Jetzt kommt Bewegung in den neuen Durchgangsbahnhof: Im Schauspielhaus bringt die Fotoausstellung „Station Stuttgart“ Ballett und S-21-Baustelle zusammen.
Eigentlich ist dieser Ort zu schön, um ihn demnächst mit Leuchtreklame, Anzeigetafeln und vielleicht sogar Zügen zuzustellen. Wer an den Motiven vorbeiflaniert, die der Fotograf Dennis Orel mit sechs Stars des Stuttgarter Balletts auf der Baustelle von Stuttgart 21 gestaltet hat und die nun im oberen Foyer des Schauspielhauses ausgestellt sind, darf staunen. Und sich freuen. Falls das mit dem Durchgangsbahnhof aus Brandschutz- oder anderen Gründen nichts wird, hat die Halle mit den markanten Kelchstützen unbedingt das Zeug zur Kulturbühne.
Auch die am Fotoprojekt beteiligten Tänzerinnen und Tänzer hat der Raum beeindruckt, wie schreiend gelbe Plakate in der Ausstellung mit Zitaten kundtun. Von der unglaublichen Atmosphäre, vom Gefühl, in einer Kathedrale zu stehen, ist da die Rede. „Als wir den leeren Bahnhof zum ersten Mal betreten haben, war ich völlig überwältigt. Die Architektur und vor allem die riesigen Kelchstützen strahlen eine unfassbare Eleganz aus“, fasst Rocio Aleman ihre Eindrücke in Worte. Dass sie mit einem Motiv aus dieser Serie nun selbst überlebensgroß den Bahnhofsturm schmückt? Das findet die Erste Solistin aus Mexiko nach wie vor fast unwirklich.
Dicke Strickpullis und zarte Tütüs
Ihre Kolleginnen Mackenzie Brown und Veronika Verterich tragen auf einem Gruppenbild dicke Strickpullis zum zarten Tütü; die Minusgrade, die beim Fotoshooting im vergangenen November auf der Baustelle herrschten, passen perfekt zur Coolness des S-21-Tanzteams, zu der auch Martí Paixà, Adhonay Soares da Silva und Matteo Miccini selbstbewusst beitragen. Dennis Orel setzt sie so perfekt in Szene, wie sich das Jörg Hamann, Sprecher des DB-Projekts Stuttgart-Ulm, als Initiator sicherlich gewünscht hat. Zu all den schlechten Nachrichten, welche Stuttgart 21 produziert, so vielleicht die Idee dahinter, soll sich endlich mal eine gute gesellen. Man könnte sich noch andere Baustellen denken, die sich mit der Perfektion der Stuttgarter Tänzer vom Ärgernis zum Hingucker adeln lassen.
Und so darf Mackenzie Brown, an den Fuß einer Stütze geschmiegt, im einfallenden Licht baden, Veronika Verterich auf dem Absatz einer Treppe nach oben schweben. Das Auge hinter der Kamera suchte immer wieder nach Analogien zwischen dem Fließen der Architektur und dem der Tanzkunst. Dennis Orel zeigt, wie sich die Eleganz der Säulen im Fuß einer Ballerina im Spitzenschuh spiegelt, ihre Tragkraft und Dynamik findet er im Körper eines Tänzers, der fest auf zwei Beinen steht und mit einer Beugung nach hinten die Grenzen des Gleichgewichts auslotet.
Ein Bahnhof, der extrem bewegt
„Station Stuttgart“ heißt das Fotoprojekt, das ein Buch und Making-of-Filme über die Dauer der Ausstellung hinaus festhalten; auf Schals, Strümpfen, Hoodies und T-Shirts kann, wer will, Werbung für einen Bahnhof machen, der seine Stadt seit Jahrzehnten extrem bewegt. Manchen wird der Titel an das Drama erinnern, das John Neumeier 1983 in Stuttgart choreografierte. „Endstation Sehnsucht“ ist heute ein moderner Tanzklassiker, der neue Stuttgarter Bahnhof bleibt ein Sehnsuchtsort – für Bahnreisende, und jetzt auch für Ballettfans.
Termin Zu sehen ist „Station Stuttgart“ bis zum 8. Januar im Schauspielhaus Stuttgart.
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Termin
Zu sehen ist „Station Stuttgart“ bis zum 8. Januar im Schauspielhaus Stuttgart.