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„Hitler und die Deutschen“ heißt eine Ausstellung – und führt doch am erklärten Thema vorbei.

Berlin - Eine Hitler-Ausstellung? In Berlin? Seit einer Woche strömen die Menschen ins Deutsche Historische Museum. Eine Antwort auf die Frage, wie der Mann die Massen in den Bann zog, gibt die Schau nicht. Sie stellt eher die Angst aus - vor einem beklemmenden Phänomen.

Am Ende lachen sie über ihn. Adolf Hitler als Lachnummer: Ist das ein gutes Ende? Das hängt vom Anfang ab. Immerhin fällt es nicht jedem hier ein, tatsächlich lachend die Ausstellung "Hitler und die Deutschen" im Deutschen Historischen Museum zu Berlin zu verlassen. Nur einige sehr junge Leute möchten sich amüsieren. Andere wundern sich über sich selbst, dass sie eben noch herzhaft lachten über Hitler-Parodien und Führer-Satire, und müssen sich jetzt, wo der Museumsrundgang hinter ihnen liegt, erst einmal sortieren mit ihren Gedanken darüber, was sie soeben alles sahen: diese vielen Facetten um den sogenannten Führer in dessen Drittem Reich - Hitler als Arbeiterführer; Hitlers Weg an die Macht; Hitler als Volkstribun; Hitler als Diktator; Hitler als Juden-Vernichter; Hitler als Kriegsführer; Hitler zum Anfassen; Hitler zum Fürchten und eben Hitler zum Lachen.

Natürlich lacht das Publikum auf den letzten Schritten nach 1000 fensterlosen Quadratmetern Ausstellung nicht über Hitler selbst, sondern über Zoten und Lieder, die ihm in Comics, Parodien und Videos in den Mund gelegt werden. Auch das gehört heute wohl zum musealen Umgang mit dem Despoten: die Abteilung Humor zum Ausklang.

Den Anfang dagegen macht das Böse - und sicher auch die Angst vor der Faszination des Bösen. "Hitler und die Deutschen" verspricht Zeugnis davon abzulegen, wie dieser Mann als Phänomen funktionieren konnte: Warum "die Deutschen" nicht nur seinen glühenden Verheißungen folgten, sondern auch diesen Menschen verehrten, vergötterten - liebten. Was dieser Mensch wiederum für eine Persönlichkeit war, die sie erst verführte und dann für den verlorenen Krieg strafend ins Verderben stürzte.

Doch genau auf diese Fragen gibt die Ausstellung keine Antwort. Dies ist keine Hitler-Ausstellung - zu wenig wird über ihn erzählt, nichts aus seinem Privatbesitz gezeigt. Aus Sorge freilich, Neonazis einen Kultort zu bieten, den Fetisch zu bedienen. Die aktuelle Führer-Bande verschaffte sich inzwischen sehr wohl ein Bild, als eine Gruppe mit NS-Kurzhaarfrisur und Hitler-Bärtchen Eintritt zahlte (was sonst?), ihre Runde drehte "und diese Männer hoffentlich selbstkritischer gingen, als sie kamen", sagt Museumssprecher Rudolf Tarbold selbstbewusst nach dem Abgang der Neonazis.

Also nicht: Hitler und die Deutschen. Stattdessen ein paar wenige, wenn auch exemplarische Briefe an den Führer zu dessen 43. Geburtstag - mit Glanzbildern und Blümchen aus Kinderhand "an den lieben guten Onkel Hitler" oder mit Hakenkreuzen und Herz-Passepartout aus Frauenhand "an den geliebten Führer. Wenn Du mal nichts zu tun hast, schreib doch bitte." Briefe der Ergebenheit, Verfallenheit, Verliebtheit. Ein einziger Brief der Verachtung: "Ach mein liebes Hitlerchen, was bist Du für ein Bengelchen; Du hast gegründet ne schöne Partei; dachte immer, es wäre bald vorbei; doch leider habe ich mich sehr geirrt, weil sie immer größer wird. Ich gratuliere Dir zu deinem Geburtstag, weil ich mit Dir zusammen hab: Eine kleine Feindin von Dir."

Die Ausstellungsmacher bleiben hinter ihrem Anspruch auf Courage zurück

Im Hintergrund zeigen Filmdokumente begeisterte Kinder und junge Männer, die danach eifern, Hitler in den fahrenden offenen Wagen hinein die Hand zu schütteln. Sie waren es wohl, die groß wurden mit dem Führer-Kartenspiel-Quartett, den feuerroten NS-Laternen, den Kaspertheaterfiguren des Engländers, des Meckerers, des Juden und des Königs - und dem Bilderbuch "Kinder, was wisst ihr vom Führer?".

