Ein Zeugnis der Expedition: Der Dolmetscher Zahir Zadran, der Dolmetscher Schodschajie, Hermann Schlenker, Friedrich Kußmaul, Peter Snoy; vorne sitzend: der Diener Gul Mahmad aus Pagman. Im Hintergrund zwei Diener des Gästehauses von Ğurm. Foto: Lindenmuseum

Es war die aufwendigste Expedition, die das Lindenmuseum je unternommen hat. Drei Stuttgarter erkundeten vor fast 60 Jahren 15 Monate lang die abgelegene Provinz Badakshan in Afghanistan. Sie brachten 4000 Fotos mit. Eine Auswahl davon ist derzeit zu sehen.

Stuttgart - Afghanistan, Kunduz, Masar-el-Sharif, diese Namen lassen einen Film im Kopf starten. Und der zeigt vor allem Krieg, Tod, Leid und Soldaten. Als vor fast 60 Jahren die Stuttgarter Völkerkundler Friedrich Kussmaul, Peter Snoj und der Fotograf Hermann Schlenker nach Afghanistan reisten, hatte man hierzulande keine Vorstellung von diesem Land. Ende des 19. Jahrhunderts war es von den Russen und Briten am Reißbrett entworfen, künstliche Grenzen gezogen worden. Berge bis zu 7000 Meter hoch im Norden, Wüsten im Süden, besiedelt von vielen Völkern.

Eine lange Expedition

Das schwäbische Trio war von Juli 1962 bis Oktober 1963 in der Provinz Badakshan im Nordosten Afghanistans unterwegs. Nicht weit weg von jenem Kunduz und Masar-el-Sharif, wo Jahrzehnte später bis vor Kurzem deutsche Soldaten stationiert waren. 2500 Kilometer legten sie zurück, zumeist reitend oder zu Fuß. Die Expedition brachte tausend Objekte mit wie Kupfergeschirr, Sicheln, Pflüge, Hausrat, religiöse Amulette und Textilien – sowie 15 000 Fotos. Rund 4000 Fotos sind heute noch vorhanden und erhalten.

In der Heimat nahm man großen Anteil an der Expedition, zahlreiche Zeitungsartikel künden davon. Doch nicht nur dort. Auch die afghanische Zentralregierung hatte die Expedition unterstützt. Denn auch sie wusste wenig über die entlegeneren Teile des Landes. Diese Erkundung habe den Grundstein für die weltweit bedeutende Afghanistan-Sammlung des Lindenmuseums gelegt, sagt Annette Krämer, die Leiterin der Orient-Abteilung. Doch nicht nur unser Blick auf Afghanistan hat sich geändert, sondern auch unser Blick auf ein Museum. Die bloße Präsentation reicht gerade für ein Völkerkundemuseum nicht mehr.

Was ist Ziegen ziehen?

So hat sich die Arbeitsgruppe „Entangled. Stuttgart-Afghanistan“ gegründet. Entangled, das heißt verknüpft, verstrickt. Stuttgarter mit Wurzeln in Afghanistan, aber auch Interessierte haben die Fotos gesichtet, und 65 ausgewählt, die gezeigt werden. Manche hat man zu Themenwelten zusammengefasst. Da geht es um das Leben der Frauen, man stellt einen Bezug zur Gegenwart her, wie geht es den Menschen dort heute, oder beschreibt den afghanischen Nationalsport Buzkashi, wörtlich Ziegen ziehen. Es geht darum, eine tote Ziege vom Pferderücken aus zu packen und im Zielkreis fallen zu lassen. Die Gegner versuchen ebenfalls die Ziege zu packen. Teilweise rangeln sich da bis zu tausend Reiter.

Verknüpfte Welt

Wie verknüpft dies ist, wie klein die Welt sein kann, zeigt die Geschichte der Stuttgarterin Hosa Mangel. Deren Vater kam vor zig Jahrzehnten nach Deutschland, eigentlich Künstler. Er verdiente sein Geld bei der Bahn. Doch zuhause zeichnete er Miniaturen. Unter anderem auch eine Buzkhasi-Szene. Für Hosa Mangel „ist sie ein Sinnbild für Afghanistan. Ich werde an meine Heimat erinnert, obwohl ich sie nur aus den Erzählungen meiner Eltern kenne“. Die Miniatur hat sie dem Lindenmuseum für die Ausstellung geliehen. Wer sie sieht, wer Hosa Mangels Gedanken dazu liest, merkt, wie nahe Afghanistan Stuttgart dann doch ist.

Am Sonntag, 14 Uhr, wird die Afghanistan-Sammlung erläutert. Kosten: 12 Euro. Info über 07 11 / 7 05 06 00, info@kbw-stuttgart.de

Afghanistan-Ausstellung

Führung
Kuratorin Annette Krämer und Neda Pouryekta laden am Sonntag, 3. Oktober, um 14 Uhr unter dem Titel „Begegnungen zwischen Nähe und Distanz“ zu Führung und Gespräch über Afghanistan-Sammlungen im Linden-Museum Stuttgart ein. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Katholischen Bildungswerk Stuttgart statt. Die Teilnahme koste 12 Euro, der Ausstellungseintritt ist inklusive. Anmeldung über das Katholische Bildungswerk. Telefon 07 11 / 7 05 06 00, E-Mail: info@kbw-stuttgart.de