Vath Kuth, Zohreh Heidari und Said Amiri (v. li.) sind ein Teil der Wanderausstellung, die in Kirchheim erweitert wurde. Foto: Ines Rudel

Eine Wanderausstellung in Kirchheim stellt auf einfühlsame Weise Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund aus der Stadt und Umgebung vor. Das Projekt ist generationen- und ortsübergreifend. Wir stellen das Konzept und einige der Protagonisten vor.

Kirchheim/Teck - Die Geschichte einer Frau, die in den 80er-Jahren aus der DDR floh, daneben der Kurzlebenslauf eines Mannes aus Kambodscha, der Ende der 70er-Jahre vor der Schreckensherrschaft der Roten Khmer floh. Ein Stockwerk darüber: die von Said Amiri, der Afghanistan in den 60er-Jahren verlassen hat, ein paar Meter weiter hängt die Geschichte von Zohreh Heidari, die dem Iran 2014 den Rücken kehrte. Allen gemeinsam ist ihre neue Heimat im Kreis Esslingen und, dass eine erste, völlig andere hinter ihnen liegt.

„An(ge)kommen“ lautet der Titel der Wanderausstellung, die im vergangenen Jahr in Fellbach (Rems-Murr-Kreis) initiiert wurde und seitdem an vielen weiteren Orten wie Kirchen und Schulen in und um Stuttgart zu sehen war. Jetzt stellt die Stadt Kirchheim die Geschichten in den Gängen des Rathauses aus. „Nun wurde die Ausstellung erstmals erweitert. Sechs Personen aus Kirchheim und der Umgebung wurden zusätzlich porträtiert. Das ist unser Ansatz. Jede Gemeinde, die möchte, kann sich beteiligen“, so Preslava Abel vom Forum der Kulturen, das hinter dem Ausstellungskonzept steht.

Flucht und Migration ein Gesicht geben

Die Interviews stammen von der Journalistin Annette Clauß und greifen die Fluchtursachen der Personen auf, die großformatigen Porträts der Fotografin Natalia Zumarán geben den Texten ihr Gesicht. So entsteht ein privater Einblick in die Geschichten der Porträtierten.

Wenn Vath Kuth, der Mann aus Kambodscha, über seine Fluchtgründe spricht, sprudelt es aus ihm heraus. Auch wenn die Flucht vor der Schreckensherrschaft und seinem strengen Vater bereits 40 Jahre hinter ihm liegt, kommen ihm die Tränen, er wird unruhig und erzählt immer weiter, von Unterdrückung, Hunger, Durst und wie er als Sklave der Roten Khmehr in der Landwirtschaft arbeiten musste und als Kindersoldat mit einem Sack Reis und einem Gewehr über der Schulter versuchte, einen Fluss zu durchqueren. Ein Flugzeug des Kinderflüchtlingshilfswerks brachte ihn mit 15 Jahren nach Deutschland, wo er in einer Pflegefamilie aufgenommen wurde. „Vom Kopf her bin ich deutsch und europäisch, mit meinen Gefühlen aber bin ich Kambodschanern näher“, sagt der 55-Jährige. Außer wenn es um den VfB Stuttgart geht, da ist der Vollblutfan mit Leib und Seele dabei. Um seine Geschichte noch einmal zu erzählen, hat er sich extra frei genommen, zu sehr wühlt ihn alles auf.

Von Teheran nach Bissingen/Teck

Anders geht es Zohreh Heidari. Die 40-jährige Iranerin ist 2014 ihrem Mann, der vom Islam zum Christentum konvertierte und deshalb verfolgt wurde, ins deutsche Exil gefolgt. „Mir war es egal wohin wir gehen, Hauptsache wir können in Frieden leben“, sagt sie. Die gelernte Computeringenieurin konnte sich schnell an die andere Kultur gewöhnen und hat keine Flucht hinter sich. Von Teheran nach Bissingen, dennoch keine leichte Umstellung. „Man muss sich anpassen“, sagt sie. Manchmal gibt sie Partys unter ihren iranischen Freunden. „Wir feiern und essen ganz anders als die Deutschen. Das fehlt mir manchmal.“ Seit einem Jahr suche sie bereits einen Job in ihrem Fachgebiet, der würde ihr erheblich helfen, noch besser anzukommen, meint die Mutter eines 17-jährigen Sohnes.