Die meisten Besucher hier wissen bereits vieles. Wer hier fast eine Stunde ansteht, schlendert meist nicht zum ersten Mal durch eine Ausstellung über das Dritte Reich, den Nationalsozialismus, Krieg, die Judenvernichtung, die Gleichschaltung oder andere Eigenheiten des NS-Regimes. "Vieles habe ich woanders besser dargeboten gesehen", sagt Daniel M., der aus Kamen angereist ist. Der 36-Jährige meint: "Die Ausstellung ist überfrachtet, weil sie sich nicht auf ein Thema festlegt. Ich hätte gern mehr darüber erfahren, ob Hitler als Mensch wirklich die Nähe zu den Deutschen gesucht hat oder ob diese Aufnahmen von seinen Auftritten zum Volk allesamt inszeniert wurden." Eine Frau, die mit ihrem Abi-gekürten Sohn durch die Räume streift, fragt: "Warum wird nicht gezeigt, mit welchen rhetorischen oder gestischen Mitteln Hitler die Menschen in seinen Bann ziehen konnte?"

Wird hier also eher die Angst vor Hitler ausgestellt? Die Angst vor der reproduzierbaren Verführbarkeit? Die Ausstellungsmacher bleiben hinter ihrem Anspruch auf Courage zurück. Sie deuten die damalige Faszination dieses Mannes nur an, wohl auch, um der Versuchung nicht neues Leben einzuhauchen. Die Meinung darüber fällt widersprüchlich aus. "Was sollen diese Berührungsängste? Als hätten die Deutschen nicht aus dieser Episode gelernt", wendet eine bald 80-jährige Frau ein, die sich gut erinnert, "wie wir uns mit der Aufarbeitung quälten". "Als seien inzwischen nicht genug junge Menschen geboren, die mangels Erlebens solch einem Menschenfänger erliegen können", hält ein 37-jähriger Mann dagegen, "das müssen wir uns vor Augen führen."

Ohne die Begeisterung für den "Führer und Retter des deutschen Volkes" hätte Hitler kaum zum Phänomen werden können, das wird dagegen jedem klar, der sich durch die Räume liest, hört und schaut. Die Begeisterung wuchs mit der professionellen Inszenierung und wurde durch das PR-Monopol des Führerstaats steuerbar. Doch diese Strukturen des NS-Regimes sind in aller Gründlichkeit hinlänglich bekannt - und letztlich so nüchtern, dass sie die von Hitler ausgehende Faszination eben nicht begründen. Bleibt also die ewig brennende Frage: Was hatte dieser Mann an sich, dass er so weit gehen konnte? Aura? Diesen Begriff will hier niemand bemühen.

20.000 Menschen kamen allein in den ersten sechs Tagen

Dabei wäre er ein Schlüssel. Die achtjährige Frida hockt auf dem Knie ihres Vaters und betrachtet etwas verstört ein Video dieses sich so ungelenk bewegenden und eifernd-geifernden Redners in NS-Uniform vor einem Meer von Fackeln. "Dem haben alle zugehört, obwohl der Kriege angezettelt und viele Menschen ermordet hat", erklärt ihr Vater, der gerade 33 Jahre alt ist. Frida fragt, warum alle auf ihn gehört hätten, und er sagt: " Das wissen wir heute auch nicht so genau. Aber wir würden das nicht wieder tun." Frida will dem schreienden Mann im Fernsehen nicht mehr weiter zuschauen. Sie fallen auf, diese und ältere Eltern-Kind-Konstellationen, in denen sich die Gäste hier durchschieben - manches Mal sind auch Oma oder Opa noch dabei, die sich am meisten Zeit nehmen.

Es sind viele fremde Sprachen, in denen sich die Besucher hier austauschen; trotzdem ist es ein leiser Ort. Stadtführungen zu den Berliner Schauplätzen der NS-Geschichte werden oft gebucht. Aber eine Hitler-Ausstellung? Eine Gruppe portugiesischer Studenten findet das mutig: "Zunächst hatten wir Sorge, dass es ein Wallfahrtsort ist. Aber die Ausstellung ist sehr umfassend und zeigt, wie dieser Mann die halbe Welt ins Verderben geführt hat." 20.000 Menschen kamen allein in den ersten sechs Tagen hierher - alle weiteren brauchen Geduld; die Besucher verweilen teils so lang, dass der Zugang reguliert wird.

Und wer über die Hitler-Satiren am Ende mit allem Recht nicht lachen mag, den versöhnt vielleicht das ausgestellte Plakat des großartigen ungarisch-jüdischen Schriftstellers, Regisseurs und Theatermachers George Tabori. Er bewarb 1993 sein ureigenes Theaterstück "Mein Kampf" mit einem einzigen Satz: "Aus aktuellem Anlass kein Bildplakat zu ,Mein Kampf'."