto: Linsenmann

Der Heimatkreis Weilimdorf widmet sich in seiner aktuellen Ausstellung, die im Rathaus gezeigt wird, dem Löwen-Markt und der Geschichte des neuen Ortskerns.

Weilimdorf - Gut gebrüllt, Löwe! Das muss man ihm einfach lassen. Auf gleicher Balkonebene betrachtet, ragt der König der Tiere auf dem historischen Foto regelrecht hinein in den Straßenraum. So souverän und selbstverständlich, dass er seine Pranken sanft auf der Sockelnase ruhen lassen kann. Denn da scheint alles geregelt, für die Ewigkeit. Doch selten ist auch in einer Stadt etwas auf Ewigkeit gemacht, und so steht das Wappentier als symbolträchtiger Titel im Mittelpunkt der Ausstellung „Löwen im Wandel“, die der Heimatkreis Weilimdorf eben im Bezirksrathaus eröffnet hat.

Einstmals zierte die vom Weilimdorfer Karl Calwer geschaffene Vollplastik die Gebäudekante des 1876 erbauten Gasthauses Zum Löwen, das wiederum als Ortsname für den ganzen Platz reüssierte. „Beim Löwen“ oder „auf dem Löwen“ ist man aber schon länger nicht mehr, und seine Majestät schnurrt nurmehr brav in der Fassade des 1998 errichteten Einrichtungshauses – und betrachtet mit offensichtlichem Gleichmut das Kiesbett, die übrig gebliebene Baustelle vom großen Umbau des Dreiecks zur heutigen, neuen Mitte des Stadtbezirks. Samt Bezirksrathaus und der eine Etage tiefer gelegten Stadtbahnhaltestelle nebst Einkaufszentrum, das nun schon selbst wieder als eine Art „Baustelle“ gilt.

Bedeutendes Kapitel der Stadtgeschichte

Schon diese Beispiele deuten an, dass Edeltraud John mit der von ihr erarbeiteten Ausstellung ein bedeutendes Kapitel in der jüngeren Geschichte des Stuttgarter Stadtteils aufrollt und damit zeigt, „wie sehr sich Weilimdorf verändert und modernisiert hat“, wie die Bezirksvorsteherin Ulrike Zich bei der Eröffnung sagte. Die Dimension dieser Evolution zeigt sich schon am Beginn der Präsentation, im Bereich des Büros der Bürgerinformation, wenn zwei Schaubilder direkt nebeneinander platziert sind: Flurkarten aus den 1920er Jahren und das topaktuelle Schrägluftbild des Stadtmessungsamtes. Im Jahr 2017 scheint alle ausstrebende Siedlungsgestalt von der Neuen Mitte Löwen-Markt auszugehen, während das alte, einst zum Löwen führende Zentrum um die Oswaldkirche eher gesucht werden muss beim Abzoomen der Glemsgaustraße.

Was dafür ursächlich war, findet sich ziemlich in der Mitte der Schau, ganz nüchtern in Zahlen abgebildet: 1950 hatte Weilimdorf noch 15 000 Einwohner, anderthalb Jahrzehnte später sind es schon doppelt so viele. Ein Sprung, der nicht zuletzt der Aufsiedlung mit Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg geschuldet ist. So sind die Ortsteile Giebel, Hausen und Wolfbusch entstanden, ein bisschen später kam noch Pfaffenäcker hinzu. Nicht minder rasant stellt sich die Entwicklung von Industrie und Gewerbe dar, sodass sich auf der Gemarkung heute das zweitgrößte Gewerbegebiet der Gesamtstadt befindet.

Fakten, Grafiken, Schaubilder und Statistiken

In 30 Schautafeln rollt John so die Entwicklung auf – und bei genauerem Betrachten ist das nicht weniger als eine Art kleine Ortsgeschichte, die fast ein volles Jahrhundert abschreitet. Und das überaus detail- und kenntnisreich. In den Fakten, die in Grafiken, Schaubildern und Statistiken dargestellt sind, aber auch in vielen kleinen Geschichten, in denen sich wiederum Geschichte abbildet. Keine Frage, dass man sich in den mit erläuternden Texten versehenen Schautafeln voller historischer Fotos wie von alleine festliest. Zumal diese Tafeln selbst häufig wie Bilderzählungen komponiert sind.

Etwa die pittoreske Tafel „Weil im Dorf“, aus über 20 Teilen gebaut und wie im Uhrzeigersinn lesbar. Oder eine Tafel, die ganz aus Geschäftsanzeigen gestaltet ist, akkurat nach Straßen sortiert. Wie die Schau insgesamt eine eminent sinnfällige Fleißarbeit, die quasi als Geschichte in der Geschichte Gewerbehistorie spiegelt. Wie ein Brennglas des Wandels wirkt da der Abgleich mit dem Heute, wenn man etwa auf den Kohlenhändler, Spielwaren Boltz, Springer Nähmaschinen oder das Möbelhaus Gscheidle stößt. „Ortsgeschichte einmal anders“ ist so der treffende Untertitel der Schau, mit der Edeltraut John „in Stationen gefasste Rückblicke auf die Geschichte Weilimdorfs“ bieten will. Sie nennt das auch eine „Zeitreise von Weil im Dorf zum heutigen Stadtbezirk Stuttgart- Weilimdorf“. Eine Zeitreise, die älteren Weilemern unzählige „Ahas!“ bescheren dürfte – und den Jüngeren ganz neue Einblicke. Die Anregungen sind so vielfältig, dass sie sich mit einem einzigen Besuch kaum aufnehmen lassen. Wofür der Löwe aber steht, das prägt sich auf Anhieb ein. Gut gebrüllt, Löwe!