„Das ist das wichtigste“, sagt auch Said Amiri. Seine Geschichte ist ebenfalls ein Teil der Ausstellung. Der 80-Jährige aus Weilheim wanderte Ende der 60er-Jahre aus Afghanistan aus, wurde schnell durch seinen Beruf und seine schwäbische Frau heimisch und ist heute mit 80 Jahren als ehrenamtlicher Dolmetscher in Kirchheim und der Umgebung sehr gefragt. „Die Sprache und eine Arbeit, das ist es, was den meisten hier hilft, wirklich anzukommen. Aber man muss auch Geduld mit den Menschen haben. In manchen Herkunftsländern ist so eine moderne Welt, wie wir sie kennen, undenkbar. Viele müssen erst mal lernen, was es heißt, in einer Demokratie zu leben. Die Sprache ist nichtsdestotrotz ein wichtiger Schlüssel in der neuen Heimat.“

Erweiterung um Migranten aus Kirchheim und der Umgebung

Die Ausstellung zeigt 13 gelungene Integrationsbeispiele, neben den sechs Porträtierten aus dem Kreis Esslingen werden sieben Personen aus Fellbach und Stuttgart vorgestellt, und ist für jedermann in den Gängen des Rathauses zu sehen. Insgesamt umfasst die Schau 20 Porträts, die jedoch aus Platzgründen nicht alle zu sehen sind.

Die Macher der Ausstellung wollen auch Menschen ansprechen, die dem Thema Einwanderung nicht so offen gegenüberstehen. Das Rathaus sei neutral, und schließlich müsse jeder mal hin.

Die Auswahl der Porträtierten begründet Abel vom Forum der Kulturen so: „Man muss Menschen finden, die bereit sind, ihre persönlichen Lebensläufe so öffentlich zu zeigen. Zudem ist es auch so, dass wir bewusst zeigen wollen, wie Migration unsere Gesellschaft prägt und immer schon geprägt hat. Das gerät manchmal in Vergessenheit.“ Der Ansatz für das Ausstellungskonzept waren daher Erzählcafés in Seniorenheimen, wo sich ältere Geflüchtete mit jüngeren gemeinsam über das Thema unterhielten. „Es ist ein generationenübergreifendes Thema, das wollen wir rüberbringen. Auch wenn die Flucht- und Migrationsgründe häufig unterschiedlich sind, gibt es Parallelen.“

Erzählrunden und die Möglichkeit, die Menschen, deren Geschichten vorgestellt werden, zu treffen, wird es daher auch in Kirchheim geben.

Termine und Rahmenprogramm

Eröffnung
Am Freitag, 12. Oktober wird die Ausstellung „An(ge)kommen.Augenblicke.Begegnungen.Geschichten“ um 16 Uhr im Foyer des Kirchheimer Rathauses eröffnet. Bis zum 23. November kann sie zu den üblichen Öffnungszeiten besucht werden. Rathaus, Marktstraße 14, Kirchheim. Film
Am Donnerstag, 25. Oktober, zeigt das Central-Kino um 19 Uhr im Rahmen der Ausstellung den autobiografischen Dokumentarfilm „Der Flüchtling in mir“ von Nilgün Tasman aus Stuttgart. Die Regisseurin ist an dem Abend zum Filmgespräch vor Ort. Central Lichtspiele, Dreikönigstraße 15, Kirchheim.

Gesprächsrunde
Für Donnerstag, 8. November, lädt die Stadtbücherei einige der Porträtierten um 19 Uhr zu Gesprächen ein. Unter anderem werden Said Amiri und Sathana Vithyapathy aus Sri Lanka noch tiefere Einblicke in ihre Lebensgeschichten bieten. Stadtbücherei, Max-Eyth-Straße 16, Kirchheim.