Sein Gemälde „Das Konzert“ hat der niederländische Meister Gerrit van Honthorst ganz am Vorbild Caravaggios orientiert. Foto: © National Gallery of Art, Washington, Patrons’ Permanent Fund and Florian Carr Fund

Niemand wusste zu seiner Zeit den Menschen so menschlich zu malen wie er: Caravaggio. Prompt gab es viele Schüler, die es ihm gleichtun wollten. Eine große Schau in der Alten Pinakothek in München hängt nun Original und Nachahmer nebeneinander. Und wer gewinnt?

München - Es ist immer wie bei „Game of Thrones“. Immer wieder werden Köpfe abgeschlagen. David und Goliath, Judith und Holofernes, Medusa – kein Thema beschäftigte Caravaggio so sehr wie die Enthauptung. Vielleicht, weil er selber ein kopfloser Choleriker war. Glücksspiel, Rausch und Rauflust bestimmten sein Spelunkenleben. Am Ende schlug der Maler tatsächlich jemanden tot und musste aus Rom fliehen. Bevor ihn die Begnadigung erreichte, starb er 1610 im Exil. Sein Weltruhm hatte da gerade erst begonnen. Italienreisende berichteten dem Norden Europas von den authentischen Heiligenfiguren oder der spannungsreichen Licht-Schatten-Regie des Barockberserkers. „Wonderlijcke dinghen“, schrieb der niederländische Kunstgelehrte Karel van Mander, vollbringe dieser Caravaggio.

Drei junge Maler aus Utrecht wollten die „wunderlichen Dinge“ mit eigenen Augen sehen. Zwar trafen Hendrick ter Brugghen, Gerard van Honthorst und Dirck van Baburen zu spät in Rom ein, um Caravaggio noch persönlich kennenzulernen, aber sie wurden dennoch seine gelehrigsten Schüler. Als „Utrechter Caravaggisten“ gingen sie selbst in die Kunstgeschichte ein.

Der Stil geht um die Welt

Der Stil wandert in die Welt

Das Trio aus der mittelniederländischen Provinz steht nun auch im Zentrum einer weitläufigen Schau der Alten Pinakothek in München, die den Hell-Dunkel-Meister mit seinen Multiplikatoren zusammenbringt. Caravaggios eigenhändiges Œuvre ist schmal, doch die an den Tiber gereisten Gastkünstler studierten seine Arbeiten und eigneten sich seinen Stil an. Ihre Nachschöpfungen trugen Caravaggios Malerei in die Welt hinaus.

Den Besucher im Sonderausstellungsbereich der Alten Pinakothek empfängt eine grausig-lange Galerie von Geköpften. An deren Anfang schreit uns aus einer Vitrine Caravaggios schlangenhaariges Schreckensantlitz der Medusa entgegen, ein nach dem Muster antiker Schilde gestaltetes Rundbild. An den Wänden dagegen setzen sich die Nachfolger mit den Kopf-ab-Gemälden ihres Vorbildes auseinander. Über das langsam ausblutende Riesenhaupt Goliaths beugt sich bei dem Franzosen Valentin de Boulogne ein androgyner David herausfordernd auf den Betrachter zu. Ter Brugghen wiederum denkt die Geschichte weiter: Hier stimmen Israels Frauen ein Loblied auf den jungen Helden an, welches sich dieser, die gruselgrüne Kopftrophäe in der Hand, mit ernster Miene anhört. Dass Caravaggios Kunst auch innerhalb Italiens zum Leitstern einer neuen Malerei aufstieg, belegt Orazio Gentileschi (der Vater der berühmten Artemisia Gentileschi). Bei ihm schwingt ein knabenhafter David als Racheengel das Schwert über dem bereits niedergerungenen Hünen.

Die „Grablegung“ aus dem Vatikan ist nur kurz zu sehen

Doch niemand hat sich so kongenial in Caravaggios Denken hineinversetzt wie das Kleeblatt aus Utrecht. Vor allem die naturalistische Körperrhetorik ihres Idols haben van Honthorst und Co. verinnerlicht. Bleiche Körper, sonnenverbrannte Hände und Gesichter, dazu faule Zähne und schmutzige Füße. Heilige und Bibelhelden sollten als Handwerker, Tagelöhner und Mägde – eben als Menschen von der Straße – erkennbar sein, gezeichnet mit den Wundmalen des wirklichen Lebens. Schließlich gewann Caravaggio auch deshalb das Wohlwollen klerikaler Auftraggeber, weil seine Gemälde jene neue soziale Nahbarkeit vermittelten, mit der die katholische Kirche hoffte, der Konkurrenz des Protestantismus entgegentreten zu können. Die nüchtern-diesseitigen Niederländer freilich haben den Realismus mitunter noch etwas deftiger aufgefasst. Petrus als verwirrter zahnloser Greis – das wurde erst bei ter Brugghen möglich.

Caravaggio indes hat sich nie ganz vom Klassizismus gelöst. Am wenigsten in der spektakulären „Grablegung“ aus dem Vatikan, die erst nach Fürsprache von Erzbischof Reinhard Marx und auch nur bis zum 19. Mai (also nicht für die gesamte Laufzeit) nach München durfte. Ursprünglich entstand die monumentale Tafel für eine Familienkapelle in der römischen Chiesa Nuova. Während die Männer im Vordergrund den wächsern schweren Leichnam Christi in die Gruft hieven, bringen die klagenden Frauen dahinter drastisch und direkt die Emotionen des Todesereignisses zum Ausdruck. An dieser menschlichen Eindringlichkeit der Trauer scheiterten alle, die sich später daran versucht haben. Nicolas Tourniers toter Christus wirkt puppenhaft und proportional zu klein, Baburen lässt den Schmerz Marias ins Rührselige abrutschen. In direkter Nachbarschaft mit diesen beiden Fassungen tritt das Geniale von Caravaggios Komposition nur umso deutlicher hervor.

Wie auf der Theaterbühne

Vergleiche drängen sich auf

Zu solchen Motivvergleichen fordert Kurator Bernd Ebert gerne heraus. Dabei vergisst die ansonsten sehr kurzweilige Hängung leider, dass die Nebeneinanderbetrachtung verwandter Werke für Laien nicht so spannend ist wie für Experten.

Ansonsten aber überzeugen Caravaggio und die Caravaggisten durch eine erzählerische Spontaneität, die sich von den oft komplexen Wissensbezügen der humanistischen Renaissance markant unterscheidet. Ihre Werke benötigen nur wenig Requisiten, keine Architektur, keine Landschaftskulissen. Wie aus der Dunkelheit einer Theaterbühne leuchtet das Geschehen aus den Bildern heraus, wodurch alle Aufmerksamkeit auf den Dramen des Leibes ruht. Ein Effekt, den die radikal schwarz getünchten Wände der Alten Pinakothek in München noch weiter verstärken.

Und obwohl lediglich vier Originale von Caravaggio an die Isar gefunden haben, erfüllt die Auswahl alle Erwartungen an eine barocke Prachtschau. Mit fröhlichen Musikanten und ausgelassenen Tischszenen, Märtyrern und Folterknechten, Tod, Gewalt und Lebenslust: also all jenen drastischen Gegensätzen, die Caravaggio und seine Schüler im Geiste aus dem Schatten ans Licht gebracht haben.

Bis 21. Juli. Alte Pinakothek, Barer Straße 27. Dienstags und mittwochs 10 bis 21 Uhr, donnerstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr.