Blickfang der Ausstellung im Theaterhaus ist eine langgezogene Panorama-Aufnahme aus halber Vogelperspektive: eine Dachlandschaft, von einem Meer von Satellitenschüsseln geflutet. Gleich daneben das Bild eines sitzenden, lesenden Mannes. Foto: Georg Linsenmann

„Mein Kairo“ heißt das Buchkunst-Projekt, bei dem unter anderem der langjährige ARD-Nahost-Korrespondent Jörg Armbruster als Herausgeber mitgewirkt hat. Im Theaterhaus sind nun 40 Aufnahmen daraus zu sehen.

Feuerbach - Wer nach dem mitternachtblauen Band „Mein Kairo“ greift, wird sich schnell festlesen in den 60 Texten, die in faszinierender Weise mit den 140 Fotos von Barbara Armbruster und Hala Elkoussy zusammenklingen – und Kairo, „Mutter der Welt“, als eine spezifische Art Weltspiegel der arabischen Welt erfahren lassen. Zwischen zwei Buchdeckel gefasst, von Suleman Taufiq und dem langjährigen ARD-Nahost-Korrespondenten und Weltspiegel-Moderator Jörg Armbruster herausgegeben.

Im Abgleich mit den 40 mittelformatigen Fotos der Ausstellung im Theaterhaus zeigt sich dann aber eine spezifische Gewichtung: Nicht das chaotische, von Autos und Menschen überfüllt wirkende Kairo, nicht der Tahrir-Platz und die Freiheits-Ekstase jugendlicher Rebellion wird in den Mittelpunkt gestellt, zu sehen sind eher stille Szenen einer lauten Stadt. Momentaufnahmen mit einzelnen Personen, menschenleere Orte, Atmosphären, konzentrierte Ausschnitte. Mit künstlerischem Auge gefasste Fotos, die eine suggestive Kraft entfalten, weil sie den unüberschaubaren Moloch einer Megalopolis wahrnehmbar machen.

Charakteristisch ist so der große Hingucker auf der rohen Waschbetonwand im Eingangsbereich des Theaterhauses: eine monumentale, langgezogene Panorama-Aufnahme aus halber Vogelperspektive. Eine Dachlandschaft, von einem Meer von Satellitenschüsseln geflutet. Kennzeichnend ist nun, wie diese vielgliedrige, skulpturale Stadtmasse von zwei Fotos gerahmt wird: Zur Rechten ein sitzender, lesender Mann, dessen Kopf ganz von einem aufgeschlagenen Buch verdeckt wird. Linker Hand zwei solistische Fischer im nebligen Dunst des meergroßen Nils, vor der schemenhaften Fassadenfront eines Hochhausmonsters. Was für ein Bild! Das Individuum, das sich behauptet vor Gebäuden mit pharaonischem Gestus, selbstvergessen sich der ruhigen Größe der Natur anvertrauend, souverän einer Tätigkeit nachgehend. Just dies erweist sich als leitmotivischer Blick für die überwiegende Mehrzahl der Bilder.

Die Bilder halten die Balance aus Nähe und Distanz

Fotos, die nicht blanker Neugierde gehorchen, sondern auch in reportagehaften Aufnahmen von einer Sensibilität der Annäherung künden, von Respekt, von einer Balance zwischen Nähe und gebotener Distanz. Vier alte Männer etwa, müde an einer seit Jahrzehnten blätternden Hauswand sitzend, auf Stühlen, die schon länger in Ruhestand sein könnten als die Sitzenden selbst. Und doch ein Bild von vollendeter Harmonie, Rost und Altersflecken wie ein ewiges Bild sich stets erneuernder Vergänglichkeit – und von einer ganz eigenen Würde. Oder das von einem weißen Tuch gerahmte Gesicht einer älteren Frau, die Patina und Furchen der Jahre mit einem stolzen Lächeln tragend, in der Sichtachse gegenüber eine Replik der „Berliner“ Nofretete, deren Name bedeutet: „Die Schöne ist gekommen.“ Ein Blick auf Du und Du, auf Augenhöhe, Jahrtausende überbrückend, Stolz und Würde und Schönheit einer alten Hochkultur in lebendiger Gegenwart gespiegelt.

Jedes einzelne Foto hat solche Geschichten parat und spinnt so an der großen Erzählung „Mein Kairo“. Interpunktiert von Textfahnen oder dem politischen Konfetti vollgeschriebener Mauern, den „Zeitungen der Revolution“ und wechselnder Herrschaften. „Cairo ist eine Katze“ sagt dazu ein Text in gefühlten tausendundeiner Variante mit dem stets neuen Versuch einer Annäherung, die sich sogleich wieder zu entfernen scheint: „Cairo ist eine Katze, die dir Geschichten erzählt, ohne das Geheimnis zu verraten, weshalb sie sich nicht zähmen lässt.“

Doch auch so ließe sich die Schau auf den Punkt bringen: „Die Stadt ist ein Brief in einer Flasche, die in das Meer der Zeit geworfen wurde. Die Stadt ist ein Dokument aus Stein, hinterlassen für ihre Nachkommen, damit sie ihre Geheimnisse lüften.“ Und die Menschen, die darin leben, so sagen diese Bilder, reichern die Stadt unablässig neu an mit dem Geheimnis ihrer individuellen Existenz.